Berlin. Geschlossene Kindergärten, gesperrte Spielplätze und Eltern im Homeoffice: Als im März 2020 der erste Corona-Lockdown ausgerufen wurde, waren plötzlich viele Familien auf sich allein gestellt. Nun sehen sie sich infolge des Ukraine-Kriegs mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Laut einer aktuellen Studie, die vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben wurde, fühlen sich 68 Prozent der Eltern mit Kindern unter 18 Jahren durch die anhaltend hohe Inflation persönlich stark belastet. Besonders gravierend ist die Belastung laut des „Familienbarometers“ bei Familien mit Kindern, die einer schwächeren und mittleren sozialen Schicht angehören: Fast 80 Prozent der Befragten aus schwächeren sozialen Schichten gaben an, unter der Inflation zu leiden, 34 Prozent sogar sehr stark.
„Das Thema Schichten wird immer noch viel zu wenig beachtet“, sagte Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, bei der Vorstellung der Ergebnisse in Berlin. Für Alleinerziehende sei die Lage besonders schwierig. Verhältnismäßig gering fällt die Belastung dagegen bei den Gutsituierten in Deutschland aus. Nur 42 Prozent gaben an, durch die Inflation stark belastet zu sein. Auf die Frage, welche Themenbereiche die Familienpolitik in Deutschland besonders in den Fokus nehmen sollte, gab eine Mehrheit von 71 Prozent der Befragten bessere Chancen auf gute Bildung bei benachteiligten Kindern an. Laut Köcher speisen sich diese Erwartungen, Kinder und Jugendliche gut durch Krisenzeiten zu bringen, besonders aus Erfahrungen der Corona-Pandemie, bei der die Familien oft allein gelassen wurden.
Wenig Chancengleichheit
Konkret gaben im Jahr 2022 66 Prozent der Befragten an, dass die Chancengerechtigkeit für Kinder in der Gesellschaft mangelhaft ist. Dabei hat sich das Stimmungsbild in den letzten vier Jahren kaum gewandelt, lag der Wert 2017 um nur vier Prozentpunkte höher. „Man muss auch sagen, dass wir im internationalen Vergleich nach wie vor eine ganz unbefriedigend hohe Korrelation haben zwischen dem Bildungshintergrund des Elternhauses und der Bildungskarriere von Kindern“, so Köcher.
Verbesserungen sind in den letzten Jahren bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erkennen. Gaben 2011 nur knapp die Hälfte der befragten Eltern mit Kindern an, beides gut miteinander vereinbaren zu können, waren es 2022 schon 63 Prozent. Allerdings lohnt sich in diesem Zusammenhang ein differenzierter Blick auf die Mütter, von denen auch im letzten Jahr noch 31 Prozent angaben, Familie und Beruf nicht gut vereinbaren zu können.
Das drückt sich auch in der Beschäftigungsrate aus, die bei Vätern in den letzten acht Jahren bei etwa 90 Prozent konstant hoch ist. Allerdings arbeiten nur 33 Prozent der Mütter mit Kindern unter 18 Jahren in Vollzeit. Fast 80 Prozent der befragten Mütter ist es wichtig, einen Beruf ausüben zu können. Darunter fallen auch diejenigen, denen dies aufgrund der Familienplanung derzeit verwehrt ist. Darüber hinaus möchte jede vierte Mutter mehr arbeiten, während jeder fünfte Vater die Arbeitszeit gerne verkürzen möchte.
„Es gibt nur langsame Fortschritte in Richtung Familienpartnerschaftlichkeit und das ist eigentlich nicht, was die Familien und insbesondere die Mütter sich wünschen“, sagt Köcher dazu. Knapp die Hälfte der befragten Familien wünscht sich, Kinderbetreuung, Haushalt und Erwerbstätigkeit partnerschaftlich aufzuteilen. Wenn sich beide Elternteile Elternzeit genommen haben, ziehen sie dazu laut der Studie eine überwiegend positive Bilanz.
Mit den Zahlen verweist Familienministerin Lisa Paus (Grüne) auf Reformprojekte der Ampel-Regierung, insbesondere die Kindergrundsicherung. „Sozialer Ausgleich ist den Menschen wichtig und das darf auch etwas kosten,“ erklärte Paus. Laut der Allensbach-Studie befürworten 60 Prozent der Befragten des „Familienbarometers“ die Einführung der Kindergrundsicherung. Bei Familien mit Kindern ist die Zustimmung mit 75 Prozent noch höher.
Der Staat als „Servicepartner“
Mit der Kindergrundsicherung möchte Paus unterschiedliche Leistungen wie Kindergeld oder Kindergeldzuschlag bündeln, die derzeit von den Familien nicht vollumfänglich abgerufen werden. „Jetzt wollen wir den Staat zum Servicepartner der Familien umbauen“, so Paus. Laut Plänen ihres Ministeriums sollen durch eine regelmäßige und digitalisierte Abfrage auf Basis von Steuerdaten diejenigen frühzeitig informiert werden, die Anspruch auf Zusatzleistungen haben. Ziel ist es, noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf vorzulegen, damit die Kindergrundsicherung erstmals 2025 ausgezahlt werden kann. Paus hat dazu beim FDP-geführten Finanzministerium zwölf Milliarden Euro angemeldet.
Weitere Reformvorhaben des Familienministeriums sind der Ausbau der Infrastruktur für Kinderbetreuung und die sogenannte Elternstartzeit, bei der beide Eltern zwei Wochen nach der Geburt ihres Kindes unkompliziert von ihrer Arbeit freigestellt werden können. Außerdem plant Paus eine Reform der Pflegezeit und der Auszahlung von Lohnersatzleistungen.
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