Midterms

Was die USA lähmt

Ob Einwanderungspolitik, Abtreibungen oder Kampf gegen Kriminalität – in vielen Fragen sind die Positionen unvereinbar

Von 
Dirk Hautkapp
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Wahlschilder der Kandidaten stehen vor dem City-County Building in Indianapolis. Am Dienstag fanden in den USA die Zwischenwahlen (Midterms) statt. © Darron Cummings/AP/dpa

Washington. Amerika hat gewählt. Noch sind die Ergebnisse vom Dienstag nicht vollständig und amtlich. Aber ungeachtet des Ausgangs geht die Arbeit weiter. Die Supermacht hat mit großen unerledigten Baustellen zu kämpfen, die sowohl auf die Demokraten als auch auf die Republikaner zukommen. Hier sind die wichtigsten:

Inflation

Die Teuerungsrate rangiert trotz sechsfacher Intervention der Notenbank Federal Reserve, die Herrscherin über den Leitzins ist, weiterhin auf sehr hohem Niveau. Das von den Demokraten unter Joe Biden verabschiedete „Inflationsbekämpfungsgesetz“ verschafft kurzfristig kaum Linderung. Bis weit in die Mittelschicht müssen sich Familien heute nach der Decke strecken. Um Hypotheken, Schulgebühren, Arztkosten, Spritpreise und den Aufwand für das tägliche Leben in Einklang mit Löhnen und Gehältern zu bringen, geraten Hunderttausende an den Rand der Verzweiflung. Die Republikaner wollen Steuersenkungen durchdrücken und die Ausgaben-Pakete der Biden-Regierung stutzen.

Einwanderung

Mit offiziell 2,3 Millionen Menschen haben die USA im Zeitraum Herbst 2021/Herbst 2022 so viele Übertritte an der Grenze zu Mexiko gehabt wie noch nie, sagt der staatliche Grenzschutz. Ex-Präsident Donald Trump spricht ohne Belege sogar von zehn Millionen. Obwohl über eine Million Armutsflüchtlinge unmittelbar wieder nach Mexiko zurückgeschickt wurden, ist die Zahl derer, die ins Land kommen, weiter extrem hoch. Dass andere Gesetze es den schutzsuchenden Menschen gestatten, bis zur gerichtlichen Anerkennung/Ablehnung ihres Asylgesuchs im Land zu bleiben und nach Arbeit zu suchen, ist den Republikanern ein Dorn im Auge. Sie propagieren Abschottung und mehr Grenzbefestigungen. Die Demokraten verfolgen eine offenere Einwanderungspolitik, unterstützten die nachträgliche Legalisierung von Millionen Einwanderern, die ohne ordentliche Papiere teilweise seit zehn Jahren und mehr in den USA leben. Die Biden-Partei spürt zunehmend den Druck, restriktiver mit dem Ansturm von Asylsuchenden umzugehen.

Kriminalität und Waffengesetze

Laxe Waffengesetze, psychologische Kollateralschäden der Corona-Pandemie, gestiegene Gewaltbereitschaft, vereinzelt ausgedünnte Polizei-Reviere im Nachgang zu Gewaltexzessen wie bei George Floyd und der daraus gewachsenen Bewegung „Black Live Matter” – die möglichen Gründe für den teils erschreckenden Anstieg der Schusswaffen-Gewalt vor allem in vielen Metropolräumen sind vielfältig.

Beide Parteien traktieren sich mit unvereinbaren Ansätzen. Die Republikaner wollen die Polizei massiv personell aufrüsten und fordern mehr Härte gegen Straftäter. Donald Trump etwa verlangt die Todesstrafe für Drogen-Dealer. Die Demokraten wollen die Verfügbarkeit von Waffen eindämmen und die Polizei im Land zu mehr Augenmaß gerade im Einsatz gegen ethnische Minderheiten bringen. Mit jedem Todesfall – vor allem, wenn er unbeteiligte Passanten oder Kinder trifft – steigt der Handlungsdruck. In Umfragen war Kriminalität (nach Inflation) vielerorts für die Midterms-Wähler das bestimmende Thema.

Populismus und Polarisierung

Erbitterter Streit um die Verlässlichkeit von Wahl-Ergebnissen, verbunden mit permanenten Betrugsvorwürfen durch Republikaner, ist eine neue Konstante im nationalen Selbstgespräch. Wichtigster Stichwortgeber: Donald Trump. Dessen Behauptung, er sei 2020 massiv betrogen und um den sicheren Wahlsieg gebracht worden, ist von über 60 Gerichten widerlegt worden. Trotzdem hält Trump, und mit ihm das Gros der republikanischen Abgeordneten, an der toxischen Erzählung fest, die wie Mehltau über der amerikanischen Demokratie liegt. Millionen republikanischer Wähler schenken den Vorwürfen Glauben. Sie sprechen Präsident Biden die Legitimität ab.

Anhänger der Demokraten und Republikaner sind dadurch noch stärker als zuvor in unterschiedliche Lebenswirklichkeiten abgedriftet. Bei den Republikanern prägen Rechtsnationalisten und militante Verschwörungsideologen den Diskurs. Beide Lager stehen sich wie feindliche Stämme gegenüber. Der Konsens der überparteilichen Zusammenarbeit, auf dem das amerikanische Regierungsmodell aufbaut, ist aufgekündigt. Wer stoppt die Spaltung?

Abtreibung

Das emotionale Thema zerreißt die USA, seit der Oberste Gerichtshof im Sommer das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt hatte. Etliche Bundesstaaten haben darauf de facto Abtreibungsverbote in ihren Landesgesetzen verewigt. In demokratisch regierten Bundesstaaten versteht man sich als Schutzhafen für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wollen. Dieser Flickenteppich birgt Zündstoff. Mit ihrer von evangelikalen Fundamentalisten getriebenen Politik wollen die Republikaner – gegen den Geist des Supreme Court-Urteils – ein landesweites Verbot erreichen. Die Demokraten wollen dagegen das Recht auf Abtreibung durch eine Parlamentsentscheidung festschreiben. Dazu fehlten ihnen bereits vor den Midterms die nötigen Stimmen im Kongress. Der Streit ist verhärtet, aber er muss gelöst werden.

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