Ukraine Konflikt

Regionale Reaktionen auf Ukraine-Krieg: Kundgebungen in Mannheim und Ludwigshafen

Von 
Julian Eistetter , Agnes Polewka , Peter W. Ragge und Sebastian Koch
Lesedauer: 
Rauch steigt nach einem Angriff von einer Luftabwehrbasis auf. Die russischen Truppen haben ihren erwarteten Angriff auf die Ukraine gestartet. © Evgeniy Maloletka

Rhein-Neckar. Der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) ist erschüttert von der russischen Invasion: "Entsetzt erleben wir trotz der traumatischen Erfahrungen und Verheerungen des 2. Weltkriegs und lange nach der Beendigung des kalten Kriegs einen Rückfall in brutalste Machtpolitik durch kriegerische Gewalt." Seine Gedanken seien bei den Menschen in der Ukraine. Die Stadt Mannheim ist über ihre internationalen Beziehungen vor allem mit Osteuropa verbunden, es gibt Partnerstädte in Polen (Bydgoszcz), Litauen (Klaipėda) und der Republik Moldau (Chişinău). Außerdem gibt es enge Beziehungen zur ukrainischen Stadt Czernowitz. "Aus Czernowitz liegen uns bereits Hilfsanfragen nach Gütern des Zivilschutzes, wie Dieselgeneratoren und mobile Wassertanks, vor", berichtet Kurz. Auch mit der polnischen Partnerstadt Bydgoszcz sei die Stadt Mannheim in engem Austausch. "Dort gibt es eine große ukrainische Community und die Stadt bereitet sich auf die Ankunft ukrainischer Flüchtlinge vor." Die Stadt Mannheim sei im Austausch mit anderen deutschen Großstädten, die ukrainische Partnerstädte haben. Gemeinsam loten die Städte aus, ob mit Hilfe der Bundesregierung kommunale Hilfstransporte in die Ukraine organisiert werden. 

Politik

Solidarität mit der Ukraine: Kundgebungen in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen

Veröffentlicht
Bilder in Galerie
10
Mehr erfahren

Ukrainischer Student in Mannheim erhält um 4 Uhr Anruf aus der Heimat

Ein ukrainischer Student in Mannheim ist außer sich: „Ich bin total aggressiv. Wenn die mich in der Ukraine brauchen, gehe ich sofort dorthin und töte russische Soldaten.“ Oleksandr Koval (21), der an der Universität Mannheim Betriebswirtschaftslehre studiert, ist völlig aufgelöst und aufgewühlt. Deshalb sollte man nicht jeden einzelnen Satz gleich für bare Münze nehmen. Dass Oleksandr Koval seine Aggressionen und die Wut nur schwer kontrollieren kann, versteht sich jedenfalls von selbst. Kurz vor vier Uhr am Donnerstagmorgen hat der junge Mann einen Anruf von einem Freund bekommen. „Er hat gesagt, jetzt geht es los. Ich habe schon vorher nicht richtig schlafen können. Aus Angst. Meine Eltern leben ja in einem Vorort von Kiew. Putin lässt ja jetzt sogar die Hauptstadt bombardieren“, sagt Koval. Kurz nach dem Gespräch melden die Nachrichtenagenturen, dass russische Truppen auf die Hauptstadt Kiew vorrücken.

Lokales

Nationaltheater Mannheim wird in den Farben der ukrainischen Flagge angestrahlt

Veröffentlicht
Laufzeit
Mehr erfahren

Koval selbst will vorerst in Mannheim bleiben, er hofft, dass „seine Mutter und die Frauen“ nach Polen ausreisen können. „Dort haben wir viele Verwandte.“ Der Vater hat dies nicht vor. „Ich kann mir vorstellen, dass er kämpfen will. Die Ukrainer werden sich auf jeden Fall wehren, selbst wenn es vom Ausland keine Hilfe gibt“, sagt er. Der 21-Jährige kann verstehen, dass die Nato nicht militärisch eingreift. „Dann könnte ja der Dritte Weltkrieg ausbrechen“, sagt er. Putins Angriff erinnert ihn an den Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion. „Das war 1941. Der Angriff erfolgte praktisch zur selben Uhrzeit wie jetzt der der russischen Truppen auf die Ukraine.“ Dass es dazu jetzt gekommen ist, erfüllt ihn mit großer Trauer. „Ein wenig mehr Hilfe hätten wir uns schon erwartet. Wir haben jetzt monatelang vor einem Krieg gewarnt und der Welt gesagt: Macht was. Aber es ist nichts passiert. Jetzt ist es zu spät.“ Die USA und die EU haben doch jetzt Sanktionen beschlossen, können die Putin in die Knie zwingen? „Diese Sanktionen machen jetzt keinen Sinn mehr“, glaubt Koval.

