Weinbautag - Der Klimawandel sorgt auch in der Region dafür, dass der Sortenspiegel kräftig in Bewegung bleibt / Weinprobe in Bensheim

74 verschiedene Rebsorten gibt es an der Hessischen Bergstraße

Von 
Thomas Tritsch
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Bergstraße. Die Vielfalt an der Hessischen Bergstraße wächst: Aktuell umfasst das kleinste deutsche Anbaugebiet 74 Rebsorten, davon 39 weiße. Die Auswirkungen des Klimawandels machen sich auch im Wingert längst bemerkbar. Steigende Temperaturen, extremes Wetter und zugereiste Schädlinge stellen den Weinanbau vor neue Herausforderungen. Traditionelle Weißweine der gemäßigten Zonen nördlicher Rebflächen könnten ihre klassischen Eigenschaften in Zukunft spürbar verändern. Der Anbau wärmeliebender Rotweinsorten dürfte dagegen an Tempo zulegen.

Auch einige neu entwickelte Züchtungen und Kreuzungen kommen mit Hitze und Wassermangel besser zurecht. Sie trotzen Pilzerkrankungen, sind allgemein resistenter gegen Schädlinge und weniger frostanfällig. Diese pilzwiderstandsfähigen Sorten sind unter der Kurzbezeichnung PIWI zusammengefasst. Weiterer Vorteil: Ihr Anbau senkt den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und reduziert so die Bodenbelastung. Allerdings haben diese Sorten bislang noch ein Problem am Markt: Die Akzeptanz ist überschaubar, viele Kunden sind angesichts neuer Namen skeptisch.

Sensorische Besonderheiten

„PIWIs ermöglichen weniger Pflanzenschutzmittel, aber ganz ohne kommen auch sie nicht aus“, so Christoph Presser vom Weinbauamt in Eltville beim zehnten Bergsträßer Weinbautag in Bensheim. Vor rund 50 Teilnehmern informierte er mit seinem Kollegen Mathias Schäfer vom Fachdezernat am Regierungspräsidium Darmstadt über neue Entwicklungen an der Bergstraße. Eine Probe mit elf Weinen umfasste neben einer kleinen Rebsortenkunde auch die sensorischen Besonderheiten der Trauben.

Trotz der Klassiker auf den ersten Rängen: Auf den aktuell 452 Hektar Ertragsrebfläche der Hessischen Bergstraße bleibt der Sortenspiegel in Bewegung. Neben Riesling, Grauburgunder, Silvaner und Spätburgunder wird die Region zunehmend von Rebsorten durchmischt, die man früher nur aus Südeuropa kannte: Mit 3,3 Prozent der Anbaufläche spielt auch der „Global Player“ Merlot (Weingut Edling) mittlerweile eine markante Nebenrolle, der Syrah von Hanno Rothweiler ist mit 1,2 Hektar ein noch größerer Exot. Dennoch zeigte die Verkostung, dass die klimatischen Veränderungen dafür gesorgt haben, dass diese Weine nicht mehr grün und kantig, sondern stoffig und gehaltvoll ausfallen können, wie Schäfer feststellte.

Nach den beiden internationalen Rotweinsorten wartete mit dem Rotberger ein veritabler Außenseiter: In ganz Deutschland sind mit der roten Sorte nur noch rund zwölf Hektar bepflanzt, an der Hessischen Bergstraße sind es 1,2. Doch der daraus gekelterte Rosé vom Weingut der Stadt Bensheim gilt als süffiger Weinfest-Renner und dürfte seine Stellung in Südhessen daher weiter stabil halten. Nach einem burgundisch-cremigen Auxerrois vom Zwingenberger Weingut Simon-Bürkle mit relativ moderater Säure kam mit einem Souvignier Gris von der Bergsträßer Winzer eG der erste richtige PIWI-Wein ins Glas. „Wir müssen uns mit solchen Sorten auseinandersetzen“, so Presser.

Die Sorte bietet sichere Erträge und ist gut für eine späte Lese geeignet. Eine stabile Haut schützt die Beeren vor äußeren Einflüssen. Hinzu kommt ein natürlicher Schutz vor Pilzen und Verrieselung. Geschmacklich und farblich erinnert sie an den Grauen Burgunder.

Interessant war die Gegenüberstellung von Goldmuskateller (Weingut Amthor) und einem Gelben Muskateller vom Weingut Mohr. In puncto Herkunft trafen sich hier Südtirol und Südfrankreich zu einem blumig-würzigen Rendez-vous. Beide Sorten spielen im Anbaugebiet mit jeweils einem guten Hektar Rebland eine kleine Rolle. Der Sauvignon Blanc vom Weingut Freiberger offenbarte die typischen Paprika- und Stachelbeernoten. Die Sorte rangiert mit bald vier Hektar Fläche mittlerweile schon auf Platz zehn bei den Bergsträßer Weißweinen. Tendenz weiter steigend.

