Mannheim. Frau Mast, Ihre Mutter hat vier Kinder alleine aufgezogen, die Familie lebte von Sozialhilfe. Hätten Sie mit dieser Biografie Familienministerin Lisa Paus bei ihrem Kampf um die Kindergrundsicherung nicht mehr helfen müssen?
Katja Mast: Ich habe bei jeder Gelegenheit deutlich gemacht, dass die SPD der Garant dafür ist, dass die Kindergrundsicherung kommt. Politik ist dann besonders effizient, wenn man nicht immer alles nach Außen bringt und lautstark dagegenhält. Die Bundes-SPD hat die Kindergrundsicherung selbst beschlossen und in dieser Legislaturperiode wichtige Grundlagen geschaffen.
Welche denn?
Mast: Wir haben die größte Kindergelderhöhung seit den 1990er Jahren durchgesetzt, jetzt gibt es für jedes Kind 250 Euro im Monat. Auch den Kinderzuschlag haben wir erhöht. Den bekommen Eltern, die nicht genug verdienen, um ihre Kinder angemessen über die Runden zu bringen. Das war alles nicht leicht. Bei diesem Kampf war ich jeden Tag dabei. Insgesamt summieren sich diese Leistungen auf sieben Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode und sind ein Meilenstein auf dem Weg zur Kindergrundsicherung.
Noch mal: War es falsch, dass Paus das Enlastungsgesetz für die Wirtschafts im Kabinett blockiert hat, um mehr Geld für sich herauszuschlagen?
Mast: Ich finde, dass die Fokussierung auf einen bestimmten Milliarden-Betrag falsch war. Wir hätten besser darüber gesprochen, was wir mit der Kindergrundsicherung erreichen wollen: Kinderarmut in Deutschland bekämpfen.
Warum denn?
Mast: Weil es darum geht, die Strukturen zu verändern. Und damit sind wir wieder bei meiner Biografie: Meine Mutter ist halbtags putzen gegangen, trotzdem hat das Geld nie gereicht. Ich erinnere mich gut daran, dass es für meine Mutter das Anspruchsvollste war, zu wissen, was kann ich wo beantragen und wie kann ich mir die Zeit herausschneiden, um auf die zuständigen Ämter gehen zu können. Meine Mutter hat sich übrigens für jeden Antrag geschämt, den sie stellen musste, auch daran erinnere ich mich gut. Deshalb wollen wir es für die Bürgerinnen und Bürger auch einfacher machen, damit das Geld automatisch kommt und die Eltern nicht von Pontius zu Pilatus rennen müssen damit ihre Kinder die Leistungen bekommen. Ich musste früher immer mitgehen. Ich war diejenige, die von der Hauptschule aufs Wirtschaftsgymnasium ging und deshalb für das Schriftliche verantwortlich war. Wir haben lange gebraucht, bis wir wussten, dass man Sommer- und Winterbekleidung beantragen kann.
Aber am Ende des Tages hat Paus doch 2,4 Milliarden Euro bekommen. Das sind 400 Millionen mehr, als ihr Finanzminister Christian Lindner geben wollte.
Mast: Es ist richtig, dass im Haushaltsansatz erst nur zwei Milliarden Euro standen und es jetzt 2,4 Milliarden Euro sind. Denn jetzt nach der Einigung in der Koalition ist es eine berechenbare Größe. Aber ich habe ja schon gesagt, dass diese Zahlenspiele die falsche Auseinandersetzung sind. Viel wichtiger ist es doch, wie denn die Kindergrundsicherung berechnet wird und wie alle Leistungen einfacher zu den Kindern kommen. Alle Kinder sollen ja grundsätzlich das Gleiche bekommen, Bedürftige aber mehr. Wir haben uns inzwischen auf eine neue Regelsatzberechnung geeinigt, die Kinder nicht nur als kleine Erwachsene behandelt, sondern ihre eigenen Bedarfe betrachtet werden.
Hätte die Koalition nach dem ganzen Gezerre um das Heizungsgesetz das Thema nicht vorher abräumen müssen?
Mast: Was heißt abräumen? In der Kabinettssitzung, in der es um das Wachstumschancengesetz ging, stand die Kindergrundsicherung gar nicht auf der Tagesordnung. Denn es war klar verabredet, dass die Einigung in der Bundesregierung bis Ende August erfolgt. Das ist ja auch gelungen. Jetzt ist das Wachstumschancengesetz von der Bundesregierung verabschiedet, kommt bald in den Bundestag, und entlastet vor allem kleine- und mittlere Unternehmen.
