Geschichte

NS-Forscher: „Der Wille zur Verurteilung der Täter fehlte“

Der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge hatte den NS-Forscher Werner Renz zu einem Vortrag über den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess eingeladen.

Von 
Michael Ränker
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Der Experte Werner Renz referierte im Alten Amtsgericht zum Auschwitz-Prozess in Frankfurt (1963 bis 1965). © Michael Ränker

Zwingenberg. „Es ist eine Geschichte des Scheiterns“, bilanziert Werner Renz am Ende seines Vortrags „Auschwitz vor Gericht“: Der langjährige wissenschaftliche Mitarbeiter des Fritz-Bauer-Instituts forschte zur Geschichte des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963 bis 1965) und er kommt zu dem Schluss: „Die Politik im Nachkriegsdeutschland hat versagt, ihr fehlte der Wille zur Verurteilung der Täter.“ Statt die Gesetzgebung im Zeichen „dieses deutschen Verbrechens an der Menschheit“ zu novellieren, „waren die Gesetzgeber blind“. Statt den Beteiligten an diesem Massenmord Kollektivschuld zu unterstellen, habe man sich mit dem Nachweis konkreter Tatbeteiligungen abgemüht.

Der ausgewiesene Experte Werner Renz referierte auf Einladung des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge im gut besuchten Saal des Alten Amtsgerichts über den Versuch der deutschen Justiz, die Täter des Holocaust, an dessen Ende die Ermordung von 6,3 Millionen europäischer Juden stand, zu überführen und zu verurteilen – es blieb jedoch beim Versuch, wie die von Werner Renz recherchierten Zahlen für das KZ Auschwitz belegen:

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Fast 10 000 SS-Angehörige taten von Mai 1940 bis Januar 1945 im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und seinen 40 Nebenlagern Dienst, wo 965 000 Juden, 75 000 Polen, 21 000 Sinti und Roma, 15 000 sowjetische Kriegsgefangene sowie 15 000 sonstige Häftlinge ermordet wurden. Allerdings wurden nur etwa 800 Auschwitz-Täter abgeurteilt, nahezu 700 von polnischen Gerichten.

Nur 43 Angeklagte vor Gericht

Vor bundesdeutschen Richtern standen lediglich 43 Angeklagte. Neun wurden zu lebenslangem Zuchthaus, 20 zu zeitigen Zuchthausstrafen verurteilt, zehn wurden freigesprochen. Vier Verfahren stellten die Gerichte wegen Todes oder Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten ein.

Mit ebenso erschütternden wie berührenden Bild- und Ton-Dokumenten schilderte Werner Renz, was die von Anfang 1942 bis November 1944 mit circa 600 „Judentransporten“ der Deutschen Reichsbahn nach Auschwitz gebrachten Menschen erwartete: Auf den Bahnhofsrampen erfolgte die „Selektion“ durch medizinisches Personal.

Direkt in die Gaskammern und damit in den Tod gingen Frauen mit Kindern, Alte und Kranke. 865 000 Juden wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet, in Krematorien und Gruben verbrannt. In die Lager verbracht, nummeriert und tätowiert und zu meist mörderischer Arbeit gezwungen wurden 200 000 Juden. Über die Hälfte der registrierten jüdischen Häftlinge überlebte „den eingespielten Vernichtungsapparat“ Auschwitz nicht.

"Untaugliche Rechtsprechung"

Am Beispiel von vier SS-Angehörigen – drei Ärzten und einem Apotheker – , die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst 15 Jahre lang unbehelligt in der Bundesrepublik Deutschland leben konnten, führte Renz vor Augen, „wie untauglich die deutsche Rechtsprechung angesichts dieses arbeitsteilig verübten Massenverbrechens war.“

Werner Renz: "Eine miserable Bilanz"

Während der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der den Auschwitz-Prozess nach Frankfurt geholt hatte, die Rechtsauffassung vertrat, dass jeder, der sich in welcher Weise auch immer an der „Tötungsmaschinerie“ beteiligt hat, auf jeden Fall zu bestrafen ist, wurden allerdings nur die zur Rechenschaft gezogen, denen konkrete Taten nachgewiesen werden konnten.

Auch das von Renz skizzierte Täter-Quartett kam mit Freisprüchen und geringen Zuchthausstrafen davon. „So kommt es zu einer miserablen Bilanz der deutschen Gerichtsbarkeit.“

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