Roter Riesling auf dem Vormarsch

Zum Finale kam mit einem Cabernet Blanc (Vinum Autmundis) noch einmal ein Vertreter der PIWI-Fraktion ins Glas. Eine Hybridrebe, bei deren Entstehung auch der Cabernet Sauvignon beteiligt war. Die Ursprünge finden sich in der Schweiz, die Sorte ist bislang sehr wenig verbreitet. Im Gegensatz dazu hat der Rote Riesling an der Bergstraße eine Mordskarriere gemacht: 17 Hektar gehören ihm bereits, im rund sechs Mal größeren Rheingau sind es 23. Die Probe kam vom Weingut Jäger. Unklar sei, ob der rote Riesling eine Urform des weißen ist, so Presser. Experten gehen von farblicher Mutation aus.

Den Abschluss bildete eine süße Auslese der PIWI-Sorte Solaris von der Winzergenossenschaft. Sie ist enorm widerstandsfähig, früh reifend, ertragsstark und anspruchslos, was den Standort betrifft. Mit der Sorte wird in einigen Anbaugebieten die alljährliche Weinlese gestartet, da die Trauben gern für Federweißen verwendet werden. Manche sehen darin viel Potenzial für gehaltvolle Süßweine, andere eine gute Gespielin für hochwertige Sekt-Cuvées. Christoph Presser meldete eine Stagnation dieser Sorte, die sich als weniger unproblematisch erwiesen habe als einst angenommen. Sogar an Nord- und Ostsee werde die robuste Traube angebaut – mit eher durchwachsenem Ergebnis.

Klimawandel, Düngeverordnung: Hinter den Winzern liegt ein turbulentes Jahr

Vorsitzender Otto Guthier vom Weinbauverband Hessische Bergstraße skizzierte das Weinjahr 2019, das erneut von extremen klimatischen Verhältnissen geprägt war. Warme, trockene Winter und heiße Sommer stellen die Winzer vor besondere Herausforderungen. Themen wie Mikroklima, Bewässerung, Bodenmanagement, Pflanzenschutz und der Anbau resistenter Rebsorten waren die prominenten Themen beim Treffen in Bensheim.

Auch das aktuelle Agrarpaket der Bundesregierung mit neuer Düngeverordnung (Ziel: weniger Nitrat im Grundwasser) sorgt für Unruhe bei Winzern wie Landwirten. Diese Branchen dürften nicht isoliert für solche Probleme verantwortlich gemacht werden. Die Berufsstände hätten ohnehin bereits immer häufiger mit existenziellen Ernteausfällen zu kämpfen.

In diesem Jahr muss sich der deutsche Weinbau auf ein neues Weingesetz mit reformiertem Bezeichnungsrecht einstellen. Bislang stand die Angabe der Rebsorten im Mittelpunkt, verbunden mit Jahrgang und Lagenname. Künftig soll eine geschützte Herkunftsbezeichnung die erste Geige spielen. Dadurch sollen die Vermarktungsperspektiven für Weingüter verbessert und der deutsche Qualitätsweinbau im europäischen und internationalen Wettbewerb besser positioniert werden. In der Branche stößt der Vorschlag auf geteiltes Echo: Vor allem Winzer mit größeren Flächen oder Genossenschaften sehen die Zuspitzung auf Lagenweine kritisch. tr

Hintergrund

Seit 1845 tritt der Pilz Echter Mehltau, Volksname Oidium, auch in Europa auf und schädigt Reben und auch Trauben bis zum Totalverlust. Gleiches gilt für den Falschen Mehltau (Peronospora), der 1878 nach Europa eingeschleppt wurde.

Leider sind die europäischen Sorten gegen dies Pilze nicht resistent, so dass die Winzer in der Regel gezwungen sind, zu mehr als natürlichen Maßnahmen zu greifen.

Allerdings hat sich gezeigt, dass sowohl amerikanische Wild- wie asiatische Reben gegen solche Pilze widerstandsfähiger sind.

Deshalb wird von Forschungsinstituten mit Kreuzungen versucht, pilzwiderstandsfähige Sorten zu züchten. Zu den bekannteren gehören Cabernet Blanc, Solaris und Souvignier Gris. Auch der rote Regent ist ein PIWI-Pionier.

Ständig kommen neue hinzu. Der Weinbaubetrieb Antes in Heppenheim hat bereits vor fünf Jahren eine PIWI-Versuchsanlage angelegt, um eigene Erfahrungen zu sammeln und seinen Kunden Anbauhinweise geben zu können. tr

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