Zwingenberg. Üppig blühende Geranien, hoch gewachsene Grünpflanzen und Berge von Geschirr („einfach zu schade zum Wegwerfen“) haben zwei Freundinnen aus Bensheim auf ihren Tischen und der alten Steinmauer deponiert. „Meine Mutter ist kurz nach ihrem 90. Geburtstag verstorben und ich wusste einfach nicht wohin mit ihrem Haushalt. Wegwerfen wollte ich nichts“, sagt die Tochter der Seniorin und zupft nebenbei ein paar nicht mehr ganz so einwandfreie Blütenblättchen ab.
Die Bensheimerin und ihre Freundin sind begeisterte und langjährige Flohmarkt-Ausstellerinnen und verkaufen in Zwingenberg und auf verschiedenen Weihnachtsmärkten nebenbei auch selbstgekochte Marmelade. „Wir sammeln Spenden für die Freie Evangelische Kirchengemeinde Seeheim-Jugenheim, die wiederum ein Waisenhaus in Indien bauen will“, verraten die beiden gut gelaunten „fliegenden Händlerinnen“.
Nach zwei Jahren „Corona-Pause“ feierte der traditionelle Altstadt-Flohmarkt bei idealem Bummel-Wetter ein erfolgreiches Comeback. Auch wenn es deutlich weniger Stände als in den Vorjahren und in der Folge größere Lücken rund um den Marktbrunnen und in den schmalen Gässchen gab. „Es ist erheblich weniger los als in früheren Zeiten. Wir wissen nicht, woran das liegt“, war überall zu hören.
Vieles wurde verschenkt
Der guten Laune bei Kundschaft und jungen wie alten Verkaufstalenten tat dies aber keinen Abbruch. Die „Geschäfte“ liefen gut. Es wurde nach Herzenslust gefeilscht, geklönt, es wurde vieles verschenkt oder wanderte für einen Euro in die mitgebrachte Plastiktüte oder in den Rollkoffer der glücklichen, neuen Besitzer.
Die Schnäppchenjäger kamen tatsächlich voll auf ihre Kosten und auch der Trödeltrupp zeigte sich bereits am frühen Vormittag vorsichtig optimistisch, dass möglichst viel eigenes Hab und Gut aus dem Keller, Krimskrams vom Speicher, aus überfüllten Kleiderschränken und Kinderzimmern einen Liebhaber findet. Die Preise waren durch die Bank „sozial-verträglich“ und überdies in den meisten Fällen verhandelbar. Der Spaß stand im Vordergrund.
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Teilweise schon um fünf Uhr in der Früh – und sogar noch zeitiger – belegten die ersten Händlerinnen und ihre männlichen Kollegen ihre Plätze. Später stießen die Kinder dazu. Wie üblich hatte die Stadtbücherei alte Ausgabe aus ihrem Sortiment aussortiert, um Platz für Neuheiten zu schaffen. Für Leseratten waren die Bücherkisten ein wahres Paradies. Für kleines Geld gab’s spannende, gut erhaltene Bücher für jedes Alter.
Nicht ganz jugendfrei
Als nicht ganz jugendfrei präsentierte sich die Ausgabe der Zeitschrift „Venus International“ am Stand einige Meter weiter. Was Bayern München-Fan Klaus Hübner allerdings zu bieten hatte, fand viele Bewunderer und hoffentlich auch einige Käufer. Der Tüftler füllt seinen Ruhestand nämlich mit dem Bau von Oldtimern aus alten Hobeln mit originalgetreuen Kfz-Typenschildern, kleinen Eisenrädern und allerlei Dekorativem. Hinter dem Steuer sitzen Tim und Struppi.
Anna und David Nowak machten gegenüber auf ihre Hilfsaktion zugunsten ukrainischer Flüchtlinge aufmerksam. „Demnächst startet unser vierter Konvoi an die polnische Grenze und in die Ukraine“, verrät David Nowak. Gebraucht werden vor allem Lebensmittel und Medikamente.
Ihre private Schatzkiste hat die Familie Riess aus Wiesbaden extra für den Zwingenberger Flohmarkt geöffnet und wertvolle, kleine Möbelstücke mit feinen Intarsien aus Ägypten mitgebracht. Der Bauingenieur („ich bin ein waschechter Monnemer“) hat zehn Jahren in Alexandria, in Kairo und im Süden von Ägypten unter anderem am Assuan-Staudamm gearbeitet. Unter den viel bewunderten Einzelstücken befanden sich neben vielen anderen Raritäten eine Tischplatte, ein Spiegel- und ein Schubladenschrank und eine Lampe aus Kupfer. Dass das Familienoberhaupt sichtlich einen Riesenspaß an den Verkaufsgesprächen hatte, war nicht zu übersehen. Mit strahlenden Augen zog eine „Kundin“ aus Riedstadt mit einem wunderschönen, wertvollen Tisch von dannen: „Ein echtes Schnäppchen. Ich liebe alles Schöne aus Indien und Ägypten.“
Natürlich gabs auch den üblichen Flohmarkt-Kleinkram. Jede Menge Spielsachen, Barbies, Lego, Kinderbücher, dann Geschirr (Teller für „Handkäs mit Musik“), Gläser, Schmöker von den „Wilden Hühnern und die Liebe“ von Cornelia Funke bis zum „Schwarz- Buch-Corona“. Ob die „kaum getragene Persianer-Jacke“, eine Kürschnerarbeit aus Mannheim, eine Liebhaberin gefunden hat, ist unklar. „1500 Mark hat das Erbstück von der Tante mal gekostet“, weiß die Noch-Besitzerin, die „keine Ahnung“ hat, was sie für den Pelz verlangen soll: „Ich warte ab, was man bietet.“
Ein Hingucker ganz anderer Art waren die meterlangen Tische mit alten bis uralten Büchern – alles Originalausgaben. Zweieinhalb Stunden hat er allein für den Aufbau in den frühen Morgenstunden gebraucht. „Ich habe zu Hause etwa 5000 Exemplare und darf auf Anweisung meiner Ehefrau kein neues Buch mehr nach Hause bringen“, erzählt er lachend. Seine Sammelwut hat beim Ausräumen des Speichers seiner Schwiegermutter vor mehr als 40 Jahren begonnen. Die älteste Ausgabe, die er auf dem Flohmarkt zeigte, stammt aus dem Jahr 1574.
Für Karl-Heinz Sevenich aus Fehlheim waren die Oldies aus Papier das reinste Paradies. Allerdings zeigt er sich wählerisch. „Ich suche Bücher über Spinnen.“ Auch Sevenich ist ein Sammler, der sich vor 40 Jahren auf die Jagd nach den langbeinigen Gliederfüßlern gemacht hat und in Frankfurt inzwischen Spinnen-Lehrgänge für Kinder anbietet. „Begonnen hat aber alles mit Ameisen. Ich bin da vorbelastet. Mein Uropa war Förster“, versucht er sein ausgefallenes Hobby zu erklären.
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