Stuttgart. Die Polizei im Land ist in Unruhe. Denn „draußen“, auf Streife, im Privatleben, werden viele Beamtinnen und Beamte auf die Affäre um den Inspekteur der Polizei, Andreas Renner, angesprochen. Die Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz reagierte nun auf diesen Druck, der die Polizei extrem belastet. Sie lud Ende vergangener Woche zu einer Videokonferenz in vertraulicher Runde ein. Noch kurz vor Beginn bat Hinz darum, dass nur die obersten Polizeiführer daran teilnehmen sollten.
Dabei wurde klar: Die Verantwortlichen in den Präsidien im Land forderten eine klare Positionierung der Spitze im Innenministerium. Sie halten, das sagten mehrere sehr deutlich, den Inspekteur für nicht mehr tragbar in der Polizei – schon gar nicht im bisherigen Job als oberster Polizeivollzugsbeamter des Landes, unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens, das aktuell vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt wird. Sie finden, dass dies kommuniziert werden muss, nach außen, noch dringender aber nach innen, in die Landespolizei hinein.
Kein Rücktritt
Viele, die von der Einladung hörten, rechneten wegen des kurzfristig angesetzten Termins damit, Hinz werde womöglich ihr Amt zur Verfügung stellen. Munkelten, der Druck sei zu groß geworden: Das Gerichtsverfahren wegen mutmaßlicher sexueller Verfehlungen Renners. Ebenso ein Untersuchungsausschuss des Landtages, der sich zusätzlich mit der Beförderungspraxis innerhalb der Landespolizei beschäftigt.
Zudem soll es an der Polizeihochschule zu sexuellen Übergriffen durch einen Dozenten gekommen sein. Gegen Hinz wurde wegen des Verdachts der Strafvereitlung Anzeige erstattet: Sie hatte nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Renner dessen privates Handy nicht beschlagnahmt. Wohl wissend, dass der einen Großteil seiner dienstlichen Kommunikation damit führte. Renner soll das Handy vernichtet haben.
Nicht schlechtreden lassen
Stefanie Hinz kritisierte Renners mutmaßliche Verfehlungen. Das Verhalten des Inspekteurs sei nicht hinnehmbar, sei mit ihren Ansprüchen an Führungskräfte nicht vereinbar: „Das geht gar nicht.“ Es gebe aber keinen Grund, dass sich dadurch die Polizei als Ganzes schlechtreden lasse – das passiere jedoch durch die Medien. Gerüchten, sie werde zurücktreten, trat Hinz entgegen. Ohne, dass jemand danach fragte, habe sie dieses Thema in der Schalte adressiert. Sie wolle die Affäre nun durchstehen. Man werde gestärkt aus dieser Phase hervorgehen. Man segele gemeinsam, habe zusammen das Steuer fest umgriffen, arbeite Hand in Hand.
50 Millionen Euro in Aussicht
Hinz kündigte Lichtblicke an: Das Innenministerium bereite eine Kabinettsvorlage vor, mit der für die Polizei Gelder in Höhe von 50 Millionen Euro aus den Rückstellungen für inflationsbedingte Mehrausgaben entnommen werden sollen. Das werde, sagte einer der Polizeichefs, „den Druck an der Basis etwas nehmen“. LKA-Chef Andreas Stenger will „destruktiven Kräften in den eigenen Reihen“ das Feld nicht überlassen. Dem pflichtete Hinz bei. Kein Widerspruch aus der Runde der Polizeiführer. Unklar blieb in der Videokonferenz dem Vernehmen nach, wer die destruktiven Kräfte in der Polizei sein sollen.
In einer Videobotschaft an ihre Mitarbeiter forderte Hinz dazu auf, in schwierigen Zeiten stark zu bleiben. Man solle den Blick gemeinsam darauf richten „was alles richtig gut bei uns läuft“. Irgendwann höre der Sturm auf, irgendwann kämen wieder ruhigere Zeiten. Doch dass es ruhiger werde, sehen nicht alle so, die sich mit der Causa Renner und den andern Affären der Polizei befassen. Der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Sascha Binder, sagte nach Bekanntwerden der Videobotschaft: „Wer eine neue Fehlerkultur fordert, muss das doch auch vorleben!“ Unter der Leitung von Innenminister Thomas Strobl (CDU) habe sich die Führung der Polizei in eine bedenkliche Richtung entwickelt.
Weitere Affären bei der Polizei
Ende vergangener Woche wurde bekannt, dass ein Dozent der Hochschule der Polizei in Villingen-Schwenningen sexuell übergriffig geworden sein soll. Dort lehnten Studenten zudem den früheren Offenburger Polizeipräsidenten Reinhard Renter für weitere Vorträge ab, weil er die Affäre um Inspekteur Renner heruntergespielt habe und insbesondere die von diesem mutmaßlich bedrängte Frau ein zweites Mal zum Opfer gemacht haben soll. Von Renter, der als Pensionär noch bezahlter Berater der Polizei ist, berichtete Hinz im Untersuchungsausschuss, er habe ihr angeboten, Renner nach Bekanntwerden seiner Affäre „psychosozial zu betreuen“. Dazu habe sie eingewilligt.
Verdacht der sexuellen Nötigung
Der mittlerweile suspendierte Polizeiinspekteur Andreas Renner muss sich seit dem 21. April wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten.
Renner soll bereits vor seiner Amtszeit über einen längeren Zeitraum Nacktbilder an Polizistinnen geschickt haben.
Das Versenden der Nacktbilder an die drei Polizistinnen wurde erst nach seiner Suspendierung durch eine anonyme Anzeige im Dezember 2021 bekannt.
Der Angeklagte soll den Ermittlungen zufolge zudem im November 2021 in Stuttgart eine Polizeibeamtin sexuell belästigt haben.
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