Wie häufig vermissen Sie das Parlament, Herr Schäfer-Gümbel?
Thorsten Schäfer-Gümbel: Ich war leidenschaftlicher Parlamentarier, habe mich gern in politischen Diskussionen mit anderen gemessen. Heute habe ich eine Management-Aufgabe, die völlig anders verortet ist. Insofern vermisse ich manchmal schon den politischen Streit um den richtigen Weg. Ich trauere dem Parlament aber nicht nach. Gestalten tue ich hier auch – jeden Tag.
Die Bühne, die Ihnen der hessische Landtag oder die SPD-Zentrale in Berlin geboten haben, fehlt natürlich.
Schäfer-Gümbel: Die vermisse ich gar nicht. Öffentliche Präsenz und Inszenierung waren nie meine Antriebsfedern.
16 Jahre im Wiesbadener Landtag, zehn Jahre SPD-Fraktionsvorsitzer, aber auch drei gescheiterte Versuche, Ministerpräsident in Hessen zu werden: Wie bewerten Sie Ihre politische Laufbahn?
Schäfer-Gümbel: In den Kategorien ist meine politische Laufbahn unvollendet. Das gesetzte Ziel, Ministerpräsident in Hessen, konnte ich aus vielfältigen Gründen nicht erreichen. Es war dann nur konsequent, dass ich mich zurückziehe.
Ihre Nachfolgerin als Fraktionsvorsitzende, Nancy Faeser, wurde umgehend zur Bundesinnen- ministerin befördert. Hätten Sie es gern mal als Bundesminister versucht?
Schäfer-Gümbel: Meine politische Biografie ist anders. Ganz ehrlich: Ich war immer ganz froh, wenn ich aus Berlin wieder wegkam. Ich lebe unheimlich gern in Oberhessen in der kleinen idyllischen Stadt Lich.
Immer wieder ist zu hören und zu lesen, wie schwer es Politikern fällt, aus eigenem Entschluss die politische Bühne zu verlassen. Kennen Sie diese Politiksucht?
Schäfer-Gümbel: Ich kenne viele ehemalige Kollegen, denen es extrem schwergefallen ist, loszulassen und zu gehen. Es ist ein schmerzhafter Punkt, denn man macht Politik mit hoher intrinsischer Motivation. Von dem einen auf den anderen Moment aufzuhören, verändert das Leben fundamental. Ich selbst habe eine extreme Variante gewählt: Mein letzter politischer Termin war die Strategieklausur des SPD-Parteivorstands am 29. September 2019. Ich hatte einen Tag Urlaub und habe am 1. Oktober meine Aufgabe als Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektor der GIZ begonnen. An dem Tag habe ich Twitter und Facebook abgeschaltet und bin von dem einen ins andere Leben gegangen.
Warum so radikal?
Schäfer-Gümbel: Weil ich in der neuen Rolle nicht Teilzeit-Politik machen wollte. Das ging unter gar keinen Umständen. Ich wollte mich aus dem öffentlichen politischen Raum komplett herausnehmen. Ich will definitiv die Politik nicht von der Seitenlinie aus kommentieren. Wer einen Rat will, bekommt ihn – aber nur im nicht-öffentlichen Raum.
Noch einmal ins Jahr 2019: Wie und wem signalisiert man, dass man eine neue Aufgabe sucht?
Schäfer-Gümbel: Am Tag nach der verlorenen Hessen-Wahl habe ich die damalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles informiert, dass ich nur noch für eine Übergangszeit in Hessen zur Verfügung stehe und mich beruflich neu orientieren werde. Wohin mich dieser Schritt führen würde, war mir anfangs nicht klar. Ich wollte auch eine geordnete Übergabe organisieren. Diesen Schritt war ich auch meiner Familie schuldig, die sehr lange einen sehr hohen Preis für mein politisches Engagement gezahlt hat. Übrigens merke ich heute, wie gut dieser Schritt der Familie getan hat.
Ihnen selbst auch?
Schäfer-Gümbel: Mir tut es auch gut.
Ihr Wechsel aus dem hessischen Landtag in den GIZ-Vorstand wurde mit öffentlicher Kritik begleitet. Nach dem Motto: Da rettet sich einer in ein staatliches Unternehmen mit sehr guter Bezahlung. Hat Sie das geärgert?
Schäfer-Gümbel: Es gab auch positive Stellungnahmen, und über die habe ich mich gefreut.
