Jubiläum - Zwingenberger Theatergruppe blickt auf eine bewegte 40-jährige Geschichte zurück / Festakt am 22. August im Keller unter dem Amtsgericht

Theater Mobile zeigt Mut zum Experiment

Von 
Thomas Tritsch
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Zwingenberg. Ein freies Gebilde, spielerisch ausbalanciert und in alle Richtungen beweglich. Aber auch ein Stück Poesie, das vor Lebensfreude tanzt und durch sein wechselndes Farbenspiel und seine artistische Anmut immer wieder aufs Neue fasziniert: ein Mobile.

Der Name wurde zum Credo und zur grundlegenden Idee einer dynamischen Gruppe theaterbegeisterter Menschen, die sich bereits Ende der 60er Jahre in Bensheim zusammengefunden hat. Mit dem Umzug ins Alte Amtsgericht in Zwingenberg begann im Frühjahr 1980 ein neues Kapitel: Der Mobile-Keller öffnete seine historischen Tore.

Niveauvolle Inszenierungen

Längst hat sich der Verein mit seinen anspruchsvollen Eigenproduktionen und facettenreichen Gastspielen einen Namen in der regionalen Kulturszene gemacht. Die „Mobilisten“, wie sich die Mitglieder in beinahe verschwörerischer Komplizenschaft nennen, bleiben trotz personeller Veränderungen und einer dynamischen Entwicklung ihrem Credo treu: niveauvolle Inszenierungen – gern abseits des Mainstream –, Mut zum Experiment und eine genre-übergreifende Neugier prägen das Selbstverständnis der Truppe bis heute.

Am Samstag, 22. August, findet im Theaterkeller ein Jubiläums-Festakt statt. Für den Bergsträßer Anzeiger mehr als ein guter Grund, um mit einigen der wichtigsten Akteure von damals und heute in die Vergangenheit zu schauen. Nicht wehmütig, bestenfalls ein wenig nostalgisch und – zu Recht – auch ein bisschen stolz auf das bisher Erreichte.

Mit Spannung wurde die Premiere des ersten Stücks erwartet: „Der Engel mit dem Blumentopf“ nach Miguel Mihura. Eine Gaunerkomödie unter der Regie von Klaus Stoll. Mit Gabrielle Poitevin in der Rolle der geschwätzigen Vermieterin Dona Pilar und Gabriele Dierig als barmherzige Schwester Maria.

1981 folgte das Mundartstück „Bleiwe losse“ von Wolfgang Deichsel, dann 1983 die sehr erfolgreiche Travestieshow „Vox Bon Bon“ von und mit Volker Riegert. Unter dem Vorsitz von Uwe Werner startete das Ensemble richtig durch.

Stefan Ostheimer kümmerte sich um die Gastspiele. Darunter immer wieder große Namen wie Hanns Dieter Hüsch, die Frankfurt City Blues Band, Axel Zwingenberger und Emil Mangelsdorff. Der berühmte Jazz-Saxofonist hatte sich im April 2009 in Zwingenberg mit dem nicht weniger prominenten Promoter Fritz Rau getroffen, um über „Jazz im Dritten Reich“ zu sprechen. Mangelsdorffs brillante Soli auf dem Altsaxofon ergänzten einen zweistündigen Abend in wunderbarer Besetzung. „Talking Jazz mit Sachverstand und Lebensklugheit“, titelte der BA. Aber auch regionale Prominenz wie Walter Renneisen, die Original Blütenweg Jazzer oder Ingrid Noll war gern und oft im Haus.

Zurück in die Achtziger. In dieser Phase wurde auch das Tanztheater von Helmut Dasing als eigene Schiene etabliert. „Eine sehr kreative Zeit“, erinnert sich Axel Krause, der 1984 das Zepter übernommen und den Theaterverein in die 90er Jahre geführt hat.

Dumm nur, dass gleich in seinem ersten Jahr als Chef kein Regisseur für eine Eigenproduktion gefunden werden konnte. Also hat das Mobile einen feinen „Spezialitätenkoffer“ gepackt: Ein pikantes Kleinkunst-Menü aus verschiedenen Zutaten, bei dem auch Wolfgang Kossmann erstmals in die Mobile-Nische hinein geschnuppert hat.

Mit Folgen: Der gebürtige Frankfurter, ehemaliger Kunstlehrer, Theaterfreund und aktiver Maler, hat den Verein von 1991 bis 2001 angeführt. Seine erste Regiearbeit war bereits 1987 „Der Menschenfreund“ mit Axel Krause in der Titelrolle. Gabrielle Poitevin war damals auch für Maske und Garderobe zuständig.

Die Inszenierung „Das Orchester“ aus dem Jahr 1991 ist Kossmann noch in bester Erinnerung: Das Konzertstück nach Jean Anouilh zeigt Musiker als Spiegelbild des alltäglichen Lebens – gefangen in Konventionen und Entscheidungslosigkeit, verschlungen in ihren Schicksalen zwischen Illusion und Verbitterung. Mit dem intensiven Kammerspiel „Arbeitstitel: Beethoven“ hatte er sich 2006 vom Regiestuhl verabschiedet.

