Wiesbaden. Die Grünen haben sowohl der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz als auch sein CSU-Pendant Markus Söder inzwischen zum Hauptgegner der Unionsparteien erklärt. In Hessen, wo am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt wird, regieren CDU und Grüne dagegen nach fast zehn Jahren immer noch einträchtig zusammen. Selbst in der heißen Phase des Wahlkampfs kommt weder Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) noch seinem Stellvertreter Tarek Al-Wazir (Grüne) ein böses Wort über die Lippen. Nach Umfragen ist eine klare Mehrheit zur Fortsetzung der gemeinsamen Landesregierung in Sicht. Ob es zur Neuauflage von Schwarz-Grün in einer somit dritten Wahlperiode kommt, ist gleichwohl offen.
Diesmal gibt es einen Dreikampf um den Chefsessel in der Wiesbadener Staatskanzlei am Georg-August-Zinn-Platz. CDU-Mann Rhein sieht sich als neuerlicher Kandidat für das Amt des Regierungschefs nicht nur Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der in Hessen oppositionellen SPD als Herausforderin gegenüber. Auch sein grüner Stellvertreter Al-Wazir tritt zum ersten Mal offen als Anwärter für die Position des Ministerpräsidenten an, würde also gerne Rhein beerben und dafür seine Funktion als Wirtschafts-, Verkehrs- und Energieminister im Landeskabinett aufgeben.
Was vor Monaten als durchaus spannendes Rennen dreier in etwa ebenbürtiger politischer Schwergewichte begann, erscheint nach den Umfragen allerdings inzwischen von einem offenen Ausgang schon recht weit entfernt: Amtsinhaber Rhein gilt mittlerweile als klarer Favorit, seine CDU liegt in allen Erhebungen mit Werten um die 30 Prozent deutlich vorne. Faesers SPD und Al-Wazirs Grüne kämpfen demnach mit 17 bis 20 Prozent nur noch um den zweiten Platz und müssen dabei womöglich noch die Konkurrenz der rechten AfD fürchten, die in einer der jüngsten Befragungen die Grünen schon eingeholt hat.
Dabei spielen zweifellos die schlechte Performance der Ampelkoalition in Berlin, aber auch die umstrittene Doppelrolle Nancy Faesers als Innenministerin in Berlin und zugleich SPD-Spitzenkandidatin in Hessen eine nicht unwesentliche Rolle. Das Kalkül der 53-jährigen Sozialdemokratin, ihrer Partei als bundesweit bekanntes Gesicht Auftrieb zu verschaffen, geht nicht mehr so richtig auf.
Auf fast allen Wahlkampfterminen in Hessen wird Faeser weniger als „Ministerpräsidentin für Hessen“ angesprochen, wie sie auf den SPD-Plakaten avisiert wird, als vielmehr auf die aktuellen Probleme mit der steigenden Zahl an Asylbewerbern und auch auf ihre Rolle bei der Versetzung des Berliner Bundesamtsleiters Arne Schönbohm. Erst mit ihrem Eintreten für Grenzkontrollen auch im Osten und dem Bemühen um eine parteiübergreifende Lösung beim Flüchtlingszustrom ist sie in den letzten Tagen wieder ein wenig aus der Defensive herausgekommen.
Faeser, die in Schwalbach am Taunus wohnt, war vor ihrer Berufung ins Bundeskabinett 2021 insgesamt 18 Jahre lang Landtagsabgeordnete und zuletzt Fraktionschefin der SPD. Sie hat nach ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin in Hessen von Anfang an klargestellt, dass sie nur als Ministerpräsidentin nach Wiesbaden zurückkehren und andernfalls Bundesinnenministerin in Berlin bleiben will. „Oppositionsführerin war ich schon“, fügte sie hinzu. Im Wahlkampf hat Faeser angekündigt, sie wolle bei entsprechender Mehrheit in Hessen eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP wie im Bund bilden.
Dass es zu der kommt, gilt aber aus mehreren Gründen als zweifelhaft. Zum einen hätte ein solches Bündnis laut den aktuellen Umfragen derzeit gar keine Mehrheit. Und selbst wenn sich dies noch ändern sollte, wirkt die mangelnde Popularität der Ampel in Berlin eher abschreckend; zudem ist das Verhältnis zwischen FDP und Grünen in Hessen eher noch schlechter als im Bund. FDP-Spitzenkandidat Stefan Naas hat sich bereits zum „Anti-Al-Wazir“ ausgerufen und will den Grünen gerne selbst als Wirtschaftsminister ablösen.
