Zwingenberg. Kaum ein Jahr nach der Einführung des Sprachmodells ChatGPT war generative KI in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Lernfähige Maschinenhirne, die auf der Grundlage eingespeister Daten kreativ neue Inhalte erzeugen können, sind beliebte Tools in der Freizeit und gelten als entscheidende Innovationsquelle in der Wirtschaft. Digitale Prozesse auf KI-Basis werden viele Aufgaben und Abläufe radikal neu definieren. Im Job ebenso wie im Alltag.
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Dass Künstliche Intelligenz (KI) ein Megatrend ist, bezweifelt niemand mehr. Und das Interesse ist gewaltig. Bei einer Veranstaltung der CDU Zwingenberg zum Thema war das Alte Amtsgericht am Dienstagabend bis auf den letzten Platz gefüllt. Vorsitzender Sebastian Clever begrüßte die Gäste, die einen vielperspektivischen Einblick in die Welt von morgen und übermorgen werfen konnten. Der Bürgermeisterkandidat betonte vorab, dass KI auch in seiner beruflichen Branche für massive Veränderungen sorgt: durch den Einsatz lernender Sprachmodelle seien professionelle Patentübersetzer gleichsam eine aussterbende Spezies.
Verstehen nimmt Angst vor Künstlicher Intelligenz
„Bitte haben Sie keine Angst vor KI“„, betonte seine Frau Debora Clever – man müsse sie nur verstehen. An der TU Darmstadt leitet die Techno-Mathematikerin als Kooperationsprofessorin die Forschungsgruppe Robotik-Systeme am Institut für Mechatronische Systeme im Fachbereich Maschinenbau. Spielerisch führte sie ihr Publikum an das komplexe Thema heran. Der Algorithmus Bubblesort wird in der Lehre gern zum Erläutern von Sortierverfahren eingesetzt. Der Algorithmus vergleicht immer zwei nebeneinanderliegende Elemente und vertauscht die beiden, falls das rechte kleiner ist als das linke. In Zwingenberg hat die Wissenschaftlerin das Gleiche mit fünf Gästen in einer Stuhlreihe durchexerziert.
KI ist nicht neu, sondern ein Kind der 50er Jahre. Der Begriff „artificial intelligence“ wurde im Juli 1956 auf einer Konferenz von Computerwissenschaftlern am Dartmouth College in New Hampshire geprägt. Man wollte Rechnern menschliches Denken beibringen.
Revolution durch Mikrochips
Man dachte über künstliche neuronale Netze nach, um die Nachbildung miteinander kommunizierender Nervenzellen zu ermöglichen. Doch die nötige Hardware war noch nicht erfunden. Erst in den 1980er Jahren revolutionierten die Mikrochips die Computertechnik. Enorme Fortschritte bei den Großrechnern und die Einführung der Personal-Computer brachten die KI-Forschung auf einen Höhepunkt. Mit ChatGPT hat die Firma Open AI Ende 2022 einen Meilenstein im Bereich der KI vorgestellt.
Während Generative KI eingesetzt wird, um etwa Werbetexte oder Grafiken für kleinere Programme zu erstellen, kommt Analytische KI zum Einsatz, um Zusammenhänge zu erkennen, Strategien zu entwickeln und Prozesse zu optimieren: Modelle generieren Inhalte aus Daten, mit denen sie vorher trainiert worden sind. Als sogenannte Large Language Models sind sie in der Lage, auf menschlichen Befehl hin Texte, Bilder, Audio und andere Arten von Content zu erschaffen. Bei Analytischer KI geht es darum, Muster zu erkennen und daraus Erkenntnisse abzuleiten, so Debora Clever, die die Regie im zweiten Teil an Peter Buxmann abgab.
Chatbots liefern überzeugend begründeten Blödsinn
Der Wahl-Zwingenberger lehrt und erforscht die Potenziale der KI und deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeit ebenfalls an der Technischen Universität Darmstadt. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Anwendungen von KI, der digitalen Transformation sowie datenbasierten Geschäftsmodellen. KI sei gekommen, um zu bleiben, so Buxmann, der gern betont: „Die Welt wird nie wieder so langsam sein wie heute!“ Ein Beispiel: Im letzten Jahr hatte der Berliner Fotograf Boris Eldagsen für ein mithilfe von KI generiertes Bild den renommierten Sony World Photography Awards gewonnen – und das ausgerechnet in der Kategorie „kreativ“.
