Berlin. Angela Merkel trägt ihre Kanzlerinnenuniform. Schwarze Hose, quadratische Jacke, die berühmte Ponyfrisur, die Finger zur Merkel-Raute geformt. Und dann hält sie auch noch eine dieser typischen Merkel-Reden – erst etwas dröge, dann auf einmal mädchenhaft verschmitzt und am Ende vor allem uneitel. Merkel hat sich lange kaum blicken lassen, jetzt ist sie wieder da: Vor ihrem 70. Geburtstag am 17. Juli häufen sich die Merkel-Momente.
Sie versucht nun, die Zuschauerin zu sein
Vor wenigen Tagen hielt sie die Laudatio auf Schauspieler Ulrich Matthes, der von der Adenauer-Stiftung geehrt wurde. Die Physikerin Merkel hat sich dazu ein bisschen eingelesen, zum Theater, zum Rollenspiel. Und sie hat eine Formel gefunden, die auch für die Politik gilt: „A verkörpert B, während C zuschaut“, fasst Merkel zusammen. Sie hat die Rolle der Kanzlerin und der CDU-Chefin an den Nagel gehängt. Und versucht, nun C zu sein, die Zuschauerin. Doch die Formel geht nicht auf. Das liegt nicht nur an ihr selbst.
Es gibt gerade viele solcher Szenen: Merkel mit Ulrich Matthes. Merkel beim Staatsbankett mit Emmanuel Macron. Merkel beim Demokratiefest mit Gerhard Schröder, beim Abschied von Jürgen Trittin – und dann auch noch auf dem Cover ihrer Autobiografie „Freiheit“. Das Buch erscheint erst im Herbst, doch die Bilder der vergangenen Tage wirken jetzt schon wie eine vorgezogene Aufmerksamkeitskampagne: Merkel ist gerade überall, so scheint es. Einschränkung: nur nicht bei der CDU.
Die Funkstille hat Gründe. Und sie hat Folgen: Die einen ärgern sich über jedes neue Merkel-Bild, weil sie Merkel am liebsten vergessen würden, weil sie es lieber sähen, wenn die Kanzlerin a. D. in ihrem Haus in der Uckermark Kartoffelsuppe kochen würde und ansonsten unsichtbar wäre. Die anderen ärgern sich, weil Merkel in ihren Augen die falschen Entscheidungen trifft – Absage an den CDU-Parteitag, Zusage zur Abschiedsfeier von Grünen-Hardliner Jürgen Trittin.
Und dann gibt es ein paar Leute, die sie schlicht vermissen
Die Dritten finden es schade, dass Merkel sich zwar beim Staatsbankett von Emmanuel Macron die Hand küssen lässt, neben Olaf Scholz sitzt, aber ansonsten sich kaum ins Getümmel der aktuellen Politik wirft. Und dann gibt es ein paar Leute in der CDU, die sie schlicht vermissen.
Beim Abend mit Schauspieler Ulrich Matthes sitzen zwei Frauen im Publikum, die Merkel sehr schätzen: Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (87) und Parteivize Karin Prien (58). Sie sind die wichtigsten CDU-Politikerinnen in ihrer jeweiligen Generation. Und sie sind nahezu die einzigen bekannten Parteimitglieder, die gekommen sind. Aber es sind nicht nur die Frauen, die Merkel vermissen.
„Angela Merkel fehlt der Politik insgesamt“, sagt Daniel Günther, CDU-Regierungschef in Schleswig-Holstein. Ihm fehle ihr „kluger Blick“, sagte er Anfang Mai im Interview mit dieser Redaktion. „Ich habe bei ihr immer bewundert, wie sie Probleme gelöst hat.“ Sie sei als Naturwissenschaftlerin die Dinge immer sehr strukturiert angegangen, sie wisse, wie man Lösungsschritte plane. Davon könne man wieder mehr gebrauchen. „Ich würde mich freuen, wenn sie häufiger dabei wäre.“
Sätze, mit denen Günther bei vielen in der Merz-CDU einen empfindlichen Nerv traf, einen Triggerpunkt. Denn klar ist: Unter Merkel stand die CDU stärker da als heute. „Angela Merkels Kurs der Mitte war ihr Erfolgsrezept“, sagt Günther. Und nicht wenige stimmen ihm zu: „In der Sache hat er recht“, heißt es bei denen, die sich wie nahezu alle gerade hinter Parteichef Friedrich Merz versammeln, seinem deutlich konservativeren Kurs aber nicht besonders leidenschaftlich folgen.
