Geografie

„Ein Luftbild sagt mehr als tausend Worte“

Ab 2024 sind aktuelle Aufnahmen frei zugänglich – auch für Google. Wie geht die zuständige Behörde damit um und was fasziniert an alten Bildern?

Von 
Jan Georg Plavec
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Luftaufnahmen zeigen die Gegend um den Stuttgarter Rotebühlplatz © LGL

Stuttgart. Seit 1968 wird Baden-Württemberg durchgängig aus der Luft fotografiert. Die Bilder werden öffentlich gezeigt und an Google verkauft. Vom kommenden Jahr an werden sie wie viele andere Geodaten für alle kostenlos zur Verfügung stehen. Das sei eine gute Entwicklung, sagen Dieter Ziesel und Gerald Maier, Präsidenten des Landesamts für Geoinformation und Landentwicklung sowie des Landesarchivs.

Herr Maier, Herr Ziesel, Luftbilder zählen zu den beliebtesten Beständen. Warum ist das so?

Gerald Maier: Luftbilder eröffnen eine spannende Perspektive auf die Lebenswirklichkeit: das eigene Haus, die eigene Stadt, und was sich daran verändert hat. Manch einer wird sein Haus auf den Bildern von 1968 gar nicht entdecken, weil es schlichtweg noch nicht stand. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche hat sich in den letzten 55 Jahren etwa verdoppelt.

Dieter Ziesel: Ein Luftbild sagt mehr als tausend Worte. Es zeigt die Landschaft viel plastischer als eine Karte – und bei der heutigen Auflösung erkennen Sie jeden Kanaldeckel. Außerdem sind sie eine Grundlage für Planung und Dokumentation. Wir im LGL machen aus den Luftbildern lage- und maßstabsgerechte Orthofotos. So halten wir Karten aktuell.

Maier: Auch historische Bildern müssen korrekt verortet und durchsuchbar sein. Man kann Luftbilder aus verschiedenen Jahren vergleichen und Veränderungen der Kulturlandschaft nachvollziehen.

Was sehen Sie in den Luftbildern?

Ziesel: Wir schauen natürlich als Erstes auf Veränderungen, um die Geobasisdaten zu aktualisieren – Straßenverläufe, Kataster, topografische Karten und so weiter.

Maier: Ich suche zunächst das Bekannte, zum Beispiel ein markantes Gebäude. Als Historiker blicke ich dann auf historische Strukturen wie den mittelalterlichen Stadtgrundriss, die Neubaugebiete des 19. Jahrhunderts oder was nach dem Zweiten Weltkrieg dazukam. Und ich kann das, was ich sehe, bewerten – ist das gut, wie das Land sich entwickelt hat? Für den Umwelt- und Artenschutz war die Entwicklung schlecht, für unseren Lebensstandard deutlich vorteilhafter. Letztlich kann die Gesellschaft auf Grundlage der Luftbilder auch Gegenmaßnahmen ergreifen. Aber das geht über unsere Zuständigkeit hinaus.

Das LGL veröffentlicht bis heute gedruckte Landkarten. Warum überlassen Sie das nicht spezialisierten Verlagen?

Ziesel: Wir bieten diese Karten anders als der Markt flächendeckend an. Und wir legen sie derzeit neu auf. Mit der Pandemie hat die Nachfrage angezogen auf rund 100 000 verkaufte Exemplare pro Jahr. Die Auflösung ist besser als früher. Und was ist, wenn ein Handy nicht mehr funktioniert? Dann ist man froh über eine gedruckte Karte.

Mit Ihrer App „BW Map mobile“ treten Sie gegen Google an. Warum?

Ziesel: Google kauft bei uns digitale Karten und Luftbilder. Wir bieten aber auch exklusive Dienstleistungen an. Unsere Karten enthalten zum Beispiel qualitätsgesicherte Daten zu Wanderwegen oder Freizeitzielen.

Bis kommendes Jahr müssen Sie laut EU-Recht fast alle Daten kostenlos abgeben. Mit deren Verkauf haben Sie bisher einen Teil Ihres Budgets bestritten. Schmerzt Sie das?

Ziesel: Bei den Einnahmeausfällen sind wir schnell im siebenstelligen Bereich. Die meisten Einnahmen erzielen wir mit dem Liegenschaftskataster, da haben wir um die 1000 Abrufe pro Woche etwa von Planungsbüros. Wir klären gerade mit dem Ministerium, wie das ersetzt wird. Ich bin da aber sehr optimistisch, weil es ja politisch gewollt ist, dass die Bürger auf solche Daten Zugriff haben.

Maier: Wir stellen unsere Archivmaterialien grundsätzlich kostenlos zur Verfügung und verlangen nur Gebühren für Zusatzleistungen, etwa wenn Papierunterlagen digitalisiert werden müssen. Allerdings muss auch das dem Steuerzahler etwas wert sein.

Was verkaufen Sie 2024 noch?

Ziesel: Derzeit wird diskutiert, ob wir die Luftbilder mit 10 cm Auflösung frei herausgeben können, weil das eventuell datenschutzrelevant ist. Und es wird vielleicht noch Dienstleistungen brauchen, also dass die Daten zum Beispiel aufbereitet werden.

Mit offenen Daten wird auch die Präsentation der Angebote immer wichtiger. Was tun Sie dafür?

Ziesel: Daran arbeiten wir gerade, wir haben ja noch gut ein Jahr Zeit.

Maier: Wir machen Textdokumente im Volltext durchsuchbar, bei den Luftbildern geht es um die Verortung. So können wir den Digitalen Luftbildatlas zunehmend befüllen. Flächendeckend sind Luftbilder aus der Zeit ab 1968 vorhanden. Ältere Bestände reichen bis vor dem Ersten Weltkrieg zurück.

Die 1968er-Bilder wurden zu einem riesigen Luftbild des ganzen Landes zusammengefügt. Ist so eine aufwendige Präsentation stilprägend?

Maier: Sie ist vorbildlich, aber über Haushaltsmittel nicht zu realisieren – die 1968-Bilder haben wir mit Drittmitteln aufbereitet, für 300 000 Euro. Andererseits war das digitale Orthofoto unter den Top-5 der am häufigsten aufgerufenen Angebote.

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