Mit der SPD und auch Faeser haben die Freien Demokraten dagegen aus gemeinsamer Oppositionszeit im Landtag ein ausgesprochen gutes Verhältnis, und der Wirtschaftsliberale Naas schließt auch offiziell keine Koalitionsoption aus. Am liebsten wäre der FDP eine Deutschlandkoalition mit CDU und SPD, doch dafür würde sie dem Umfragen zufolge rechnerisch gar nicht gebraucht, sie muss möglicherweise sogar selbst um den Wiedereinzug in den Landtag bangen.
Der 52-Jahre alte Al-Wazir aus Offenbach gilt mehr als seine beiden fast gleichaltrigen Mitbewerber schon als Urgestein der Landespolitik. Bei seiner ersten Wahl in den Landtag 1993 war noch Hans Eichel (SPD) Ministerpräsident, und als Oppositionspolitiker hat der Grüne später mit den CDU-Regierungschefs Roland Koch und Volker Bouffier heftig gestritten. Geradezu als Sensation galt dann, als der grüne Pragmatiker 2014 eine Koalition mit Bouffier und der CDU einging. Die hält sich entgegen aller Unkenrufe beachtlich stabil. Streit zwischen den Koalitionspartnern, so es ihn denn gibt, dringt nicht nach außen.
Al-Wazir, der wegen seines Vaters neben der deutschen auch die jemenitische Staatsbürgerschaft hat, trägt auch unangenehmes Regierungshandeln mit. Etwa als es um den Weiterbau der Autobahn A 49 in Mittelhessen ging, wo sich auch Grünen-Anhänger an Blockaden im teils zur Rodung anstehenden Dannenröder Forst beteiligten. Diesen Autobahnbau lehnten die Grünen zwar ab, der Minister sah aber nach entsprechenden Entscheidungen im Bund, die auch von Gerichten bestätigt wurden, keine andere Möglichkeit mehr, als ihn nach Recht und Gesetz umzusetzen. Eine vormals grüne Aktivistin von vor Ort kandidiert aus Protest dagegen jetzt auf der Liste der Linken für den Landtag.
An der schwarz-grünen Harmonie änderte sich auch nichts, als Rhein Ende Mai vergangenen Jahres den „Erfinder“ des Bündnisses, Bouffier, als Ministerpräsident ablöste. Der 51-jährige CDU-Politiker aus Frankfurt gehört innerhalb der CDU eher zur Riege seiner Amtskollegen Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen und Daniel Günther aus Schleswig-Holstein, die mittlerweile ihrerseits mit den Grünen koalieren.
Den Regierungspartner in Wiesbaden geht Rhein im Wahlkampf nicht an, um so heftiger aber die Berliner Ampelkoalition, die er als „schlechteste Bundesregierung aller Zeiten“ attackiert und folglich für eine „ampelfreie Zone“ in Hessen plädiert. Was sein eigenes Bundesland angeht, hofft der Ministerpräsident nach den Umfragen auf zwei Optionen für seine Partei: Sie hat Aussicht, zwischen den Grünen und der SPD als Juniorpartner zu wählen. Eine solche Alternative könnte bei Koalitionsverhandlungen nach der Wahl sozusagen die Preise drücken.
Bei aller Harmonie geht es in der CDU nämlich vielen gewaltig gegen den Strich, welche Zugeständnisse die Partei nach der letzten Wahl vor fünf Jahren den damals in Hessen deutlich erstarkten Grünen machen musste. Dass diese danach vier statt vorher zwei Ministerien besetzten, ist nur eines davon. Vielleicht würden die Grünen ja bei einem mutmaßlich schwächeren Ergebnis gegenüber der ihrerseits wieder etwas gestärkten CDU Zugeständnisse machen und ein wenig bescheidener werden.
Oder aber Rhein wählt wirklich die SPD als neuen Koalitionspartner. Die wäre nach der erwarteten Wahlniederlage und dann ohne Faeser im Kabinett womöglich billiger zu haben. Nach Jahrzehnten endlich mal wieder mitregieren und eigene Minister stellen zu können – die Verlockung wäre für die SPD sicher groß. Stellvertretender Ministerpräsident könnte dann wohl der derzeitige Landtagsfraktionschef Günter Rudolph aus Nordhessen werden. Er gilt als typischer „alter Haudegen“ und wäre wahrscheinlich froh, einmal aus der ewigen Oppositionsrolle herauszukommen.
Vielleicht besinnt sich Rhein aber doch auf den bewährten und nach seinen eigenen Worten „verlässlichen“ grünen Partner. Auch wenn Merz und Söder wohl nicht jubeln würden: Der hessische Regierungschef könnte nach einem Wahlsieg selbstbewusst genug sein, seinen eigenen Weg zu gehen. Es wird wohl doch noch einmal spannend werden in der hessischen Landespolitik.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/politik_artikel,-politik-dreikampf-mit-einem-klaren-favoriten-_arid,2130677.html