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Zwingenberger Brain AG will ihr Wachstum beschleunigen und profitabler werden

Von 
Thomas Tritsch
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Zwingenberg. Noch im laufenden Geschäftsjahr könnte die Brain Biotech an der Gewinnschwelle kratzen. Das teilte Finanzvorstand Lukas Linnig gestern bei der virtuellen Hauptversammlung des Biotech-Pioniers mit. Die Nulllinie sei nun in greifbarer Nähe. Die Geschäfte im Bereich der Genom-Editierung sieht Linnig hier als entscheidende Größe. Auf dem globalen Milliardenmarkt der revolutionären Gentechnik CRISPR/Cas mischt seit letztem Jahr auch der Enzymspezialist mit Sitz in Zwingenberg mit.

Ohne die anhaltend hohen Investitionen in die eigene CRISPR-Genom-Editing-Plattform, derzeit rund drei Millionen Euro, rechnet das Management aktuell mit einem Umsatz für das Geschäftsjahr in der Größenordnung von 43 bis 45 Millionen Euro und einem bereinigten EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Abschreibungen), das sich ganz nah am Breakeven-Punkt bewege. An der Börse überzeugte das gestern nicht, der Aktienkurs gab nach und notierte im Handelsverlauf auf dem tiefsten Stand seit Jahresbeginn.

Im Corona-Modus agiert

Die Anteilseigner mussten sich am Mittwoch aufgrund der andauernden Pandemie wie schon im letzten Jahr mit einer Online-Veranstaltung zufrieden geben. Sie hatten aber im Vorfeld die Gelegenheit, ihre Fragen auf elektronischem Weg nach Offenbach zu schicken, wo der geschäftsführende Vorstand und der Aufsichtsratsvorsitzende per Live-Stream zugeschaltet waren.

Vorstandschef Adriaan Moelker übernahm im Februar 2020 die Verantwortung und musste die Geschäfte von Beginn an im Corona-Modus agieren. Ein Jahr vor dem 30. Gründungsjubiläum sieht er das Unternehmen auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft. „Unser klares Ziel lautet weiterhin mehr Wachstum und Profitabilität“, so der CEO, der die Gruppe mitten in einem prominenten Transformationsprozess verortet.

Von einer ehemals stark forschungsorientierten Organisation entwickle man sich gegenwärtig rasant zu einem integrierten Lösungsanbieter für die Industrie weiter, der Produktion, Entwicklung und Vertrieb unter einem Dach bündelt. Begleitet wird diese innere Dynamik laut Moelker von einem Programm, das die Identität schärfen und zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Unternehmen innerhalb der Gruppe beitragen soll.

Trotz des allgemein schwachen wirtschaftlichen Umfelds verzeichnet Brain im Geschäftsjahr 2020/21 ein stabiles Umsatzniveau. Die Erlöse sind auf 38,4 Millionen Euro gestiegen. Gegenüber dem Vorjahr macht dies ein leichtes Plus in Höhe von 0,4 Prozent.

Dank strikter Kostenkontrolle habe man das EBITDA wie geplant verbessern können, obwohl das Unternehmen weiterhin hohe Investitionen in die eigene Inkubator-Pipeline tätigt, die der CEO als eine der Säulen für zukünftiges Wachstum bezeichnet. Hier seien zuletzt zwei wichtige Projekte mit erheblichem wirtschaftlichem Potenzial gestartet worden:

Das BRAIN-Engineered-Cas-Projekt, das auf einer proprietären CRISPR-Cas9-unabhängigen Nuklease basiert, habe erhebliche Fortschritte gemacht und sich bereits zu einem treibenden Faktor für die Generierung von neuen Partnerschaften im BioScience-Segment entwickelt. Laut Moelker werde man in diesem Bereich ab sofort weniger, dafür aber „erfolgsversprechende Projekte“ avisieren. Eine Verschlankung, die Geld bringen soll.

Das sieht auch der Finanzchef so. Bezüglich der Genom-Engineering Plattform zeichneten sich jetzt weitere Partnerschaften und Lizenzvergaben ab. Lukas Linnig spricht von einem Treiber innerhalb des Brain-Portfolios, das sich durch das Wachstum der Konzernfamilie immer breiter und diversifizierter präsentiert. Während die Umsätze im BioIndustrial-Segment (Produktgeschäft) von 25,1 Millionen Euro auf 28,2 Millionen Euro angestiegen sind, zeigen die wissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in der Sparte BioScience – inklusive Inkubator – einen Umsatzeinbruch um gut 22 Prozent auf 10,3 Millionen Euro.