Katja Mast
- Katja Mast ist seit 2021 Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion.
- In dieser Funktion koordiniert sie organisatorisch und auch inhaltlich die Abgeordneten der Sozialdemokraten und dient als Schnittstelle für die anderen Fraktionen.
- Katja Mast wurde 1971 in Offenburg geboren und seit 2005 Mitglied des Bundestages.
- Sie studierte Lehramt auf Gymnasium.
Das war also das eigene Ding von Lisa Paus?
Mast: Ja, so wirkte es.
Damit hat sie auch Wirtschaftsminister Robert Habeck geschadet, der ja die Kindergrundsicherung vorher schon durchgewinkt hatte.
Mast: Es ist jedenfalls nicht gut, wie das abgelaufen ist. Die Kinder-grundsicherung war klar in der Ampel vereinbart. Sie steht auch eindeutig im Koalitionsvertrag. Von daher war der Anschein einer Zurück-auf-Los-Debatte nicht hilfreich.
Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha hat den Kanzler in die Pflicht genommen. Olaf Scholz hätte bei der Kindergrundsicherung eingreifen müssen.
Mast: Das kann ich nicht nachvollziehen. Und Olaf Scholz hat die Familienministerin doch per Brief aufgefordert, bis spätestens Ende August konkrete Vorschläge für die Kindergrundsicherung vorzulegen und eine Einigung bis Ende August herbeizuführen. Das fand ja jetzt mit tatkräftiger Unterstützung des Bundeskanzlers statt. Von Manne Lucha erwarte ich, dass das grün regierte Baden-Württemberg der Kindergrundsicherung im Bundesrat zustimmt. Hier entscheidet sich doch, ob die Grünen in Bund und Land geschlossen sind oder nicht.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich vor dem Koalitionstreffen auf Schloss Meseberg in dieser Woche „ein gutes Miteinander“ gewünscht. Warum streitet die Ampel ständig?
Mast: Glauben Sie mir, wir alle haben gemerkt, wie sehr die vor allem öffentlich geführte Debatte über das Heizungsgesetz dem Ansehen der Koalition geschadet hat.
Hat das inzwischen jeder kapiert?
Mast: Das hoffe ich. Die Bevölkerung hat sich geärgert, weil sie das Gefühl hatte, dass wir ein Heizungsgesetz ohne sozialen Ausgleich machen wollten. Denn es geht ja um Klimaschutz, den man sich leisten können muss.
Das war ja nicht nur ein Gefühl.
Mast: Im durchgestochenen Referentenentwurf aus dem Wirtschaftsministerium stand in der Tat nichts zur sozialen Förderung drin. Das ging natürlich überhaupt nicht. Der Beschluss der Ampel in der Regierung sah schon anders aus, mit einer klaren sozial gestaffelten Förderung. Uns im Parlament war klar, dass wir da nochmal nachsteuern müssen. In der nächsten Woche beschließen wir nun ein völlig überarbeitetes Heizungsgesetz. Es geht auf die berechtigten Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ein. Und wir regeln, dass die Kommunen eine kommunale Wär-meplanung machen müssen, so dass jeder weiß, welche Heizungsarten in seiner Straße wann verfügbar sind. Entscheidend ist für mich, dass wir jetzt auch eine sehr starke soziale Förderung haben. Das Gesetz ist ausgewogen und setzt nicht nur auf die Wärmepumpen. Es geht auch auf die Bedürfnisse der Besitzer von Pellet-Heizungen ein.
Jetzt bekommen aber auch Leute Geld, die es gar nicht bräuchten.
Mast: Ich hätte kein Problem damit gehabt, wenn wir bei der Förderung, bei denen aufgehört hätten, die den Spitzensteuersatz zahlen. Die SPD hat sich da klar positioniert.
Das ist auch keine Überraschung bei einer Partei wie der SPD.
Mast: Nicht, dass wir uns da falsch verstehen. Natürlich treten wir als SPD für soziale Gerechtigkeit ein. Wir sind aber eine Volkspartei. Wir sprechen also nicht nur für eine Gruppe oder ein Thema. Deshalb haben wir eigene Antworten für eine starke Wirtschaft und ambitionierten Kli-maschutz. Denn wir wissen Deutschlands Stärke und unsere Zukunft braucht alle drei Faktoren, also starke Wirtschaft, sozialen Ausgleich und den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlage. Wir bauen wie kein anderes Land unsere Industriegesellschaft um und setzen auf erneuerbare Energien. Mir ist am liebsten, wenn wir die notwendigen Produkte hier in Deutschland herstellen und sie auch in andere Länder verkauft werden. Und dabei würde uns auch ein Industriestrompreis helfen.