Damit hat er eine Debatte über das kreative Potenzial Künstlicher Intelligenz entfacht. Doch auch KI der neuen Generation sei in vielen Fällen noch immer enorm intransparent. Mit Halluzinationen beschreiben Insider die immer wieder vorkommenden Unwahrheiten von Chatbots, die noch immer nicht ausreichend hergeleitet werden können. „Es ist überzeugend begründeter Blödsinn“, so Buxmann. Und genau darin liegt seiner Meinung nach auch ein gewisses Gefahrenpotenzial: denn die ausgedachten Fakten werden vom künstlichen Hirn mit Vertrauen und Autorität dargestellt. Für die Nutzer ist es eine Herausforderung, zu erkennen, welche Informationen wahr sind und welche nicht.
Laut einer KI wird der Frankfurter Flughafen dichtgemacht
2023 formulierte eine Künstliche Intelligenz, dass der Frankfurter Flughafen ab 2024 geschlossen werden soll, da eine Gruppe internationaler Experten zu dem Schluss gekommen ist, dass die Energieressourcen in der Region zu diesem Zeitpunkt erschöpft sein werden. Um die Energieversorgung nachhaltig zu sichern und die Umweltauswirkungen zu minimieren, habe die Regierung beschlossen, den Fraport dichtzumachen. Auch ein Beispiel von Debora Clever verdeutlicht das Problem: in einem Dialog über die touristischen Vorzüge von Zwingenberg beschreibt KI die idyllische Lage am Neckar mit dem Blick auf die Burg. Bergsträßer wissen, dass hier eine Ortsverwechslung vorliegt. Wer diese Informationen nicht hat, der wird den Text als faktisch richtig deuten, so die Wissenschaftlerin.
Schlüsseltechnologie der Gegenwart und Chance
Peter Buxmann bezeichnet Generative KI als Schlüsseltechnologie der Gegenwart und als riesige Chance für die Zukunft. Die Lizenzierung von KI-Systemen und -Algorithmen sowie ihre Integration in interne Arbeitsprozesse seien relativ einfach und würden die Arbeitswelt revolutionieren. Eine KI-Organisation könne die Produktivität steigern, Prozesse straffen und optimieren. Die Kosten seien gut kalkulierbar, die Software-Lizenz problemlos wieder zu kündigen. Studien hätten gezeigt, dass durch die Unterstützung künstlicher neuronaler Netze auch die Motivation und die Zufriedenheit von Mitarbeitern erhöht werden könne. Ebenso faszinierend wie gespenstisch sei die Entscheidungsfindung von KI-Algorithmen, die in vielen Fällen enorm intransparent sei, so dass man konkrete Entscheidungen nicht nachvollziehen kann – das bedeutet einen Kontrollverlust, der durchaus Angst machen kann. Auch Open AI habe bereits zugestanden, dass bei ChatGPT bestimmte Prozesse nicht erklärbar sind.
Branche mit monumentalen Wachstumsquoten
Die Behauptung, dass der Siegeszug der maschinellen Lernhirne ein Hype sei, der seinen Höhepunkt erreicht habe, teilt er nicht. Anbieter wie Open AI, Anthropic oder Midjourney verzeichnen monumentale Wachstumsquoten, große Weltkonzerne investieren weiter fleißig Milliarden in die neuen Technologien. Das würden sie kaum tun, wenn sie von ihrer monumentalen Relevanz nicht überzeugt seien, so Buxmann. Der enorme Anstieg der Leistungsfähigkeit von KI-Systemen sowie deren breiter Einsatz in verschiedenen Anwendungsfeldern biete für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft große Chancen. Es gehe darum, dass man hierzulande nicht so lange nachdenkt und diskutiert, bis der immer schneller werdende KI-Zug am Wirtschaftsstandort Deutschland durchgerauscht ist.
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