Worin lag anfangs für Sie der größte Unterschied zwischen der alten politischen Aufgabe und der neuen im Management?
Schäfer-Gümbel: Der größte Unterschied von der politischen Steuerung hin ins Management ist: Alle Entscheidungen wirken viel konkreter und unmittelbarer. Das kann eine veränderte Sicherheitseinschätzung über die Lage in Afghanistan sein, aber auch eine Personalentscheidung.
Nüchtern betrachtet weiß die deutsche Öffentlichkeit nicht wirklich, was die GIZ so treibt. Ist das in Ihrem Sinne?
Schäfer-Gümbel: Wir sind ein Bundesunternehmen, und politische Kommunikation ist nicht unser Auftrag. Das machen die Regierung und unsere Auftraggeber. Wir konzipieren und setzen um. Wir sind die Macher. Natürlich bin ich dankbar, wenn ich in einem Interview wie diesem berichten kann, was wir tun und warum Entwicklungszusammenarbeit heute wichtiger ist denn je. Wir kämpfen weltweit mit den Folgen einer Pandemie, einer Klimakrise und eines Kriegs in Europa, der die Ernährungssituation weiter verschärft. Die Entwicklungsfortschritte der letzten Jahrzehnte wurden teils deutlich zurückgeworfen, die Armutsquote steigt wieder. Die Zahl der hungernden Menschen ist um 150 Millionen gestiegen. Wir stehen dafür, dass der Fortschritt konkret stattfindet. Wir sind überzeugt, dass das Leben der Menschen dort besser wird, wo wir als GIZ unterwegs sind.
Inwiefern dient Ihre Organisation den deutschen Bürgern?
Schäfer-Gümbel: Wir dienen auch den Bürgerinnen und Bürgern Deutschlands. Ein Beispiel: Der Bereich Klima und Energie macht rund ein Drittel unserer Arbeit aus. Und diese Arbeit zahlt auch auf die Lebensbedingungen in Deutschland ein. Wir leisten einen Beitrag, die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen.
Die GIZ ist auch in der türkischen Erdbebenregion tätig. Inwiefern ist sie da jetzt gefordert?
Schäfer-Gümbel: Wir sind zutiefst betroffen von den Nachrichten und Bildern, die uns aus den Erdbebenregionen erreichen. Unsere Kolleg*innen und deren Kernfamilien dort sind glücklicherweise körperlich unversehrt geblieben. Wir kümmern uns jetzt unermüdlich darum, dass sie mit dem Nötigsten versorgt sind – sichere Unterkünfte und Lebensmittel zum Beispiel. In der Region um Gaziantep arbeiten wir schon seit einigen Jahren, unterstützen syrische Geflüchtete und aufnehmende Gemeinden. Diese bestehenden Strukturen können wir jetzt nutzen, um den Menschen vor Ort in ihrer Notlage schnell zu helfen, beispielsweise mit psychosozialer Unterstützung und warmen Mahlzeiten.
Warum ist zum Beispiel China noch ein Partner der GIZ?
Schäfer-Gümbel: Wir sind in China präsent, aber wir machen dort keine Entwicklungszusammenarbeit mehr. Wir arbeiten vorrangig zu Klimaschutzfragen, denn ohne China werden wir das Klimaproblem nicht lösen können.
Wie wichtig wird die Ukraine mittelfristig für Ihre Arbeit?
Schäfer-Gümbel: Die Ukraine war schon vor dem Krieg ein wichtiges Thema für uns. Derzeit sind wir in 32 Projekten vor Ort unterwegs. Wir unterstützen die Menschen zum Beispiel bei der Versorgung mit Strom und Notunterkünften, statten Katastrophenschutz und Feuerwehr aus und kümmern uns um Binnengeflüchtete. Für uns ist Krise Alltag. Zwei Drittel unserer Einsatzländer sind fragile Länder.
Welche Ergebnisse müssen Sie sehen, um sagen zu können: Ziel erreicht. Wir können uns aus einem Land zurückziehen?
Schäfer-Gümbel: Messen können wir fast alles. Denn Wirksamkeit ist die wichtigste Herausforderung, die unsere Auftraggeber an uns stellen. Es gibt kaum ein anderes Politikfeld, das so sehr auf Wirksamkeit geprüft wird. Und natürlich verlassen wir auch wieder Länder und Themenfelder, wenn sich Schwerpunkte verschieben.
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