Noch mal zurück zum Koalitionsklima. Lucha wirft Ihrer Partei vor, dass sie sich im Zweifelsfall immer auf die Seite der FDP schlagen würden.
Mast: Das sehe ich anders. Jeder Partner in dieser Koalition hat seine eigene Handschrift – und das ist auch gut so. Wir wollen beispielsweise auch mehr Schutz für Mieterinnen und Mieter – da muss Bundesjustizminister Buschmann von der FDP ins Handeln kommen. Ich will aber mal daran erinnern, dass es Kanzlerin Angela Merkel nach der Bundestagswahl 2017 nicht einmal gelungen ist, mit den Grünen und der FDP eine Koalition zu Stande zu bekommen. Dreier-Bündnisse mit so unterschiedlichen Parteien sind immer anspruchsvoll. Da muss man sich schon überlegen, welcher Führungsstil angemessen ist. Die alte Basta-Politik …
eines Gerhard Schröders …
Mast: . . . ist nach meiner Einschätzung nicht die richtige Strategie für die Ampel …
… aber vielleicht ein bisschen mehr Basta …
Mast: … lieber ein bisschen mehr erklären. Wir brauchen da schon eine andere Form von Führung als in der Vergangenheit. Natürlich arbeiten wir auf allen Ebenen – also Partei, Fraktion und Regierung – mit unseren Koalitionspartnern intensiv zusammen. Unsere Aufgabe ist es ja, eine bessere Zukunft und mehr Fortschritt für unser Land hin zu bekommen.
Wie wollen Sie denn als Volkspartei Deutschland in eine sichere Zukunft führen?
Mast: Wir merken ja alle beim Einkaufen, dass alles teurer wird, selbst die Kugel Eis. Und je weniger man verdient, umso mehr weiß man das. Wir haben da massiv gegengesteuert unter andrem durch die Energie-preisbremsen, den Ausbau der Flüssiggasterminals und den Entlas-tungspaketen. Die Union hat vieles in der alten Koalition blockiert, insbesondere ist sie nie in den Ausbau der erneuerbaren Energie eingestie-gen. Sie hat bis kurz vor dem Wahltag bestritten, dass wir in Deutschland in Zukunft mehr Strom brauchen. Es gab da ja nicht nur eine Lethargie-Delle in der Wirtschaft. Es war doch der Union mit ihrem Wirtschaftsminister Peter Altmaier völlig unklar, wohin sie mit Deutschland will. Wie wir die Klimaneutralität hinbekommen und gleichzeitig unseren Industriestandort erhalten und ausbauen wollen. Die Stärke Deutschlands, dass wir durch all die Krise der Vergangenheit gut durchgekommen sind, hat etwas mit unserer Industrie, damit dass hier produziert wird, zu tun. Sie ist der Kern, damit es auch den anderen Bereichen gut geht. Damit gebaut wird, damit man beim Bäcker einkaufen kann und Dienstleistungen nachgefragt werden. Auch deshalb brauchen wir einen Industriestrompreis.
Dafür hat der Ludwigshafener Chemiekonzern BASF ja schon viel Lobbyarbeit betrieben.
Mast: Stopp, es geht nicht nur um die großen Konzerne wie die BASF, sondern auch um die mittelständischen Betriebe. Es geht um energieintensive Unternehmen, deren Energieanteil an der Produktion und den Kosten besonders hoch ist. Der Strom ist einfach gegenwärtig zu teuer. Er wird natürlich billiger, wenn wir die Erneuerbaren stark ausgebaut haben. Aber die Betriebe überlegen ja jetzt, wo sie investieren. Wir müssen einfach sehen, dass viele Unternehmen dabei das Ausland im Auge haben. Auch die USA locken die Investoren mit Subventionen. Wir können nicht zulassen, dass wir die gut bezahlten Industriearbeitsplätze verlieren. Auch wir wollen keine Dauer-Subventionen, der Deckel für den Industriestrom soll nur für fünf Jahre bei fünf Cent liegen. Und zwar mit harten Bedingungen: Standort- und Beschäftigungsgarantie, Tarifbindung und Investitionen in den Klimaschutz. Und für jene die sich besonders gut engagieren, noch einen Klima-Bonus extra. Und wieso - weil wir gut bezahlte Industriearbeitsplätze heute und in Zukunft hier in Deutschland brauchen, als Motor auch für alle anderen Bereiche.
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