Theater Mobile

Stefan Reusch blickt in Zwingenberg auf ein krankes Jahr zurück

Von 
Thomas Tritsch
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Kabarettist Stefan Reusch gastierte mit seinem Programm „Reusch rettet 2021“ im Theater Mobile in Zwingenberg. © Thomas Neu

Zwingenberg. Zwei Jahre zum Preis von einem: Bei seiner traditionellen kabarettistischen Retrospektive muss Stefan Reusch in pandemischen Zeiten aktiv komprimieren. Schuld daran sind die Bühnenpausen durch Corona. Umso dicker fällt sein aktueller Rückblick aus: Im Theater Mobile beleuchtete der Moderator, Sprecher und Autor am Samstag die gesellschaftlichen Auswölbungen einer ziemlich kranken Zeit.

„Reusch rettet die Welt“, titelt sein alljährliches Programm, das von elegant verpackten politischen Spitzen über nette Wortakrobatik bis an die Grenzen des Kalauers reicht. Doch auch die schlichteren Passagen werden von der schnörkellos pointierten Sprache bis zum nächsten Treffer hinüber gerettet. Reuschs Solo ist eine satirische Schlachtplatte aus dem Feinkostladen: bissig, klug und vollgepackt mit Ironie und Sarkasmus. „Ein Schwein, das wenig kostet, kann keine Qualität haben. Das gilt auch in der Politik“, kommentiert Reusch die Schnittmenge von Kulinarik und Korrumpierbarkeit. Und wenn Tierrechtler mehr Platz für Schweine fordern, empfiehlt er einfach größere Teller.

Tänzelei zwischen Lyrik und Logik

Kunstvolle Wendungen und semantische Jonglagen prägen das zweistündige Programm, das sich in Zwingenberg vor mittelgroßem Publikum abgespielt hat. Live sind die Ausführungen des SWR3-Wochenrückblickers keinen Deut schwächer als im Hörfunk. Die Dramaturgie sitzt, die Texte fließen geschliffen aus dem Mund, der ebenso beißen wie reimen kann. Reusch tänzelt stilsicher zwischen Lyrik und Logik, zwischen augenzwinkernden Fußnoten und harten Kopfnüssen für die große Politik, die dem Genre in den letzten beiden Jahren mehr aus genügend Steilvorlagen geschenkt hat: Allein der Corona-Komplex, die neue Regierungsampel und der Kampf ums Kanzleramt bilden einen dicken Fundus für eine kabarettistische Aufarbeitung. Stefan Reusch macht da keine Ausnahme, wenngleich sein Spiel mit episch-dramatischen Kontrasten das Kabarett-Terrain immer wieder verlassen und eine spezielle Mischform bilden, die man als gesellschaftskritische Conférence bezeichnen könnte.

„Nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel würde Armin Laschet nicht zum Anführer gewählt, sondern als erster gegessen!“ Stefan Reusch erzeugt Bilder im Kopf, verdreht die Welt bis zur Kenntlichkeit und assoziiert sich virtuos durch die Chronologie der vergangenen Monate, in denen er auch mit den sogenannten „Querdenkern“ kollidiert: Die sind laut Reusch durchaus von rechten Subjekten durchsetzt, „aber das sind besorgte Nazis, die gegen jede Diktatur sind“. Natürlich seien er und seine Frau geimpft, die Gattin aber vor allem wegen des integrierten Mikrochips von Bill Gates in der Hoffnung, dass durch die manipulative Injektion ihr Windows-Programm künftig weniger häufig abstürzt.

Hätte die Maske Laschet gerettet?

Apropos: Hätte sich Laschet an die Regeln gehalten und bei seinem offensichtlich unterhaltsamen Besuch im katastrophal durchnässten Ahrtal Maske getragen, wäre er vermutlich Kanzler geworden. Und die neue Koalition trage sich bereits mit dem Gedanken, dass man als Impfgegner zwangsweise ein Nena-Konzert besuchen muss.

Darf eine weiße Übersetzerin schwarze Lyrik übersetzen? Die grotesken Fragen in einer debilen Welt sind Reusch das beste Futter für seine aromatischen Reaktionen. „Darf ein Holländer Goethe übersetzen? Muss die Biene Maja also von einem Insekt synchronisiert werden?“ Womöglich, so betont er, wird intelligenten Menschen demnächst das Denken verboten, um die Idioten nicht zu beleidigen. Das stammt angeblich von Dostojewski, und wenn nicht, dann ist es trotzdem ein Satz, dem man sich durchaus ein paar Minuten widmen könnte.

Behilflich bei Bildungsfragen

Das Zwingenberger Publikum nahm viel mit von diesem kurzweiligen Jahresrückblick: Selbstgemachte politische Kommentare („Die Grünen exportieren höchstens Bio-Waffen“), griffige Gedichte über amerikanische Präsidenten und Motivationsschübe für den nationalen Nachwuchs: Dass Bildungsministerin Anja Karliczek mit den Ergebnissen der Pisa-Studie nicht zufrieden war, sei durchaus nachvollziehbar: „Mittelmaß kann nicht unser Anspruch sein“, sagte sie 2019. „Aber es wäre ein guter erster Schritt“, fügt Stefan Reusch hinzu.

Der Besuch seines aktuellen Programms kann bei diesem Bildungsauftrag sehr behilflich sein.

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