„Müssen Putin entgegenstehen“

Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) gehört zu den engagiertesten Stimmen in der Ampelkoalition zum Krieg in der Ukraine. Im Interview spricht sie über ein halbes Jahr Krieg, die Verantwortung Deutschlands und richtet einen Appell an die Bevölkerung

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Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag. © Michael Kappeler/dpa

Frau Strack-Zimmermann, vor einem halben Jahr hat Russland die Ukraine angegriffen. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Nachricht vom Kriegsbeginn hörten?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Der Krieg hatte sich bereits im letzten Jahr mit dem russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine angebahnt. Ich habe wie wir alle natürlich gehofft, dass sich die Bedrohungslage ändert, weil große Militärübungen Russlands regelmäßig stattfinden. Aber anders als in den Jahren zuvor wurde die Nato nicht zur Beobachtung der Übungen eingeladen. Als Putin dann wenige Tage vorher die Vertreter der beiden prorussischen selbst ernannten Volksrepubliken in der Ostukraine im Kreml empfing und diese offiziell als unabhängige Staaten anerkannte, war für mich klar: Das ist eine Kriegserklärung an die Ukraine. Der Überfall am 24. Februar hat mich dann nicht mehr überrascht.

Kanzler Scholz hat wenige Tage später den Überfall als „Zeitenwende“ bezeichnet. Hat die Bundesregierung dann entsprechend gehandelt?

Strack-Zimmermann: Die Rede des Kanzlers war auf den Punkt gebracht und hat mich begeistert. Der Begriff „Zeitenwende“ trifft die Lage auf den Punkt, in der wir uns ab sofort befinden. Die Ankündigung, die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro den zukünftigen Herausforderungen entsprechend zu modernisieren, ist die logische Konsequenz daraus. In den Wochen, die danach folgten, hätte die Unterstützung der Ukraine allerdings deutlich schneller und gezielter erfolgen müssen. Ich hatte zwischenzeitlich das mulmige Gefühl, dass sich die sehr glaubwürdige und ausgesprochen emotionale Reaktion, die Olaf Scholz zu Kriegsbeginn gezeigt hat, im Alltag etwas erschöpft. Uns allen muss aber klar sein, dass wir zu Recht von unseren Bündnispartnern nicht an den Worten, sondern ausschließlich an unseren Taten gemessen werden.

Inwiefern war die Reaktion Deutschlands zu schwach?

Strack-Zimmermann: Die Waffenlieferungen an die Ukraine – allen voran die der schweren Waffen – kamen viel zu langsam und zu stockend. Inzwischen ist vor allem aufgrund des Drucks aus dem Parlament heraus in den letzten Wochen bei den Lieferungen viel passiert. Aber das ändert nichts daran, dass wir weiterhin am Ball bleiben müssen. Wir müssen dringend neben der humanitären Hilfe auch weiteres schweres Gerät und Munition liefern – und zwar deutlich bevor der Winter kommt. Alles andere wäre fatal. Dieser völkerrechtswidrige russische Überfall auf die Ukraine fordert täglich schrecklich viele Opfer. Und sollte es auch für manchen unangenehm sein: Wir müssen weiter über diesen Krieg reden, das sinnlose Morden und Zerstören ukrainischer Städte und Industrieanlagen dürfen nicht aus dem Auge verloren werden. Das bedeutet auch, dass Deutschland und seine Partner die Ukraine auch wirtschaftlich weiterhin unterstützen müssen, damit deren Wirtschaft nicht vollständig kollabiert.

Scholz wurde oft Zögerlichkeit vorgeworfen – zu Recht?

Strack-Zimmermann: Dass er lange gezögert hat, in die Ukraine zu reisen, habe ich persönlich nie kritisiert. Jeder sollte selbst den richtigen Zeitpunkt für sich wählen und nicht in Kriegsgebiete reisen, nur weil die Öffentlichkeit das erwartet. Seine Zurückhaltung bei den Waffenlieferungen allerdings habe ich bis heute nicht verstanden. Wir müssen uns einfach im Klaren darüber sein, dass der von Russland verbrochene Krieg ganz Europa in die größte Krise nach Ende des Zweiten Weltkrieg gestürzt hat. Entsprechend müssen wir extrem wachsam sein und entsprechend handeln.

