Rio de Janeiro. Ein Blick in die internationale und deutsche Medienlandschaft macht deutlich: Es gibt Anlass zur Hoffnung für den Amazonas-Regenwald. Kaum ein Politiker ist mit so viel Vorschusslorbeeren überhäuft worden wie Brasiliens ehemaliger und künftiger Präsident Luiz Inacio Lula da Silva (77). Der Grund für die Euphorie in Europa und in den USA: Lula – wie ihn seine Anhänger rufen – hat im Wahlkampf ein historisches Versprechen abgegeben. Und nun auf der gerade zu Ende gegangenen UN-Klimakonferenz COP27 in Ägypten noch einmal nachgelegt. Lula will etwas schaffen, das bislang noch keinem brasilianischen Staatsoberhaupt gelungen ist: Eine Null-Abholzung-Strategie umzusetzen.
Doch wie realistisch ist dieses Versprechen? Lulas eigene Umweltbilanz in seinen ersten Amtszeiten von 2003 bis 2011 ist – aus heutiger Sicht – durchwachsen. Er hatte damals eine Abholzungsrate von durchschnittlich etwa 15 600 Quadratkilometern pro Jahr zu verantworten. Der noch amtierende Präsident, der international isolierte Rechtspopulist Jair Bolsonaro, kommt in seinen ersten drei Amtsjahren auf etwa 11 405 Quadratkilometern (2019 bis 2021, die Zahlen für das gesamte Jahr 2022 liegen noch nicht abschließend vor). Der kleine, aber entscheidende Unterschied ist die Tendenz: Lulas Zahlen gingen ab dem dritten Regierungsjahr nach unten, Bolsonaros Zahlen von Beginn an nach oben.
Chinas Appetit auf Sojabohnen
Marcelo Rocha, Aktivist von „Friday for Future“ Brasilien, sieht im Gespräch mit dieser Zeitung die Chance für eine Kehrtwende: „Wir kommen von einer Regierung Bolsonaro, die Brasilien von internationalen Partnern entfernt hat, die den Amazonas-Fonds ablehnte, die sich internationalen kollektiven Aktionen verweigerte. Wir hatten an Glaubwürdigkeit verloren. Lulas Auftritt vor der Klimakonferenz war deshalb sehr wichtig.“
Lulas hohe Abholzungsquote ist seiner ersten Amtszeit geschuldet, als er mit aus heutiger Sicht apokalyptischen 25.396 (2003), 27 772 (2004) und 19 014 (2005) Quadratkilometern begann, also sogar mehr als doppelt so viel wie heute unter Bolsonaro abgeholzt wurde. Damals setzte Lula alles auf die Karte Wirtschaftswachstum um jeden Preis. Die New York Times kommentierte jüngst: „In Lulas erster Amtszeit trug Chinas unersättlicher Appetit auf brasilianische Sojabohnen, Eisenerz, Öl und Fleisch dazu bei, ein schnelles Wachstum anzuheizen, das Brasilien bis 2012 zur sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt machte.“
Die Weichen für die ökonomisch so erfolgreiche Agrar-Industrie und die Erdölförderung wurden damals gestellt. Unmittelbar nach den Wahlen gab der Erdölkonzern Petrobras bekannt, dass die wohl dickste Erdölschicht in der Geschichte Brasiliens im Meeresboden 250 Kilometer vor der Küste von Rio de Janeiro gefunden wurde. Die BBC kommentierte deswegen vor wenigen Tagen: „Das Öl kann zur ’Achillesferse’ von Lulas Umweltpolitik werden.“
Streng genommen muss Lula das von ihm einst mit aufgebaute Wirtschaftsmodell Brasil ganz neu erfinden. Dass das möglich ist, davon ist zum Beispiel Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, fest überzeugt: „Mit Präsident Lula hat Brasilien jetzt die Chance, wegzukommen von einer Wirtschaft, die auf Waldzerstörung basiert. Brasilien kann ein Powerhouse für nachhaltige Landwirtschaft und eine der führenden Nationen der neuen grünen Wasserstoffwirtschaft werden“.
Einladung an den Amazonas
In Ägypten ließ Lula nun zum ersten Mal erste Details durchblicken: „Wir werden keine Anstrengungen scheuen, die Entwaldung und den Verfall unserer Ökosysteme bis 2030 auf Null zu bringen.“ Interessant dabei: Lula will nach eigenen Angaben nur noch eine Amtszeit regieren, Ende 2026 wäre er 81 Jahre. Die Umsetzung dieses Jahrhundertversprechens kann und will Lula also nur einleiten, vollenden muss sie dann die Präsidentschaft 2026 bis 2030.
Für Lula sprechen zwei Fakten: Die deutliche Reduzierung während seiner zweiten Amtszeit (2007 – Ende 2010) und der Versuch die Klimaschutzkonferenz COP im Jahr 2025 an den brasilianischen Amazonas holen zu wollen. Dann wird er angesichts seines weltweit gefeierten Versprechens Erfolge vorweisen müssen, er setzt sich also selber unter enormen Erfolgsdruck. „Ich denke, das ist ein sehr wichtiger Vorschlag, weil er der Dimension des Problems gerecht wird“, sagt Aktivistin Rafaela Albergaria, die in Ägypten vor Ort war, im Gespräch mit dieser Zeitung zu einer möglichen Konferenz im Regenwald. „Die Schaffung eines Ministeriums für indigene Völker ist ein sehr wichtiger Schritt in die Richtung der angekündigten Politik.“
Allerdings: Lula hat in der Vergangenheit auch mal gegebene Umweltversprechen gebrochen, die ökologischen Langzeitfolgen des von ihm 2010 genehmigten gigantische Amazonas-Staudamms Belo Monte, für den Tausende Indigene ihre Heimat verlassen mussten, offenbaren sich mehr und mehr. Und dass sich Lula im Privatjet eines Multimillionärs und Parteispenders nach Ägypten fliegen ließ, zeigt, dass den Worten erstmal noch nicht die richtigen Taten folgen.
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