Stuttgart/Mannheim. Herr Stoch, die meisten Baden-Württemberger kennen Sie nicht. Und die Mehrheit derjenigen, die Sie kennen, ist eher unzufrieden mit Ihnen. Warum ist da so?
Andreas Stoch: Da müssen Sie die Leute fragen. Landespolitiker haben allerdings, verglichen mit den Kolleginnen und Kollegen auf Bundesebene, einen niedrigeren Bekanntheitsgrad. Aber so schlecht sind meine Werte nicht. Vor mir liegen nur Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Thomas Strobl. Und der Innenminister wird von den meisten Menschen viel kritischer beurteilt. Aber klar, auch bei mir ist Luft nach oben. Wenn wir Sozialdemokraten in der Regierung wären, könnten wir – wie schon mehrfach in der Vergangenheit – zeigen, was wir können. Dann würden auch meine Zufriedenheitswerte steigen.
Andreas Stoch
- Andreas Stoch wurde am 10. Oktober 1969 in Heidenheim geboren.
- Nach dem Abitur studierte der Schwabe von 1990 bis 1995 Rechtswissenschaft an den Universitäten Tübingen und Heidelberg. Von 1998 bis 2013 war Stoch als Rechtsanwalt in Heidenheim tätig.
- Seit 2009 sitzt Stoch für die SPD im Stuttgarter Landtag. Der Sozialdemokrat war in der grün-roten Koalition von 2013 bis 2016 Kultusminister. Seit 2016 ist er als Fraktionschef der Oppositionsführer seiner Partei. 2018 übernahm Stoch auch den Landesvorsitz. was
Das erinnert an ein altes Bonmot von Franz Müntefering: Opposition ist Mist.
Stoch: Opposition ist natürlich eine Notwendigkeit in der Demokratie. Aber man sollte sich in der Opposition nie wohl fühlen. Man muss den Anspruch haben, zu regieren. Und den habe ich.
Naja, Sie sitzen jetzt schon seit 2016 in der Opposition. Und als früherer Kultusminister haben Sie mit der Bildungspolitik das Thema beackert, das in der Landespolitik die größte Rolle spielt.
Stoch: Die Landespolitik wird dennoch von vielen nur am Rande wahrgenommen. Ich versuche, da durch meine seriöse Arbeit als Oppositionsführer gegenzusteuern. Dazu gehört nicht nur, dass ich die Regierung kritisiere, sondern ich mache ja auch eigene Vorschläge. Übrigens würde sich CDU-Fraktionschef Manuel Hagel über meine Bekanntheitswerte freuen. Zwei Drittel der Baden-Württemberger können mit seinem Namen nichts anfangen.
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Sind Sie eigentlich noch immer sauer auf Winfried Kretschmann, weil es 2021 nicht mit der Ampel geklappt hat?
Stoch: Sauer ist jetzt vielleicht das falsche Wort. Aber im Rückblick habe ich schon den Eindruck, dass Kretschmann 2021 nichts anderes vorhatte, als mit der CDU weiterzuregieren. Er hat nur so getan, als wäre er offen für alles gewesen, als er auch mit uns Sondierungsgespräche führte. Und seine Partei, die damals erst versucht hat, ihm die Ampel schmackhaft zu machen, hat sich letztlich in ihr Schicksal gefügt. Zum Schaden des Landes.
Was ist denn in Ihren Augen besonders schiefgelaufen?
Stoch: Baden-Württemberg steht nach mehr als acht Jahren unter Grün-Schwarz beim Wohnungsmangel bundesweit an der Spitze. Auch beim Bildungsranking rutscht Baden-Württemberg immer weiter ab. Und in der Wirtschaft bemerken wir doch immer stärker, dass der notwendige Wandel nicht nur durch Zuschauen funktioniert. Diese Landesregierung ist gegenwärtig leider kein politischer Gestalter, sondern belauert sich nur noch gegenseitig, trifft aber keine politischen Entscheidungen mehr.
Täuscht der Eindruck, dass Ihr Verhältnis zu Winfried Kretschmann nicht sonderlich gut ist?