Kirchenrat der russisch-orthodoxen Kirche in Mannheim spricht sich für harte Sanktionen aus

Andrey Luzhbin (43) hat vor 22 Jahren Russland verlassen und besitzt inzwischen auch einen deutschen Pass. Er kann es noch immer nicht fassen, dass Putin tatsächlich einen Krieg gegen die Ukraine angezettelt hat. „Das hätte ich mir nicht vorstellen können. Mir tun die Ukrainer sehr leid. Wir müssen doch alle zusammenhalten“, sagt der Kirchenrat der russisch-orthodoxen Kirche. Kann sich Putin auf die Unterstützung seiner Landleute verlassen? „Ich glaube nicht, dass die Russen es gut finden, dass ihr Präsident jetzt die ganze Ukraine angreift. Was will er denn mit dem Land machen“, fragt sich Luzhbin. Die aggressiven Worte des Kremlherrn machen ihm Angst. „Er droht der Nato. Was soll das? Will er jetzt auch noch das Baltikum oder Deutschland angreifen? Das ist doch alles Wahnsinn.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.

Mag sein, dass Putin sich von harten Sanktionen nicht beeindrucken lassen wird. Aber der Kirchenrat geht davon aus, dass die Strafmaßnahmen das Leben der Russen stark beeinträchtigen werden. „Alles wird teurer werden. Es wird keine neuen Computer mehr geben. Ich glaube, Russland wird 30 Jahre zurückfallen.“, sieht er schwarz für die Entwicklung seiner früheren Heimat. Dennoch spricht er sich für harte Sanktionen aus: „Unter diesen Bedingungen kann man keine Beziehungen mehr haben. Es darf auch kein russisches Gas mehr fließen“, sagt der Abteilungsleiter bei einem Pfälzer Energieversorger. Und er weiß, dass er seine Eltern, die noch in Russland leben, wahrscheinlich länger nicht mehr sehen wird.

Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Steinruck zutiefst erschüttert

Die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (SPD) reagiert ähnlich wie ihr Mannheimer Amtskollege. "Wir sind zutiefst erschüttert angesichts des Angriffs Russlands auf die Ukraine und verurteilen ihn aufs Schärfste", sagte die 59-Jährige auf Anfrage dieser Redaktion. "Was wir heute erleben müssen, ist ein brutaler Bruch des Völkerrechts durch Russland, ein brutaler Angriff auf unsere demokratische und friedliche Ordnung. Unsere ganze Solidarität und unser Mitgefühl gelten den Menschen in der Ukraine", betonte sie. "Das sage ich als überzeugte Europäerin und Demokratin. Wir werden die weiteren Entwicklungen eng verfolgen. Und uns muss klar sein, dass dieser Krieg Putins auch Folgen für uns haben wird", so die ehemalige Europaabgeordnete.

Kundgebungen in Mannheim und Ludwigshafen

Am frühen Abend haben sich am Mannheimer Paradeplatz laut Veranstalter 200 bis 300 Menschen ihre Solidarität mit der Ukraine ausgedrückt. Bei der von mehreren Mannheimer Jugendorganisationen veranstalteten Kundgebung sprachen neben den Mannheimer Bundestagsabgeordneten Isabel Cademartori und Konrad Stockmeier auch Landtagsabgeordnete Elke Zimmer. Alle drei verurteilten den Angriff Russlands auf die Ukraine scharf und sprachen von einem Bruch des Völkerrechts. Bei einer anschließenden offenen Runde appellierten unter andetem in Mannheim lebende Ukrainer in teilweise emotionalen Beiträgen für Unterstützung und Solidarität mit ihrem Heimatland.

