Theater Mobile

Selbsterfahrungstrip auf offener Straße in Zwingenberg

Die neue Eigenproduktion im Theater Mobile überzeugt als kurzweiliges Bühnen-Roadmovie mit viel Musik und spielfreudigem Ensemble.

Von 
Thomas Tritsch
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Die Eigenproduktion „Road to Gretna Green – Der Sommer meines Lebens“ von Regisseur Danilo Fioriti wird noch fünf Mal im Theater Mobile gespielt. © Thomas Zelinger

Zwingenberg. In den späten Sechziger Jahren. Die biedere Landjugend folgt ihrem aufkeimenden Fluchtinstinkt in Richtung Freiheit, Liebe und Abenteuer. Die Sehnsucht nach Identität und Souveränität ist stärker als die Sicherheit im muffigen Nest der spießigen Eltern.

Unterwegs kollidieren die jungen Leute nicht nur mit Hippies, Rockern und Kleinkriminellen, sondern auch mit ihren eigenen wackligen Lebenskonzepten. Ein Selbsterfahrungstrip auf offener Straße – irgendwo zwischen Odenwald und Schottland, dem namensgebenden Ziel einer langen Reise.

„Road to Gretna Green – Der Sommer meines Lebens“ heißt die neue Eigenproduktion von Danilo Fioriti für das Theater Mobile. Ein Dorf im Süden Schottlands, wo Jugendliche ab 16 Jahren aufgrund einer gesetzlichen Lücke ohne Einwilligung der Eltern heiraten dürfen. Der Ort steht symbolisch für Selbstbestimmung abseits konservativer gesellschaftlicher Zwangsjacken, aus denen sich die Dorfkinder in einem mutigen Akt der Autarkie befreien möchten. Doch die Alten nehmen die Fährte auf.

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Das Stück spielt 1968. Es ist eine Zeit der Jugendproteste und des Vietnamkriegs, der jugendlichen Auflehnung und des knirschenden Generationenkonflikts. Hippies und Freiheitssehnsucht im einen, Konservatismus und Borniertheit im anderen Lager. Der Zuschauer taucht ein in eine legendäre, aber auch klischeebeladene Zeit des Umbruchs und der Neuorientierung. Danilo Fioriti spielt mit diesen Stereotypen und hinterfragt sie im gleichen Atemzug. Sein Stück, in dem er selbst als Hippie mitspielt, ist ein Roadmovie auf dem Theater, ein komödiantisches Sozialdrama mit Happy End und ein künstlerisch gelungener Anschlag auf starre Denk- und Lebensmuster, die es in jeder Ära gab und geben wird.

Die Darsteller muss man, trotz ihrer Anzahl, alle namentlich nennen, denn die Ensembleleistung bei der Premiere war angesichts dieser bunt gemischten Laientheatergruppe außerordentlich gut: Es spielten (teils in Mehrfachrollen) Martin Ackermann, Rolf Cassells, Carolin Banašek-Richter, Dagmar Kopsch, Luise Clever, Deborah Maier, David Naegele, Hannah Metz, Johanna Barth, Jochen Herrmann, Monika Hartz, Hendrik Seidl, Jürgen Koralewski, Carin Kratz, Astrid Lichti, Talia Matt, Lena Seidl, Gabrielle Poitevin, Annika Sohnrey, Dieter Wagner, Nina Wenz sowie Michaela Schweitzer als kriminelle Lederlady und Gerry Fuchs als Inbegriff des denkfaulen Spießers, der mit seiner geistigen Unbeweglichkeit und polierten Konformität allem Neuen gegenüber intellektuell wehrlos gegenübersteht.

Applaus bei der Premiere im Kellergebwölbe

Wie flott und frisch, leidenschaftlich und agil, wie souverän und textsicher diese Truppe das Spiel auf mehreren Ebenen bewältigt, war ein einziges Vergnügen. Entsprechend lang und laut toste der Premierenapplaus durch das knallvoll besetzte Kellergewölbe unter dem Alten Amtsgericht, wo die Produktion bis Ende des Monats noch ein paar Mal zu erleben ist.

Von den liebevoll stilisierten Fahrzeugfronten (VW Bulli und Opel Rekord) über die Batik-Klamotten und Nerd-Pullunder bis zu zeitgeschichtlichen Details wie Mett-Igel oder Paisleykleid stimmt auf dieser Bühne einfach alles. Der Sound der 60er und 70er umrahmt die Story perfekt. Die jeweiligen Handlungsräume werden durch die Lichtregie in Szene gesetzt, auf diese Weise kann das Publikum die Parallelität der Ereignisse mühelos mitverfolgen. Die wenigen Umbaupausen gelingen schnell und holperlos.

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Doch die Story erlebt einen Bruch, als in Belgien das Auto stehen bleibt. Also geht es im VW-Bus einiger Jugendlicher weiter, die in eine Kommune nach England wollen. Man beschnuppert sich, kann sich zunächst aber kaum riechen. Als dann auch noch ein schmuggelndes Biker-Trio dazwischen kreuzt, wird es richtig turbulent: brave Wohlstandsdamen schmiegen sich an derbe Ledermonturen, Hippiemädchen entdecken den Reiz des verabscheuungswürdig Fremden, und selbst die chronisch verbitterten Alten erkennen, dass Liebe gesellschaftliche Schranken und angefressene Vorurteile überwinden kann.

Danilo Fioriti lässt etabliertes Bürgertum und gegensätzliche Subkulturen unterhaltsam aufeinander los und entwirft eine Geschichte, die das Publikum zwei Stunden lang auf einen abenteuerlichen Trip mitnimmt. Die Figuren sind ob der Fülle des Bühnenpersonals grob, aber plastisch gezeichnet: Die Brut des Establishments zwischen Wildheit und Wehrdienst, biedere Backfische mit schwärmerischen Hochzeitsvisionen, und zwischendrin der abgeschlafft-antikapitalistische Kiffer, für den alles Tradierte grundsätzlich ein Verdachtsfall ist.

Mit raffinierten Theatermitteln und einem sanft versöhnlichen Augenzwinkern über dem gesamten Stück serviert der Regisseur feines Amateurtheater, das – wie die Produktion beweist – weder unfähig bemüht noch chancenlos steif oder auf hysterische Weise komisch sein muss.

Freier Autor

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