„Der Mix aus Sprech- und Tanztheater, Clownerie und Kindertheater war damals einzigartig in der Region“, so Wolfgang Kossmann. Hinzu kam die Reihe „Sprungbrett“, die Uwe Werner erfolgreich etabliert hatte und die später als „offene Bühne“ weiter Karriere gemacht hat. Heute ist das Format unter dem Titel „Star Step“ beliebt.

„Wer Lust am Theater hat, der kann sich hier ausleben“, so Krause über die künstlerische Barrierefreiheit dieser Bühne. Diesen kreativen Spielraum habe er seit jeher zu schätzen gewusst. Für Gabrielle Poitevin war und ist das Haus ein alternatives Forum für die nicht angetretene Schauspielkarriere. „Einst mein Traumberuf. Aber es kam anders. Gerade deshalb ist das Mobile weitaus mehr als nur ein Hobby“. Wolfgang Kossmann spricht sogar von einer „erweiterten Familie“: Kaum einer, der hier nur auf der Bühne steht und seinen Text herunter spricht.

Das Mobile ist auch ein Zugeständnis an den Theaterbetrieb an sich – mit allem, was vor und hinter den Kulissen dazugehört: Text lernen, Theke schmeißen, Tickets kontrollieren. Ein wahrer „Mobilist“ kommt nicht nur zur Probe und nimmt dann seinen Hut. Man könnte fast meinen, dass hier das kreative Multi-Tasking erfunden wurde.

Was viele nicht mehr wissen: Als Mitte der 80er Jahre der Verkauf des Alten Amtsgerichts diskutiert wurde, wollte die Theatergruppe den Keller sogar kaufen. Axel Krause schickte einen entsprechenden Antrag in Magistrat und Stadtverordnetenversammlung. „Wir wollten den Theaterbetrieb unbedingt für die Zukunft sichern“, erinnert sich der damalige Vorsitzende.

Was war passiert? Das Alte Amtsgericht hatte sich im Zuge der Kommunalwahl 1985 zu einem polarisierenden Zwingenberger Wahlkampf-Thema entwickelt. Die damalige Koalition hatte einen Verkauf an einen Investor befürwortet, der auch Umbau und Sanierung durchführen sollte. Weil die Karten im Stadtparlament nach der Wahl aber neu gemischt wurden, kam es anders: Es folgten Umbau und Sanierung in kommunaler Hand.

2005 wurde der Theatersaal erneut renoviert. „Ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Mobile-Geschichte“, betont Krause. Doch auch der Verein hat die Entwicklung des Kellers immer gefördert und nach Kräften unterstützt. „Geld, das übrigblieb, haben wir in die Technik investiert“, so Axel Krause. Licht, Ton und Raumklima wurden immer wieder optimiert, um den Regisseuren mehr Möglichkeiten und dem Publikum eine bestmögliche Atmosphäre zu bieten.

Seit 2016 neues Führungsteam

Seit 1981 hat der Verein Höhen und Tiefen erlebt. Julia Schlipf und Brigitte Hammacher führten das Drei-Sparten-Theater (Schauspiel, Tanz, Musik) durch die nicht immer einfachen Nuller-Jahre. Aus dieser Zeit bleiben starke Inszenierungen wie „Marleni“ nach Thea Dorn oder „Misery“ von Stephen King in Erinnerung. Nach einigen Meilen in recht unruhigem Fahrwasser und mehreren Veränderungen im Vorstand ist seit Februar 2016 ein komplett neues Führungsteam in der Verantwortung. Gegenwärtig befindet sich das Mobile in einem Aufwind.

Leo Ohrem, seit 2007 in der Mobile-Familie, wurde ans Ruder gewählt, nachdem Gabrielle Poitevin den Verein seit Hammachers Abschied 2015 als Interims-Chefin weitergeführt hatte. Er war angetreten, um den Status des Mobile als ambitioniertes Kulturhaus in der regionalen Szene dauerhaft zu steigern.

Die Publikumszahlen haben sich – vor Corona – sehr positiv entwickelt. Mit der neuen Eigenproduktion „Ein Sommernachtstraum“ wird die Saison – wie berichtet – im September weitergehen. Unter anderem mit Gastspielen von Martin Zingsheim und Andrea Sawatzki.

Bleibt zum Abschluss nur noch eine Frage offen: Warum steht da eine nackte Frau im Logo des Theaters? „Das soll Thalia sein“, so Gabrielle Poitevin. Die Muse der komischen Dichtung und Unterhaltungskunst hat die Bühne seit Jahrzehnten treu begleitet. Dass die göttliche Nymphe auch als noble Beschützerin aller Theaterspielstätten angesehen wird, dürfte der Zukunft des Hauses nicht schaden.

Freier Autor

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