Zwingenberg. Seit vielen Jahren organisiert die SPD Zwingenberg am 9. November eine Veranstaltung zur Erinnerung an die Pogromnacht vom 9./10. November 1938. In diesem Jahr stand die Verbindung von Erinnerungskultur und digitaler Gegenwart im Mittelpunkt. Der promovierte Philosoph Kai Denker, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Technischen Universität Darmstadt, sprach in der Remise des Alten Amtsgerichts über „Lustiger Faschismus? – Extrem rechte Strategien im Netz“.
SPD-Vorsitzender Peter Kaffenberger eröffnete die gut besuchte Veranstaltung und erinnerte in seinem Grußwort an die Ereignisse der Pogromnacht, insbesondere an das Geschehen in Zwingenberg. Bürgermeister Sebastian Clever dankte der SPD für die langjährige Pflege der Erinnerungskultur und äußerte sich besorgt über zunehmenden Antisemitismus und wachsende Aggressivität gegenüber Minderheiten.
Analyse rechter Online-Strategien
Zu Beginn seines Vortrags erläuterte Dr. Denker, was unter sogenannten „Memes“ zu verstehen ist: Medieninhalte, die Bilder oder Fotos aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang reißen, neu kombinieren und so mit anderen Bedeutungen versehen. Viele Memes seien humorvoll, satirisch oder kritisch gemeint – doch rechte Gruppen nutzten diese Formen gezielt, um menschenfeindliche Ideologien unterhaltsam zu verpacken und zu normalisieren.
Anhand zahlreicher Bilder zeigte Kai Denker, wie beispielsweise ein historisches Foto von Joseph Goebbels detailgenau in eine Zeichnung verwandelt oder das Prinzip der Regenbogenflagge genutzt wird, indem die drei Farben der deutschen Flagge jeweils in mehrere Schattierungen zerlegt und mit einer Zielaussage der rechten Szene versehen werden. Im hessischen Landtagswahlkampf fand sich dieses Bild dann auf Wahlplakaten der AfD wieder. Zusammenstellungen scheinbar harmloser kleiner Bilder einer weißen Kleinfamilie vermitteln rechte Ideale traditioneller Geschlechterrollen. Die direkte Kombination von Symbolen der LGBTQ+-Gemeinschaft mit solchen der rechten Szene enthalte sogar versteckte Drohungen gegen Menschen, die nicht ins rechte Weltbild passen.
Ironie als Einfallstor für Ideologien
Diese scheinbar humorvolle Inszenierung diene einer gefährlichen Strategie, erklärte Denker: Rechte Ideologien würden so in der digitalen Kommunikation verschlüsselt transportiert.
Häufig seien Runen, stilisierte Sonnen oder andere historische Bezüge nur für Eingeweihte zu erkennen. Unter der Oberfläche entstünden Netzwerke und Kommunikationsräume, die Hass und Abgrenzung förderten, ohne sofort als extremistisch aufzufallen.
Ein besonders prägnantes Beispiel sei die Figur „Pepe der Frosch“, ursprünglich aus einem US-amerikanischen Comic. Diese sei von rechtsextremen Gruppen weltweit umgedeutet worden – etwa als Karikatur von Diktatoren oder als „Clown-Pepe“ in Regenbogenfarben, um queere Menschen zu verspotten. Laut Denker sei Pepe mittlerweile ein deutlicher Indikator für rechtsextreme Internetkommunikation.
Im Zentrum von Denkers Analyse steht das Konzept der sogenannten Metapolitik. Die extreme Rechte versuche, nicht nur durch Parteien, sondern über Kultur, Sprache und Alltagskommunikation langfristig Einfluss auf gesellschaftliche Werte zu gewinnen. „Sie wollen den ‚vorpolitischen Raum‘ besetzen – also jene Sphäre, in der Meinungen entstehen, bevor sie politisch wirksam werden“, erklärte Denker.
Diese Strategie sei deshalb so gefährlich, weil sie langsam und schleichend wirke. In sozialen Netzwerken würden Themen wie Migration, Gendern oder Klimaschutz immer häufiger mit Spott, Feindbildern und Misstrauen verknüpft. Angst und Empörung erzeugten Aufmerksamkeit und Reichweite – viele Menschen teilten solche Memes, ohne deren ideologischen Hintergrund zu erkennen. „So entsteht eine Radikalisierungspipeline“, so Denker, „in der sich Menschen unbemerkt in extreme Denkweisen hineinbewegen.“
In seiner Forschung weist Denker nach, dass die Meme-Kultur längst Teil eines umfassenden rechtsextremen Kommunikationssystems ist. Die Botschaften seien immer dieselben: die Vorstellung einer „natürlichen“ Ordnung, klarer Geschlechterrollen und ethnischer Homogenität. Diese Narrative knüpften an alte faschistische Ideologeme an, seien aber in bunte, ironische Internetästhetik verpackt.
Ein Beispiel, das Denker dokumentierte, zeigt eine Collage mit dem Slogan „Real diversity is ethnopluralism“ („Echte Vielfalt ist Ethnopluralismus“). Hinter der scheinbar positiven Aussage verberge sich die Forderung nach strikter Trennung von Völkern und Kulturen – eine modernisierte Form rassistischer Ideologie.
Auch aktuelle Internettrends würden gezielt umgedeutet. So verbreiteten rechte Netzwerke seit 2023 den sogenannten „Stolzmonat“ als nationalistische Gegenkampagne zum „Pride Month“. Unter Flaggen in Schwarz-Rot-Gold werde dort gegen queere Menschen gehetzt – online und im öffentlichen Raum.
Aufruf zu Wachsamkeit und Zivilcourage
Viele Zuhörerinnen und Zuhörer zeigten sich nach dem Vortrag erschüttert über dieses in der breiten Öffentlichkeit noch wenig bekannte Phänomen. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass insbesondere Jugendliche über soziale Medien verstärkt mit solchen Inhalten konfrontiert sind. Die jüngsten Wahlergebnisse und die neue Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegten, dass rechte Denkweisen zunehmend in der gesellschaftlichen Mitte Fuß fassen.
„Wir müssen genau hinschauen und Gegenstrategien entwickeln“, betonte Denker abschließend. Es gehe nicht nur um digitale Kommunikation, sondern um den Schutz demokratischer Werte insgesamt.
Nach dem Vortrag begaben sich die Teilnehmenden in den Hof des Rathauses, wo Peter Kaffenberger gemeinsam mit Bürgermeister Sebastian Clever ein Blumengesteck neben der Erinnerungstafel für die Zwingenberger Opfer des Nationalsozialismus niederlegte. Mit einer Schweigeminute endete die Gedenkveranstaltung, die seit 1985 jährlich am Tag der Pogromnacht stattfindet – als fester Bestandteil der Zwingenberger Erinnerungskultur. red
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/zwingenberg_artikel,-zwingenberg-lustiger-faschismus-extrem-rechte-strategien-im-netz-_arid,2340561.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/zwingenberg.html