Berlin. Ungerecht, ineffizient und trotzdem teuer: Die Kritik am deutschen Bildungssystem ist seit Jahrzehnten groß. Doch so heftig wie jetzt war der Druck noch nie. Grund ist die anhaltend hohe Zahl an geflüchteten Kindern bei gleichzeitigem Fachkräftemangel. Zu diesem Ergebnis kommt der Bericht „Bildung in Deutschland 2024“, der durch die Kultusministerkonferenz und das Bildungsministerium gefördert wird. „Der Bildungserfolg hängt immer noch stark von der sozialen Herkunft ab – wir wollen dies nicht länger hinnehmen“, sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bei der Vorstellung des Berichts. Alle zwei Jahre gibt der nationale Bildungsbericht einen Überblick über den Zustand des deutschen Bildungssystems. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
„Das System arbeitet vielerorts bereits am Anschlag“, sagt Professor Kai Maaz. Der Sprecher der Studienautoren findet deutliche Worte. Gerade der Fachkräftemangel sei hier ein zentrales Problem: Es gebe viel zu wenig Lehrkräfte, zu wenig Erzieherinnen und Erzieher. Auch die Digitalisierung laufe nur schleppend voran. Hinzu komme die Zuwanderung: Die hohe Zahl an Geflüchteten und Migranten im Schulsystem verstärke die soziale Ungleichheit.
Welche Rolle spielt der Migrationshintergrund?
Über den Bildungserfolg entscheidet vor allem das Elternhaus und weniger die Schule, so eine alte Erkenntnis, die auch im aktuellen Bericht bestätigt wird. Schon im Grundschulalter erreichen viele Kinder die Mindestanforderungen nicht. Für Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, liegt das am hohen Anteil von Kindern, die kaum oder gar nicht Deutsch sprechen können. „Das überfordert die Kolleginnen und Kollegen“, sagte er dieser Redaktion. „Sie können schließlich kein Farsi und auch kein Ukrainisch. Wie sollen sie da unterrichten?“ Ihm sind ganze Klassen bekannt, die das Ziel am Ende des Schuljahres nicht erreichen. Schließlich wirke sich der hohe Migrationsdruck auf den Schulalltag aus: „Je höher der Prozentsatz der Zugewanderten, desto schwieriger die Motivation in der Klasse,“ sagt der Lehrerpräsident. Seine Befürchtung: „Es kann durchaus passieren, dass die Gruppe der Analphabeten größer wird“. Die Spätfolgen sind auch den Autoren der des Berichts bewusst. Sie verweisen auf die schon jetzt hohe Zahl von gering qualifizierten Menschen zwischen 25 und 35 Jahren, die weder eine Ausbildung abgeschlossen noch eine Hochschulreife haben. Auch der Anteil der Schulabbrecher ist wieder gestiegen.
Wird denn genug in Bildung investiert?
Laut Bericht belief sich das Bildungsbudget aus öffentlicher und privater Hand auf rund 264 Milliarden Euro – ein Anstieg um 46 Prozent in den letzten zehn Jahren. Die Autoren betonen jedoch, dass der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt allerdings im gleichen Zeitraum nur um 0,2 Prozent gestiegen ist – zu wenig, um den gestiegenen Bedarf zu decken, so die Forscher. Und egal, wie viel investiert und reformiert werde: „Das System hängt immer hinterher, weil ständig neue Aufgaben hinzukommen, sagt Stefan Düll. „Es geht zu schnell.“
Verschärft sich der Fachkräftemangel?
Die Expertinnen und Experten sind sich einig: Es müssten viel mehr Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieher eingestellt werden. „Unterschiedliche Kinder brauchen individuelle Betreuung – was ein Schulsystem, das an der Grenze ist, nicht leisten kann“, sagt Dirk Heyartz, Vorsitzender des Bundeselternrats. Doch der Fachkräftemangel im Bildungsbereich ist besonders groß. Ohne Seiteneinsteiger kommen die Schulen schon jetzt nicht mehr aus. So wurden 2023 bereits zwölf Prozent der Lehrkräfte ohne das klassische Lehramtsstudium eingestellt. Auch in den Kitas und der beruflichen Bildung ist die Personaldecke dünn und wird bis 2025 dünn bleiben – trotz steigender Beschäftigungszahlen. Und in den Berufsschulen ist die Hälfte der Lehrkräfte älter als 50.
Wie ist der Stand der Digitalisierung?
Die Digitalisierung könnte den Fachkräftemangel abmildern, heißt es im Bericht. Doch das Potenzial bleibe oft ungenutzt. Ein Beispiel ist die individuelle Förderung von Schulkindern: Mit digitalen Unterrichtsmaterialien und Online-Programmen könnten Lehrerinnen und Lehrer entlastet werden. Zwei Drittel der Lehrkräfte erklären laut Bericht allerdings, dass sie sich in der Nutzung digitaler Medien noch fortbilden müssten. Diese mangelnde Kompetenz der Lehrkräfte kritisierte die Bundesschülerkonferenz. Auch die technische Ausstattung und Infrastruktur sei oft mangelhaft – gerade in strukturschwachen Gegenden. „Das muss sich ändern, damit die Lernenden in einer zunehmend digitalen Welt nicht abgehängt werden.“ Besser sieht es in der Fort- und Weiterbildung von Erwachsenen aus: Jede dritte Weiterbildungsveranstaltung finde komplett online statt. „Bildungsprozesse müssen zudem vermehrt digital gestaltet und der Kulturwandel durch die Digitalisierung mitgedacht werden“, so Kai Maaz. Daraus könnten sich aber auch neue Ungleichheiten ergeben: Es hat eben nicht jeder das erforderliche iPad oder den Laptop.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/politik_artikel,-politik-schulen-vor-dem-kollaps-_arid,2216994.html