Eine weitere Demonstration ist für Freitag geplant: „Man wacht morgens auf und ist in einer anderen Welt“, fasst Grünen-Stadtrat Gerhard Fontagnier zusammen, was wohl viele Menschen auch in Mannheim am Donnerstag gefühlt haben. Unter dem Motto „Frieden, Solidarität und Zusammenhalt! Stoppt Putin!“ organisieren er und Parteifreund Chris Rihm am Freitag, 18 Uhr, eine Demonstration auf dem Toulonplatz. „Es ist wichtig, dass es eine Möglichkeit gibt, Solidarität gemeinsam auszudrücken und zusammenzustehen“, sagen die beiden dieser Redaktion. „Wir haben in Russland einen durchgeknallten Despoten, der nach vorne marschiert und nur 1600 Kilometer von uns entfernt ist“, erklärt Fontagnier, der mit Rihm zuletzt bereits im Zusammenhang mit nicht angemeldeten Corona-Demos Menschenketten organisiert hatte.

Vor den in ukrainischen Landesfarben angestrahlten Reiss-Engelhorn-Museen soll etwa eine Live-Schalte ins ukrainische Czernowitz stattfinden, einer Kooperationsstadt Mannheims. Zudem soll die in Heidelberg lebende russische Friedensaktivistin Larissa Bogacheva genauso sprechen wie Vertreter der Kommunalpolitik. Weitere Redner sind angefragt. „Wir werben für ein parteiübergreifendes und breites gesellschaftliches Bündnis.“

Zu einer überparteilichen Kundgebung am Donnerstagnachmittag um 18 Uhr auf dem Berliner Platz in Ludwigshafen riefen der Grünen-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Ludwigshafen-Frankenthal, Armin Grau, sowie die Stadtratsmitglieder Gisela Witt und Hans-Uwe Daumann auf. "Wir fordern Russland und Putin auf: Stoppen Sie den Krieg! Ziehen Sie Ihr Militär zurück! Respektieren Sie die Souveränität der Ukraine und den Willen des ukrainischen Volkes!", heißt es in der Ankündigung.

Glockenläuten und Gebete aus der Region für Menschen in der Ukraine

Der Mannheimer Dekan Ralph Hartmann der Evangelischen Kirche ist bestürzt über die russischen Angriffe auf die Ukraine: "Für die Menschen ist das eine Katastrophe. Krieg bedeutet Tod, Verwüstung und unendliches Leid." Der Angriff und die begleitende Rhetorik seien auch für den Frieden in Europa eine Gefahr. "Wir beten für die Menschen in der Ukraine. Wir beten für ein Ende der Eskalation und Frieden in Europa. Die allermeisten Menschen wollen in Frieden miteinander leben. Dazu gibt es keine Alternative. Dafür setzen wir uns ein."

Der katholische Stadtdekan Karl Jung äußerte sich "erschüttert, dass diplomatische Wege den Frieden in der Ukraine nicht sichern konnten". Er bete nun für den Frieden in dieser Region und ganz Europa. "Meine Gedanken und Gebete sind bei den Menschen im Kriegsgebiet", so Jung. In der Markplatzkirche St. Sebastian biete das Dekanat ab sofort einen Ort, an dem jeder – ob gläubig oder nicht - "seiner Fassungslosigkeit, seinem Entsetzen, seiner Hilflosigkeit, aber auch seiner Sehnsucht nach Frieden Ausdruck verleihen kann", kündigte Jung an. "Entzünden wir ein Meer von Kerzen und zeigen wir unseren Willen zum Frieden in diesen für Europa so dunklen Stunden", appellierte er an die Mannheimer, Zudem werde es in den Gottesdiensten in der Innenstadt an diesem Wochenende Fürbitten und Gebete für den Frieden in der Ukraine geben. Wie der Dekan berichtete, sprach er sofort mit dem Pfarrer der Ukrainisch-katholischen Gemeinde in Mannheim, Igor Sapun. Er habe ihm berichtet, "dass Menschen in der Ukraine voller Angst sind". Auch die Westukraine sei nicht mehr sicher und die Grenzen zwischen Polen und der Ukraine würden zunehmend belagert. "Ich habe Pfarrer Sapun und der ukrainischen Gemeinde den Rückhalt, die Verbundenheit und Solidarität der Katholischen Kirche in Mannheim zugesagt", so Jung.

