Ampel

Die Politik blockiert sich selbst

Ob Energiepreisbremse oder 9-Euro-Nachfolge – es geht in Deutschland nicht vorwärts. Jetzt hat Kanzler Scholz auch noch Corona

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Julia Emmrich und Theresa Martus
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Finanzminister Lindner will die Schuldenbremse trotz Gaspreisbremse einhalten. © Kay Nietfeld/dpa

Berlin. Deutschland hat sich verhakt. Bei der Frage, aus welchem Topf die Milliardenrechnungen bezahlt werden sollen, die in den kommenden Monaten Staat und Bürgern auf den Tisch flattern. Bei der Frage, wer die Entlastungen stemmen kann, die nötig sind, damit Wirtschaft und Privathaushalte nicht vor die Wand fahren. Ob Energiepreisbremse oder 9-Euro-Ticket – es geht nicht vorwärts. Verhakt haben sich nicht nur die Ampel-Minister, auch Bund und Länder blockieren sich gegenseitig. An diesem Mittwoch wollte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Länderchefinnen und -chefs im Kanzleramt treffen, um den Knoten zu durchschlagen. Daraus wird nichts. Der Kanzler hat Corona.

„Der Bundeskanzler hat mich gebeten, die Bund-Länder-Beratungen zum Entlastungspaket zu verschieben, da er aufgrund seiner Isolation nicht persönlich teilnehmen kann“, schrieb Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und amtierender Vorsitzender der Länder, am Dienstagmittag auf Twitter. Die Beratungen mit dem Kanzler würden auf den 4. Oktober verschoben. Zuvor hatte es geheißen, der infizierte Kanzler werde sich per Video zuschalten. Beide Seiten seien sich einig, dass es besser sei, sich persönlich zu begegnen, erklärte Scholz später.

Vieles deutet auf zähe Stunden hin

Mit der Verschiebung gewinnt Scholz zwar eine knappe Woche mehr für eine Kompromisssuche. Einfacher wird es aber nicht: Der MPK-Vorsitz geht zum Monatsende von NRW auf Niedersachsen über. Dort läuft gerade der Countdown zur Landtagswahl am 9. Oktober. Keine günstigen Voraussetzungen für eine zügige Einigung mit dem Bund.

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Immerhin: Zwischen Bund und Ländern sind die Konfliktlinien relativ übersichtlich. Die Länder knüpfen ihre Zustimmung zum dritten Entlastungspaket an Bedingungen. Der Bund soll tiefer in die Tasche greifen – etwa bei der Unterbringung von Flüchtlingen, bei Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr oder in Krankenhäuser. In der Bundesregierung ist die Bereitschaft dazu jedoch gering: Viele Länder hätten zuletzt Haushaltsüberschüsse eingefahren, der Bund dagegen musste erst durch die Pandemie, dann wegen der Kriegsfolgen Schulden in Milliardenhöhe aufnehmen. Man könne, heißt es aus Regierungskreisen genervt, den Ländern in einer solchen Lage nicht die Zustimmung zum Entlastungspaket abkaufen.

An diesem Mittwoch wollen sich die Länder nun zunächst untereinander treffen. Am kommenden Dienstag dann steht ab 16.30 Uhr die Runde mit Scholz und seinen Ampel-Leuten an: Auch wenn sich FDP, Grüne und SPD geschworen hatten, ohne Nachtsitzungen auszukommen – diesmal deutet vieles auf zähe Stunden hin. Erste Länderchefs rechneten bereits vor der Terminverschiebung damit, dass eine Lösung für die Aufteilung der Kosten frühestens Mitte Oktober gelinge. Die oppositionelle Union erwartet, dass am Ende der Vermittlungsausschuss von Bund und Ländern ein Gesamtpaket schnüren müsse.

Doch auch innerhalb der Ampelkoalition blockieren sich die Lager bei etlichen Fragen – die beiden aktuell wichtigsten hängen unmittelbar mit der Energiekrise zusammen: Wer bezahlt die Rettung der Gasimporteure? Und wie soll die geplante Gaspreisbremse finanziert werden? Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sind sich zwar einig, dass die umstrittene Gasumlage keine Lösung mehr ist – aber vollkommen uneins, woher das Geld kommen soll. Es sind vor allem zwei Reizworte, an denen sich das ganze Ausmaß der Selbstblockade zeigt.

Die Schuldenbremse: Mit einer weiteren Aussetzung der Schuldenbremse im Jahr 2023 hätte Lindner deutlich mehr Spielraum, um die Gasversorger zu stützen und eine Gaspreisbremse möglich zu machen. Doch bislang weigert sich der FDP-Mann mit dem Hinweis auf hohe verfassungsmäßige Hürden und unzumutbare Schuldenberge. Lindner sagt bislang vor allem, was er nicht will – kein Aussetzen der Schuldenbremse, kein Sondervermögen. Wie er die Finanzierungsfrage lösen will, ist offen.

Grüne: Keine faulen Kompromisse

Die AKW-Laufzeiten: Was die Schuldenbremse für die FDP ist, ist der Atomausstieg für die Grünen. Die FDP-Spitze hat nun einen bemerkenswerten Vorschlag gemacht. Die FDP-Bundestagsfraktion sei bereit, eine staatliche Gaspreisbremse mitzutragen, sagte Fraktionschef Christian Dürr am Dienstag. „Umgekehrt erwarten wir jetzt aber auch von den Grünen Bewegung bei der Frage der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke.“ Die richtige Antwort auf die Energiefrage sei eine Preisbremse im Strom- und Gasmarkt und damit verbunden eine Ausweitung des Angebots in Form von längeren Laufzeiten für Atom- und Kohlekraftwerke. Heißt: Wenn die Grünen bei einer Laufzeitverlängerung der AKWs mitziehen sollten, ist die FDP offenbar bereit, bei der Finanzierung einer Gaspreisbremse über ihren Schatten zu springen.

Die Grünen reagierten verärgert: „Ein Koppelgeschäft aus Gaspreisbremse und AKW-Laufzeiten zu machen, ist abwegig“, sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. „Wir machen keine sachfremden Deals, sondern entscheiden ernsthaft und mit großer Verantwortung, welche Maßnahmen uns tatsächlich helfen.“ Atomkraft sei eine Hochrisikotechnologie. „Es darf keine faulen Kompromisse zulasten der Sicherheit der Menschen geben.“ Das eine mit dem anderen zu verbinden, sei „nichts mehr als ein durchschaubares Wahlkampfmanöver“, ergänzte Timon Dzienus, Co-Vorsitzender der Grünen Jugend.

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