Stoch: Ja, das täuscht. Ich habe mit Herrn Kretschmann in der gemeinsamen Regierungszeit sehr gut und vor allem auch vertrauensvoll zusammengearbeitet. Ich habe auch nie ein schlechtes Wort über meine Arbeit von ihm gehört. Als Oppositionsführer im Landtag habe ich allerdings die Aufgabe, ihn und seine Regierung zu kritisieren. Aus der Rolle heraus ergibt sich natürlich auch ein gewisses Spannungsverhältnis, aber ich kann Ihnen sagen, im persönlichen Umgang schätzen wir uns und respektieren uns auch.
Wie kommen Sie mit Herrn Hagel aus, der ja durchaus 2026 Ministerpräsident werden könnte?
Stoch: Unser persönliches Verhältnis ist gut. Herr Hagel ist mein Kollege als Fraktionsvorsitzender, da haben wir immer wieder Dinge zu besprechen, wie vor wenigen Wochen die Besetzung des Verfassungsgerichtshofs. Aber ich merke schon, dass Grüne und CDU in der Landesregierung nur noch Formelkompromisse beschließen. Die gönnen sich nichts mehr gegenseitig. Da gibt es eine gewisse Entfremdung, und die führt dazu, dass sich die Regierungspartner nach Optionen für die Zukunft umschauen. Und wir wollen als Sozialdemokraten natürlich nach der Landtagswahl Teil der Regierung werden. Und deshalb führen auch wir Gespräche.
Trauen Sie Hagel den Job des Ministerpräsidenten zu, ist er dafür nicht zu jung?
Stoch: Zunächst einmal wird die Landtagswahl in knapp zwei Jahren ein offenes Rennen werden, weil kein Bewerber mit einem Amtsbonus antritt. Und der ist bei Landtagswahlen ein entscheidender Faktor. Die CDU hofft natürlich, dass sie davon profitieren wird, und ich gehe davon aus, dass Herr Hagel auch antreten wird. Ob und wann die Grünen ihren Wunschkandidaten Cem Özdemir präsentieren, vermag ich nicht zu sagen. Ich gehe aber auf Basis der aktuellen Umfragen nicht davon aus, dass es auf ein wirkliches Duell herauslaufen wird. Und natürlich habe auch ich den Anspruch, in diesem Rennen mitzumischen und mit meiner SPD so stark wie möglich abzuschneiden.
Wirklich? Die SPD liegt in den Umfragen meilenweit hinter den Grünen und der CDU.
Stoch: Ich habe ja auch nicht gesagt, dass am Ende für mich der Ministerpräsidentenjob herausspringen wird. Wie gesagt, das ist ein offenes Rennen. Man sollte die SPD jedenfalls nie abschreiben. Bei der Bundestagswahl 2021 ist uns mit Olaf Scholz ja auch eine große Aufholjagd gelungen. Wir landeten hier in Baden-Württemberg deutlich vor den Grünen und knapp hinter der CDU. Und in zwei Jahren kann viel passieren. Gerade in diesen Zeiten, die Wahlergebnisse sind so volatil, weil die Parteibindung der Bürgerinnen und Bürger immer geringer wird.
Scholz regiert jetzt seit drei Jahren. Wir haben nicht den Eindruck, dass zum Beispiel FDP-Finanzminister Christian Lindner ihm im Haushaltsstreit den nötigen Respekt entgegenbringt.
Stoch: Ich glaube nicht, dass es der fehlende Respekt ist. Ich habe das Gefühl, dass bei Herrn Lindner die persönliche Profilierung im Vordergrund steht. Warum die FDP so handelt, ist für mich rational nicht erklärbar. Denn die Liberalen werden in allen Umfragen und Landtagswahlen abgestraft.
Kann es sein, dass Lindner die Koalition platzen lassen will?
Stoch: Ich kann natürlich nicht in Christian Lindners Kopf schauen. Manche behaupten ja, dahinter stecke eine perfide Strategie mit dem Ziel, die Ampel-Koalition zu sprengen. Aber in meinen Augen würde das keinen Sinn machen. Mit wem sollte die FDP denn dann nach Neuwahlen regieren – wenn sie denn überhaupt noch in den Bundestag kommt?