Auch Kirchenvertreter aus der Region sind entsetzt: „Der russische Angriff auf die Ukraine hat mir heute Nacht buchstäblich den Schlaf geraubt“, sagte Traugott Schächtele, Prälat für den Kirchenkreis Nordbaden der Evangelischen Landeskirche in Baden, mit Sitz in Schwetzingen. Er habe zwar mit einer „Politik der Nadelstiche und des Austestens der westlichen Solidarität mit der Ukraine“ gerechnet - nicht aber mit diesem Ausmaß. „Zugunsten machtpolitischer Phantasien wird der Tod von unzähligen Menschen und ein eklatanter Bruch des Völkerrechts in Kauf genommen“.

Schächtele warnt davor, militärische Gegenreaktionen ins Auge zu fassen. Reaktionen sollten sich derzeit vor allem im Bereich wirtschaftlicher Sanktionen und weiterer diplomatischer Bemühungen bewegen. „Gerade als Kirchen muss uns daran gelegen sein, Gewalt nicht mit Gegengewalt zu reagieren, den Schutz der Opfer, auch möglicher weitere Opfer, aber im Blick zu behalten.“

Zu einem kurzfristigen angesetzten interreligiösen Friedensgebet anlässlich der kriegerischen Aggression gegenüber der Ukraine lädt Pfarrerin Ilka Sobottke von der CityGemeinde Hafen-Konkordien für Donnerstagabend, 18 Uhr, ein. Das Gebet findet in der CityKirche Konkordienstatt.

Im Bistum Speyer haben Bischof Karl-Heinz Wiesemann und Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst zum Gebet für die Menschen in der Ukraine und für den Frieden im Osten Europas aufgerufen. „Krieg bedeutet Unheil und Tod. Krieg macht Frauen zu Witwen und Kinder zu Waisen. Krieg zerstört Häuser und treibt Menschen in die Flucht. Krieg ist niemals die Lösung“, betonen die leitenden Geistlichen des Bistums Speyer und der Evangelischen Kirche der Pfalz in einer gemeinsamen Erklärung. „Wir sind mit unseren Gefühlen, unseren Gedanken und unserem Gebet bei den Menschen in der Ukraine. Sie werden durch den russischen Angriff in große Not gestürzt.“ Wiesemann und Wüst fordern das sofortige Ende der Angriffe. „Durch den Angriff auf die Ukraine wird das Völkerrecht durch Russland in eklatanter Weise verletzt.“ Beide Kirchen laden ein, täglich um 12 Uhr für die Menschen und den Frieden in Osteuropa zu beten.

Das Evangelische Dekanat Bergstraße hat die Kirchengemeinden aufgerufen, von heute an und in den nächsten Tagen um zwölf Uhr die Glocken zu läuten. „Wir sind Christinnen und Christen, die von der Hoffnung leben. Und wir hoffen, dass unsere Gebete am Ende doch stärker sein werden als alle Gewalt und Waffen“, so Berndt Biewendt, Sprecher des Evangelischen Dekanants Bergstraße. 

Landespolitiker und -politikerin sprechen von Zäsur in der Weltgeschichte

Der stellvertretende baden-württembergische Regierungschef Thomas Strobl hat den russischen Einmarsch in die Ukraine scharf verurteilt. "Die Lage im Osten Europas ist so ernst wie nie zuvor", teilte der CDU-Politiker am Donnerstag mit. "Wir erleben eine Lage, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa nicht hatten: Der russische Präsident Wladimir Putin hat seine Maske fallen lassen und einen feigen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf einen demokratischen Staat begonnen." Die Innenminister hätten am Donnerstagmorgen über die Lage gesprochen und blieben im Austausch.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) für alle öffentlichen Gebäude und Dienststellen im Bundesland eine landesweite Trauerbeflaggung angeordnet. "Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt eine Zeitenwende dar", erklärte Beuth am Donnerstag in Wiesbaden. "Der russische Machthaber Putin bricht mit dieser Invasion das Tabu vom Einsatz militärischer Gewalt in Europa. Dies ist eine der dunkelsten Stunden Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges."  Die rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sieht die europäische Staatengemeinschaft angesichts des russischen Militärschlags gegen die Ukraine vor der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Russlands Präsident Wladimir Putin trete die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker mit Füßen, wenn er einem souveränen Staat schlicht die Existenz abspreche und einem Volk das Recht auf Staatlichkeit. "Putin will den territorialen Status quo Europas verändern", sagte Klöckner am Donnerstag nach einer Mitteilung. (mit  ham, dpa)

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

Redaktion

Redaktion Chefreporter

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen