„Druck ist gewachsen“

Der neue SPD-Generalsekretär erklärt seinen Wahlkampfplan. Miersch regt zudem eine Debatte über Minderheitsregierungen an

Von 
Jan Dörner
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Matthias Miersch, der neue SPD-Generalsekretär. © Kay Nietfeld/dpa

Seit nicht einmal zwei Wochen ist Matthias Miersch der neue SPD-Generalsekretär. Im Gespräch erklärt der 55-Jährige, wie er die SPD zum Wahlsieg führen will, und äußert sich besorgt über russische Einflussnahme.

Herr Miersch, wie beschreiben Sie den Privatmenschen Matthias Miersch?

Matthias Miersch: Auch der brennt für Politik – aber ebenso ist ihm ein Leben jenseits des Politikbetriebs wichtig: Ein Abschalten in der Sauna, mit Freunden auf einem Konzert oder ein Urlaub im Campingbus.

Und der Politiker Miersch?

Miersch: Der versucht, alles zu geben und dabei authentisch zu sein.

Ihr Vorgänger Kevin Kühnert hat den Job aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Ist Politik zu hart geworden?

Miersch: Politik ist hart. Als Politiker muss man sich ein dickes Fell zulegen. Nicht alle Begegnungen sind freundlich. Durch Corona, den russischen Angriffskrieg und den Konflikt im Nahen Osten sind viele Menschen stark verunsichert. Dadurch ist der Druck auf Politiker gewachsen. In den sozialen Medien sehen wir außerdem, dass Hass und Hetze zunehmen, es oft keinen Respekt mehr gibt.

Hatten Sie seit dem Amtsantritt Zeit, in Ruhe mit Ihrem Mann zu sprechen?

Miersch: Nur ganz spätabends, mein Mann muss immer um 5:20 Uhr aufstehen. Wir haben dann abends um 23 Uhr noch eine halbe Stunde gemeinsam.

Kaum waren Sie im Amt, stand eine Klausur der SPD-Spitze zur Planung des Wahlkampfs an. Man hört, dabei hatten alle Trikots an …

Miersch: Wir haben uns eingeschworen auf den Bundestagswahlkampf: Wir saßen wie eine Mannschaft vor dem Anpfiff in einem Raum zusammen, der wie eine Umkleidekabine gestaltet war. Es gab Ansprachen von Olaf Scholz und den Parteichefs. Ich habe erlebt, wie alle mitgezogen haben und sich auf die Auseinandersetzung mit der Merz-CDU freuen.

Auf der Klausur hat die SPD ein Strategiepapier zur Wirtschaftspolitik beschlossen. Darin steht auch die Forderung nach einer Einkommensteuerreform.

Miersch: Wir wollen 95 Prozent der Einkommen, also die arbeitende Mitte, deutlich entlasten. Im Gegenzug werden wir das obere eine Prozent stärker belasten.

Was heißt das konkret?

Miersch: Es ist zum Beispiel nicht gerecht, dass jemand, der 67 000 Euro brutto im Jahr verdient, aktuell ebenso den Spitzensteuersatz zahlt wie jemand, der 250 000 Euro verdient. Da wollen wir ran.

Die SPD will den Wahlkampf auf die Entscheidung Olaf Scholz oder Friedrich Merz zuspitzen. Was versprechen Sie sich davon?

Miersch: Friedrich Merz fordert mehr Respekt für die Besserverdienenden. Nur das einkommensstärkste Prozent sind für ihn die Leistungsträger dieser Gesellschaft. Das sehen wir anders, es geht bei dieser Wahl um eine Richtungsentscheidung: Die alleinerziehende Mutter, die halbtags im Supermarkt arbeitet, spielt in der Welt von Friedrich Merz überhaupt keine Rolle. Dabei sind es doch genau diese Menschen, die unser Land tagtäglich am Laufen halten. Ihnen gebührt ebenso Respekt, wie jemand der als Investmentbanker ein paar Hunderttausend im Jahr verdient. Diese unterschiedlichen Weltbilder sind sehr grundlegend für politische Entscheidungen zur Höhe der Rente oder etwa des Mindestlohns.

Und der persönliche Vergleich?

Miersch: Scholz und Merz haben sehr unterschiedliche Charaktereigenschaften. Der Kanzler ist besonnen, das hat er in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine gezeigt. Scholz verfügt außerdem über Sachkompetenz und große Tatkraft, er kann gut zuhören. Auf der anderen sehen wir einen sehr impulsiven Oppositionsführer …

… mit dem Sie dann nach der Wahl eine große Koalition bilden?

Miersch: Ich kämpfe dafür, dass die SPD erneut stärkste Kraft wird. Über Koalitionen mache ich mir keine Gedanken.

Sie werfen Merz Impulsivität vor. Er erzeugt aber Aufmerksamkeit und Emotionen, das ist die große Schwäche von Scholz. Vorteil für Merz?

Miersch: Nein. Ein Kanzler muss in Koalitionen immer die Rolle des Moderators übernehmen können. Der SPD und dem Kanzler ist aber klar, dass wir unsere Führungsrolle jetzt noch deutlicher machen müssen. In diesen stürmischen Zeiten ist es nicht die Aufgabe des Kanzlers, nach Schlagzeilen zu lechzen. Er wird weiter besonnen und sachorientiert arbeiten. Die inhaltlichen Unterschiede zu den Mitbewerbern wird die Partei deutlich machen, und ein Beispiel ist unser Strategiepapier vom vergangenen Wochenende.

Die SPD streitet über das Sicherheitspaket. Musste Scholz SPD-Abgeordneten mit der Vertrauensfrage drohen?

Miersch: Das ist Quatsch. Olaf Scholz hat nicht mit der Vertrauensfrage gedroht. Es gab eine lebendige Diskussion, die war völlig angemessen, weil es bei dem Sicherheitspaket auch um Verfassungsrecht und um Grundrechte geht. In der Debatte haben sich Abgeordnete kritisch geäußert, sich dabei auf ihre eigene Einwanderungsgeschichte bezogen. Scholz hat daraufhin das Wort ergriffen und für das Paket geworben.

Also kein Kanzler-Machtwort?

Miersch: Scholz hat an die Fraktionsdisziplin appelliert. Unsere Geschäftsordnung legt fest: Wenn die Mehrheit der Abgeordneten in einer Fraktionssitzung für eine Entscheidung stimmt, dann haben sich im Bundestag alle daran zu halten. Es war ein Appell, keine Drohung.

Befürchten Sie eine russische Einflussnahme auf den Bundestagswahlkampf?

Miersch: Davon müssen wir ausgehen. Möglich sind Cyberangriffe auf die Parteien oder staatliche Institutionen. Ein großes Problem ist Desinformation im Netz – übrigens nicht nur aus Russland, sondern auch aus anderen Staaten. Das wird alle demokratischen Parteien betreffen, da müssen wir zusammenhalten und uns gemeinsam wehren. Wenn es um unsere Demokratie geht, müssen wir trotz Wahlkampfes mit einer Stimme sprechen.

Würden Sie im Bund mit dem BSW zusammenarbeiten?

Miersch: Über Wahlausgang und Koalitionen spekuliere ich nicht. Aber ein Gedanke zu sicheren Regierungsbündnissen: Möglicherweise müssen wir in Deutschland unsere Scheu gegenüber neuen Formen der Regierungszusammenarbeit etwas ablegen. In anderen Staaten gibt es Minderheitsregierungen oder Formen von Kooperationen, die nicht auf eine feste Koalition hinauslaufen. In Parlamenten mit vielen kleineren Parteien könnte das eine Möglichkeit sein.

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