Wie geht die CDU mit dieser Frau um, die wie keine andere die Partei geprägt, sie nach ihrem Ausscheiden nach 16 Jahren Kanzlerschaft aber auch kopflos und konfus hinterlassen hat? Und der viele heute vorwerfen, falschgelegen zu haben – in der Russland-Politik, in der Flüchtlingspolitik, beim Atomausstieg. Norbert Lammert meldet sich aus dem Auto. Er und Merkel kennen sich seit Jahrzehnten, Lammert war in ihren ersten Kanzlerinnenjahren Bundestagspräsident.
Sollte sich die Ex-Kanzlerin öfter einmischen? „Angela Merkel muss und wird sich vermutlich nur selten zu tagesaktuellen Fragen äußern. Aber viele im Inland wie im Ausland würden es begrüßen, wenn sich die langjährige Bundeskanzlerin gelegentlich zu Wort meldet“, sagt Lammert. Nach dem Terror der Hamas am 7. Oktober tat sie es und nannte die Angriffe „barbarisch und menschenverachtend“.
Die Lust auf Auseinandersetzung ist ihr nicht vergangen
Dass Merkel ihrer Partei so sichtbar den Rücken kehrt, dass sie in keinem Gremium sitzen will, das hat – auch – mit zwei Männern zu tun: ihrem Vorgänger Helmut Kohl und ihrem Nachfolger Friedrich Merz. Kohl konnte nicht loslassen, er wollte die CDU weiter beaufsichtigen und kontrollieren. Kohl, so haben sie es in der Partei noch lebhaft in Erinnerung, blieb nach seinem unfreiwilligen Abschied von Kanzleramt und Parteivorsitz mit seinem ganzen physischen und politischen Gewicht in den Gremien sitzen und meldete sich permanent zu Wort. Merkel hat hier ein vollkommen anderes Rollenverständnis. Sie, so heißt es, habe immer gesagt: „Wenn ich raus bin, bin ich raus.“ Jeder Satz, das war Merkel klar, würde sofort Spekulationen auslösen.
Und Merz? Wie heikel das Verhältnis zwischen Merkel und ihrem Nachfolger ist, zeigt sich einmal mehr in diesen Wochen: Am 17. Juli wird Merkel 70 Jahre alt. Gibt es ein großes Fest? Einen internationalen Empfang? Ein Abendessen? In der Parteizentrale haben sie sich jetzt auf eine Art Standardantwort geeinigt: „Wir sind in guten Gesprächen dazu.“ Heißt so viel wie: Es ist nicht einfach, zwischen zwei Menschen einen Termin zu planen, die sich am liebsten aus dem Weg gehen. Zu viele Narben, zu wenig Nähe.
Bei der Adenauer-Stiftung dagegen soll es im Herbst, wenn auch ihr Buch erscheint, möglicherweise einen Debattenabend mit Merkel geben, der sich mit ihrer Zeit als Parteichefin und Kanzlerin befasst. Denkbar, dass Merkels subjektiver Blick auf ihre Biografie durch die Stimmen anderer Beobachter ergänzt wird.
Merkel dürfte das gefallen: Die Lust auf Auseinandersetzung ist ihr nicht vergangen. Mitte Mai war sie bei der Abschiedsfeier für Jürgen Trittin, der streitbare Grüne war mal Umweltminister wie sie selbst. An diesem Abend wird deutlich, dass sie es schade findet, dass es im Bund bislang nicht mit Schwarz-Grün geklappt hat. Und nun? Trittin wird am 25. Juli ebenfalls 70 Jahre alt. Wenn man sie fragt, was sie sich für ihren Geburtstag wünscht, winkt sie ab. Darüber habe sie sich noch keine Gedanken gemacht. Es ist gut möglich, dass Merkel tief im Innern aber heute lieber mit den Grünen feiern würde als mit ihrer eigenen Partei.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Mit Misstönen