Dies begründet Linnig mit Unterbrechungen der Forschungsarbeit im Kontext der Pandemie und ein ebenfalls durch Corona bedingtes zögerliches Verhalten von potenziellen Geschäftspartnern beim Abschluss langfristiger Kooperationsverträge. Unterm Strich habe sich das eine Segment auf das andere aber ausgleichend ausgewirkt und die besagte leichte Aufwärtskurve ausgelöst. Ohne selektive Einschränkungen in den Lieferketten hätte das organische Wachstum noch dynamischer ausfallen können, ergänzt der CEO. Erst im vierten Quartal 2021 habe man nach einer längeren Schwächephase einen deutlichen Schub durch eine Belebung des Geschäfts verzeichnet, was sich auch zu Beginn des laufenden Jahres fortsetze. Dennoch zeigte sich der Finanz-CEO vom organischen Wachstum der Brain seit 2018 nicht gerade begeistert: „Das Management ist nicht zufrieden, wir erwarten uns deutlich mehr.“ In diesem Jahr peilt die Gruppe eine Rückkehr auf den „Wachstumspfad“ an. Linnig sieht das Unternehmen sehr gut positioniert, um auf das „nächste Level“ aufzusteigen.

Gen-Schere soll Werttreiber sein

„Wir haben jeden Grund, zuversichtlich zu sein. Während der letzten beiden Jahre haben wir das Unternehmen neu ausgerichtet und die Rückkehr zum Wachstumskurs vorbereitet – und zudem erfolgreich durch die Pandemie geführt“, so Adriaan Moelker. Die jüngste Akquisition von Breatec soll den profitablen Wachstumskurs weiter beschleunigen. Der niederländische Spezialist für funktionelle Lebensmittelzutaten erweitert das Enzym-Portfolio des Biotechnologie-Konzerns, in dem sich die CRISPR-Nische immer mehr zu einem Alleinstellungsmerkmal für das interne Auftragsforschungsgeschäft entwickelt. Die unternehmenseigene Genom-Editing-Plattform trägt zunehmend zum Umsatz bei und dürfte perspektivisch einer der wesentlichen Werttreiber sein.

Die Analysten scheinen die Situation ähnlich positiv einzuschätzen. Die großen Banken sprechen eine klare Kaufempfehlung aus. Von den 21,7 Millionen Aktien, verteilt auf knapp 9000 Aktionäre, sind aktuell mehr als 47 Prozent in Streubesitz. Der Aufsichtsratsvorsitzende Georg Kellinghusen sieht darin keine negativen Auswirkungen auf die angepeilte Unternehmensstrategie der Gruppe: „Das ist eher eine Chance.“

Der Aktienmarkt soll durch neue Investorengruppen weiter internationalisiert werden. Zuletzt war der Hamburger Lloyd Fonds neu hinzugekommen, der aktuell 3,8 Prozent der Wertpapiere hält. Größter Einzelaktionär bleibt mit 36,4 Prozent der Anteile die MP Beteiligungs-GmbH, die seit dem Börsenstart dabei ist. Gründer und Management von Brain halten 6,8 Prozent der Aktien.

Das Interesse der Klein- und Privataktionäre ist nach wie vor groß. Auch Kellinghusen, selbst Aktionär, sprach gestern von einem hohen Entwicklungspotenzial und einem dynamisch wachsenden Produktgeschäft der Brain-Gruppe, zu der aktuell sechs Tochterunternehmen gehören. Bilder: Brain

Keine eigenen Vertriebskanäle in Russland

  • Ukraine-Krieg: Finanzvorstand Lukas Linnig teilte auf Nachfrage mit, dass die Brain-Gruppe keine eigenen Vertriebskanäle in Russland oder Belarus (Weißrussland) betreibt. Es gäbe momentan aber Vertriebsaktivitäten in Russland über einen Geschäftspartner, die weniger als ein Prozent des Gesamtumsatzes ausmachen. Linnig kündigt an, dass es künftig keine direkten Lieferungen in beide Länder geben werde und dass der Konzern keine Produkte von dort ankaufen werde.
  • Corona: Die Pandemie hat die Gruppe bislang ohne schwere Blessuren überstanden. Personell bedingte Unterbrechungen in den Betriebsabläufen aufgrund von Infektionen habe es nicht gegeben, so Adriaan Moelker. Die beengte Lieferkettensituation habe man durch alternative logistische Kanäle und verstärkte Lagerkapazitäten ein Stück weit abmildern können. Angesichts steigender Energie- und Rohstoffkosten komme man aber trotz Einsparbemühungen nicht an selektiven Preiserhöhungen für Kunden herum.
  • Gentechnik: Mit der CRISPR-Cas9-Technologie lässt sich das Erbgut von Organismen präzise verändern. Es funktioniert quasi als molekulares Skalpell. Laut Lukas Linnig nutze Brain-Biotech diese Technologie ausschließlich zum Wohle des Menschen und für mehr Lebensqualität. In der Medizin oder der Biopharmazie kann die Gen-Schere zu neuen Therapien führen und die Heilungschancen von Krankheiten wie Krebs verbessern. Linnig sagte, man sei sich der hohen ethischen Verantwortung bewusst. Derzeit werde ein entsprechender Wertecodex formuliert, der für alle Unternehmen unter dem Dach der Brain verbindlich gültig sein soll. 

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