Zwingenberg. Er galt als das begabteste der vier Kinder, die das Erwachsenenalter erreicht haben. Doch Branwell Brontë blieb der Ruhm seiner Schwestern zeitlebens versagt. Den britischen Maler und Dichter kennt man nur wegen der Schriftstellerinnen Charlotte, Emily und Anne Brontë. Er war der Sohn, von dem die Welt ansonsten nichts wüsste. Er wurde Maler. Und blieb ein Zweifler. In einem Bild, das ihn mit seinen Schwestern zeigte, hat er sich später wieder entfernt. Als Leerstelle blieb eine geisterhafte Säule.
Der Partnerschaftsverein Tetbury-Zwingenberg hatte seinen jüngsten literarischen Afternoon-Tea dieser Persönlichkeit gewidmet. Bei britischem Tee und Gebäck kamen recht viele Zuhörer in den Gewölbekeller des „Bunten Löwen“, wo Claudia Stehle zwei Werke der englischen Autorin Daphne du Maurier vorstellte.
In der Biografie „The Infernal World of Branwell Brontë“ beschreibt sie ein Leben zwischen Wahnsinn und Alkoholsucht, in dem die Flamme der Genialität bald erloschen war. Es gelang ihm nicht, seine Bilder zu verkaufen oder seine Bücher zu verlegen. Branwell Brontë war der erbärmliche Kontrast zu seinen Schwestern, ein dubioser Schatten in der Familiengeschichte.
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Die Anglistin und Historikerin verdeutlichte in Zwingenberg, wie Daphne du Maurier ihr gesamtes biografisches Gespür auf die schemenhafte und dämonische Gestalt fokussierte. Der Lebensroman, der in der deutschen Übersetzung den Titel „Doch mich verschlang das wild’re Meer“ trägt, wurde im Jahr 1972 veröffentlicht und wird in der Fachwelt als solide, aber aus heutiger Perspektive nicht allzu fein recherchierte Darstellung kommentiert.
Dennoch öffnet das Buch interessante Einblicke in eine Existenz zwischen Suff, Laudanum und Opium, der sich selbst nicht finden kann und vom literarischen Glanz der familiären Dynastie („Wuthering Heights“ „Jane Eyre“) geblendet zu werden schien. Branwell stirbt im Alter von 31 Jahren.
Seine Biografie fasziniert. Nicht nur, weil sich in gewissen Kreisen bis heute Verschwörungstheorien halten, die sagen, dass der mysteriöse Bruder die großen Werke für seine Schwestern verfasst hat. Auch, wenn dies aus heutiger literaturwissenschaftlicher Perspektive als Nonsens erscheint, so kann es als wahrscheinlich angenommen werden, dass sein mäanderndes und unstetes Leben die schriftstellerische Kreativität der Damen beflügelt hat.
Autor des eigenen Verfalls
Auf sich selbst gerichtet, galt und gilt er als Autor des eigenen Verfalls, des biografischen Kontrollverlustes und der unerfüllten Hoffnungen. Denn die Erwartungen, die er als Kind geweckt hatte, konnte er als Heranwachsender nicht ansatzweise erfüllen: Künstlerisch rotierte er auf der Stelle und um sich selbst.
Im Roman „The House on the Strand“ von 1969 geht es um zwei Freunde und die Folgen einer heimlich produzierten Droge, mit der man in die Vergangenheit zurückreisen und Historie aus erster Hand erleben kann – allerdings ohne die Chance, eingreifen und lineare Prozesse verändern zu können. Claudia Stehle widmete sich dieser Novelle von Daphne du Maurier im zweiten Teil des Nachmittags, zu dem sie selbst zubereiteten englischen Tee und Gebäck servierte. Ein wenig Dante, ein bisschen Psycho und eine Spur Gothic Horror schwingen da durchaus mit, wenn der Protagonist im Cornwall des 14. Jahrhunderts mit den Menschen verschmilzt und daraus eine spannende Fusion beider Welten entsteht.
Indem sie diese beiden weniger populären Werke der Schriftstellerin näher beleuchtete, öffnete Stehle auch den Blick auf eine Frau, die gern auf ihre berühmten Bücher reduziert wird. Daphne du Maurier lebte von 1907 bis 1989 und wurde vor allem durch ihre Romane „Rebecca“ oder „Die Vögel“ bekannt, die beide von Alfred Hitchcock sehr erfolgreich verfilmt wurden. Aber auch die Verfilmung ihrer Erzählung „Don’t Look Now“„, die als „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ (1973) von Regisseur Nicolas Roeg mit Donald Sutherland und Julie Christie inszeniert wurde, trugen zu ihrer Berühmtheit bei. Sie lebte zuletzt zurückgezogen und beendete ihr literarisches Schaffen 1977. In „Rebecca“ werden Aspekte lesbischer Liebe angerissen, mit denen sich die Schriftstellerin zeitlebens auseinandersetzte. Daphne du Maurier hatte Beziehungen zu Frauen, wollte sich aber nicht als lesbisch bezeichnet wissen und kämpfte gegen diese „Venetian tendencies“ an. Sie sah sich eher als Junge im falschen Körper. Von ihr ist der bekannte Ausdruck „the boy in the box“ überliefert: eine Metapher für unterdrückte sexuelle Gefühle gegenüber Frauen.
Aus zeitgenössischer Perspektive erkennt man in „Ein Tropfen Zeit“ (deutscher Titel) einen sehr modernen Roman, der an die virtuellen Welten und digitalen Entgrenzungsformen des 21. Jahrhunderts erinnert. Claudia Stehle skizzierte sie zeitgeschichtliche und biografische Hintergründe zu Autoren und Werk. Ein feiner literarischer Tee von durchweg britischer Aromatik.
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