Das heißt?

Strack-Zimmermann: Wir erleben eine System-Auseinandersetzung zwischen Diktaturen und der freien demokratischen westlichen Welt. Es liegt an uns, diesen Angriff zu bestehen. Wir müssen Putin und den Diktatoren dieser Welt, die unser demokratisches Leben hassen und zerstören wollen, entschlossen entgegenstehen. Das wird von uns allen auch persönlich Opfer erfordern, schwach sollten wir trotz alledem nicht werden.

Ist das Ihre Botschaft an die Menschen, die sich wegen der hohen Energiepreise Sorgen machen?

Strack-Zimmermann: Die Bundesregierung arbeitet unter Hochdruck, damit wir in diesem Winter genug Gas haben. Die Speicher sind zum heutigen Zeitpunkt bereits zu circa 77 Prozent gefüllt. Wichtig ist zudem, die Menschen in Deutschland zu entlasten, die die steigenden Energiepreise kaum stemmen können. Aber es ist meine Bitte an die Bürgerinnen und Bürger, die derzeitige Lage realistisch einzuschätzen. Wir alle haben nur ein Leben, und das will jeder von uns so schön und angenehm wie möglich gestalten. Aber es geht nicht nur ums uns, sondern, ich bin jetzt auch mal pathetisch: Es geht auch um das zukünftige Leben unserer Kinder und Enkelkinder, die auch das Recht haben, so wie wir, jahrzehntelang in einem freiheitlichen und friedlichen Deutschland zu leben.

In Osteuropa scheint diese Einschätzung auch sehr präsent zu sein. Ist dort durch das als zu zögerlich empfundene Handeln der Bundesregierung Vertrauen kaputtgegangen?

Strack-Zimmermann: Es gab zeitweise eine große Irritation besonders bei unseren osteuropäischen Partnern. Von Deutschland wird in Europa Führung erwartet. Dieser Erwartung müssen wir nachkommen. Es geht dabei nicht um Alleingänge. Es geht darum, dass Deutschland auch mal mutig vorangeht und nicht immer nur darauf wartet, bis unsere amerikanischen Verbündeten das Signal setzen. Vermutlich müssen wir das an der ein oder anderen Stelle noch lernen, weil den Deutschen diese Rolle aus historischen Gründen besonders im sicherheitspolitischen Bereich über Jahrzehnte abgewöhnt wurde. Das von Finanzminister Lindner auf den Weg gebrachte und vom Parlament bestätigte im Grundgesetz verankerte Sondervermögen, die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro zu stärken, war daher auch in Richtung unserer Verbündeten ein bedeutendes Signal.

Bezüglich der Lieferung westlicher Panzer erwartet gerade Polen mehr von Deutschland.

Strack-Zimmermann: Ginge es nach der FDP, würden wir heute sofort 50 Marder-Schützenpanzer direkt an die Ukraine liefern. Der Ringtausch mit Polen und anderen Partnern, also westliche Panzer als Ersatz für an die Ukraine weitergegebene Panzer sowjetischer Produktion zu liefern, darf weitergehen, sollte aber durch direkte Lieferungen in die Ukraine ergänzt werden. Die Ukrainer können die westlichen Waffen deutlich schneller bedienen als vermutet. Die Ausbildung und Einweisung daran läuft erfolgreich. Der Bundeskanzler will aber Schützen- und Kampfpanzer nur direkt an die Ukraine liefern, wenn die USA und Frankreich das auch mit ihren Kampfpanzern machen. Ein Beispiel mehr, wo wir als FDP die Auffassung vertreten, dass die Bundesrepublik da deutlich aktiver initiieren könnte.

Die Motorradfahrerin

Marie-Agnes Strack-Zimmermann wurde am 10. März 1958 in Düsseldorf geboren. Sie studierte Publizistik, Politikwissenschaft, Germanistik in München, 1986 promovierte sie.

Seit 2017 ist sie Mitglied des Bundestags, seit Ende 2021 Vorsitzende des Verteidigungsausschusses.

Strack-Zimmermann ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Sie ist leidenschaftliche Motorradfahrerin.

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