Vielleicht hat er da seine alte Devise im Kopf: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“
Stoch: Da hat er womöglich mehr über seine eigenen Fähigkeiten gesagt, als ihm lieb ist. Ich merke ja, dass die FDP im Bund, aber auch in Baden-Württemberg jetzt wieder über eine schwarz-gelbe Mehrheit fabuliert. Schauen Sie sich doch mal die Zahlen an! Das wird nicht funktionieren. Und Jamaika . . .
. . . also eine Regierung aus Union, FDP und Grünen . . .
Stoch: . . . ist in Baden-Württemberg eher unwahrscheinlich, weil CDU und Grüne zusammen möglicherweise stark genug sind, eine Mehrheit ohne die FDP zu bilden. Und im Bund erzählt die FDP ja dauernd, dass man mit den Grünen nicht gut regieren kann. Ich glaube eher, dass Lindners Motive simpel sind: Er will die FDP als die Sachverwalterin einer soliden Haushaltspolitik positionieren. Doch mit dieser Botschaft kann Lindner nicht punkten. Die meisten Ökonomen sagen, dass Deutschland kein Schulden-, sondern ein Wachstumsproblem hat. Und das liegt daran, dass zu wenig investiert wurde und wird. Und das nur, weil sich FDP und Union an die Schuldenbremse wie an einen Baum ketten.
Lindner sagt aber, wir hätten ein Ausgabenproblem.
Stoch: Man kann das natürlich immer behaupten und dann die Menschen, die Bürgergeld bekommen, oder die Flüchtlinge unter einen Generalverdacht stellen. Jeder Ökonom, der die Zahlen kennt, sagt Ihnen, dass Sie mit Haushaltsdisziplin vielleicht zwei bis drei Prozent einsparen können. Unser Investitionsbedarf ist aber viel höher.
2021 hat die SPD mit Scholz die Bundestagswahl gewonnen. Es gibt aber auch viele Sozialdemokraten, die haben Angst, dass sie mit ihm nächstes Jahr verlieren. Ein Drittel der Parteimitglieder wünscht sich deshalb laut einer Umfrage einen anderen Kanzlerkandidaten. Was sagen Sie dazu?
Stoch: Dass im Umkehrschluss zwei Drittel ihn weiterhin wollen.
Im Politbarometer schneidet Scholz bei allen Werten ganz schlecht ab.
Stoch: Wir haben da in der Tat ein Problem: 85 Prozent der Wählerinnen und Wähler sagen, dass der Bundeskanzler zu wenig führt.
Und er hat doch früher versprochen: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.“
Stoch: Ich habe deshalb schon zu ihm gesagt, dass ich mir wünschen würde, dass wir als SPD – und da ist Scholz in seiner Rolle als Kanzler die Nummer eins – deutlicher sagen, was aus unserer Sicht das Richtige und Notwendige ist.
Wie reagiert Scholz darauf?
Stoch: Vorweg, ich bin nicht der Einzige, der mit ihm über dieses Thema diskutiert. Und Olaf Scholz ist da auch einsichtig. Wir dürfen in der Öffentlichkeit nicht nur die Probleme beschreiben, sondern müssen auch die Lösungen benennen. Das hat Scholz auch im Wahlkampf 2021 so gemacht. Ich bin mir sicher, wir dürfen von ihm nach der Sommerpause in den nächsten zwölf Monaten klarere Ansagen erwarten. Wir werden aus Olaf Scholz allerdings nicht einen machen können, der plötzlich als Basta-Kanzler – etwa im Stil von Gerhard Schröder – antritt. Er hat seinen eigenen Führungsstil . . .
. . . das ist ja das Problem . . .
Stoch: . . . und da werden sich manche nicht wiederfinden. Ich kenne Olaf Scholz jedenfalls auch als emotionalen und humorvollen Menschen. Vielleicht sollte Scholz davon auch in der Öffentlichkeit mehr zeigen, dann würde er bei den Menschen nahbarer erscheinen, als dies gegenwärtig der Fall ist.
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