Stuttgart. Für eine stabile Patientenversorgung brauchen die Arztpraxen laut Doris Reinhardt gute Rahmenbedingungen. Nur so lasse sich ein Wandel gestalten, sagt die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW).
Frau Reinhardt, die Patienten bestürmen die Praxen der Kinder- und Hausärzte. Das zeigt, dass die ambulante Versorgung unter Druck ist. Wie kann sie auf Dauer stabilisiert werden?
Doris Reinhardt: Was uns am meisten fehlt, sind die Fachkräfte – seien es Ärztinnen und Ärzte, Medizinische Fachangestellte oder die Versorgungsassistenten in der Hausarztpraxis, die sogenannten Verahs. Da geht es dann schlicht nicht, die Sprechstunden zu verlängern. Deshalb sind die Praxen voll, und alle in den Praxisteams arbeiten am Limit. Das zeigt, wie sehr und wie dringend sich vieles ändern muss.
Was genau muss sich ändern?
Reinhardt: In meiner Praxis ist eine Medizinische Fachangestellte eigentlich immer nur am Telefon, um Anrufe anzunehmen, Patientenunterlagen beizubringen oder einen Facharzt anzurufen, wenn ich einen Patienten zu ihm vermitteln will oder eine Rücksprache nötig ist. Da würden digitale Prozesse natürlich helfen – aber nur, wenn sie reibungslos funktionieren und mit echter Entlastung einen Mehrwert bringen.
Und das tun sie heute nicht?
Reinhardt: Leider nein. Die Praxissoftware-Systeme sind da nicht ausgereift, und die Hotlines der Hersteller kämpfen offenbar genauso mit Personalproblemen wie viele andere Branchen auch. Wenn das aber nicht klappt, klappt das Gesamtgefüge nicht.
Wie sieht das aus?
Reinhardt: Ziel muss es sein, dass das Team aus Ärzten, Fachangestellten und Assistentinnen gut arbeiten kann – in der Raumausstattung, mit einer guten EDV und möglichst viel Zeit für den Kontakt zum Patienten. Ich habe erlebt, wie herausfordernd das mitunter sein kann. In meiner Stadt schlossen drei Hausarztpraxen in vergleichsweise kurzer Zeit. Also hat die Praxis entschieden, neue Patienten aufzunehmen, was bedeutet, dass ich 500 Gramm Papier ihrer bisherigen Patientenakte lese, mir die Medikation der Neupatienten anschaue und mir Zeit nehme, sie kennenzulernen und zu erfahren, was sie medizinisch brauchen. Das mache ich natürlich gerne. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen – übrigens auch finanziell.
Die Honorare der Praxen sind aber keineswegs gesunken.
Reinhardt: Und doch nicht so gestiegen, wie es angesichts der Inflation bei Energie- und Materialkosten sowie der neuen Struktur mit den Teams nötig ist. Ein Praxisinhaber kann einen Arzt oder eine Verah nur einstellen, wenn er oder sie sicher weiß, dass man dafür verlässlich und auf Dauer eine Finanzierung bekommt. Der Punkt ist einfach der, dass sich die Arbeit stark verändert hat in den vergangenen Jahren.
Wie wirkte sich das aus?
Reinhardt: Vor 30 Jahren hatte ich keinen älteren Patienten, der keinen nahen Angehörigen am Ort hatte. Heute ist das eher die Ausnahme. Damit fehlt oft unmittelbare Hilfe, wenn jemand zum Termin bei einem Arzt in einer anderen Stadt oder in die Klinik begleitet werden sollte. Also sind wir Hausärzte gefragt, die Versorgungsabläufe zu koordinieren. Und Patienten Rat zu geben, die häusliche Krankenpflege brauchen – aber niemanden finden, der sie ihnen leisten kann. Hausärzte kümmern sich heute um weit mehr, als es früher der Fall war. Das muss bedacht werden, indem die Teams eine Basis mit weniger Bürokratie, einer funktionierenden Digitalisierung und einer stabilen Finanzierung bekommen.
Fachärztin
Doris Reinhardt (60) ist Fachärztin für Allgemeinmedizin. Sie engagiert sich im Hausärzteverband und in der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Sie ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende.
Die KVBW sieht sich als Dienstleister für Ärzte und Psychothepeuten. Ihre Aufgabe ist es, die ambulante Versorgung für gesetzlich Krankenversicherte zu gewährleisten. red
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