Kultur

Ingrid Noll stellte in Zwingenberg ihren neuen Krimi vor

Von 
Thomas Tritsch
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Ingrid Noll stellte am Sonntag bei einer Lesung im Theater Mobile in Zwingenberg ihren neun Kriminalroman „Kein Feuer kann brennen so heiß“ vor. Anschließend plauderte sie aus ihrem Leben. © Thomas Zelinger

Zwingenberg. Leichen pflastern ihren Weg: Ingrid Noll. Die 86-jährige Schriftstellerin ist nach wie vor äußerst kreativ, wenn es darum geht, ihre Figuren um die Ecke zu bringen. Dass es sich dabei meistens um Männer handelt, sei wohl eher Zufall, sagte sie jetzt bei ihrem Besuch in Zwingenberg. „Ich wollte ursprünglich sogar eine Quote einführen, aber das hat nicht geklappt.“

Mit ihren überwiegend weiblichen Täterinnen geht die „Lady of Crime“ aus Weinheim indes recht milde um. „Ich schaffe es einfach nicht, sie ins Gefängnis zu bringen“, so Noll im Theater Mobile, wo sie am Sonntag ihren neuen Roman „Kein Feuer kann brennen so heiß“ vorgestellt hat. Mit dem Begriff Krimi kann die Autorin übrigens nicht allzu viel anfangen: ihre Bücher seien eher „Menschengeschichten mit Mord“ beziehungsweise Psychogramme von Menschen in Beziehungen, die irgendwann eskalieren und in einem Ableben münden. Komplizierte Frauen, die an die falschen Männer geraten und sich ihrer Probleme mehr oder weniger absichtlich durch eine tödliche List entledigen, bestimmen seit jeher die Stories von Ingrid Noll. Eiskalt und berechnend sind ihre Frauen nie. Die Morde „passieren“ eher zufällig oder als zwangsläufige Konsequenz der äußeren, vor allem aber der inneren Umstände.

Der 16. Roman ist eher Porträt als Kriminalgeschichte. Ein Blick in eine tiefe und bisweilen dunkle Seele, wie ihn die Autorin in ihren Büchern seit über 30 Jahren so erfolgreich praktiziert. Denn erst mit 55 Jahren hat sie angefangen, Bücher zu schreiben. Etwas Kriminelles sollte es sein. „Nichts Leichtes für Kinder, eher was Gemeines für Erwachsene!“ Längst gilt sie als die deutsche Grande Dame des Genres, zu dem sie – siehe oben – ein durchaus gespaltenes Verhältnis pflegt.

Als Schauplatz ihrer jüngsten Handlung hat sie eine Villa mit Garten ausgesucht, wo das Kammerspiel seinen Anfang nimmt. Im Mittelpunkt steht die unscheinbare Altenpflegerin und Ich-Erzählerin Lorina Miesebach, die so aussieht, wie sie heißt, und sich um die halbseitig gelähmte Viktoria Alsfelder kümmert, bis die Rückenschmerzen von Madame einer besonderen Behandlung bedürfen. Und so kommt Boris, der singende Masseur, auf die Bühne. Und das titelgebende Feuer wird entfacht. Eigentlich lautet das alte Liebeslied, auf das sich der Buchtitel bezieht: „Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß“. Doch ihre Enkel denken beim Wort Kohle nur an Geld, so Ingrid Noll.

Wie auch in vielen ihrer anderen Bücher ist die Hauptfigur eine eher unscheinbare Frau mit geringem Selbstwertgefühl, die seit ihrer Kindheit als plumpes Trampeltier und Mauerblümchen gilt und noch mit 30 keinen Mann abgeschleppt hat. Ein regelrechter „Dabbes“, wie Ingrid Noll ihre Figur im besten Hessisch charakterisiert. „Mit einem Gesicht wie eine misslungene Kinderzeichnung.“ Aber auch eine sensible, nach Anerkennung, Liebe und Sexualität dürstende Frau, die das heimliche Techtelmechtel mit dem Therapeuten genießt, bis die geheime Affäre implodiert und ein altes Trauma aufplatzt. Doch bevor es eine Rache geben kann, kommt Boris bei einem Autounfall ums Leben. Aber in dem Balladen deklamierenden Ruben ist schon ein veritabler Nachfolger gefunden. Am Ende liegen zwei tote Männer im Plot herum. Und wieder kam ihr Ende eher zufällig. Unter Beteiligung einer vermindert schuldfähigen Protagonistin.

Federleicht und lässig formuliert

Mit Fußnoten zum deutschen Pflegenotstand hat Ingrid Noll eine psychologische Tiefengrabung mit ironischem Unterton unternommen, der es zwischenzeitlich an einem straffen Spannungsbogen mangelt, aber von konturenstark gezeichneten, sehr charakteristischen Figuren ins Finale getragen wird. Präzise skizziert die Autorin die Feinheiten ihrer Akteure, ihre Hoffnungen, Träume und Transformationen. Der Erzählstil ist gewohnt federleicht und lässig, sprachlich bunt und immer wieder von dialektalen Nuancen genährt.

„Ich dachte, Krimis schreiben sei leicht. Ich habe mich sehr geirrt“, berichtet Ingrid Noll in Zwingenberg von ihren literarischen Anfängen. Sie war Mitte fünfzig und die Kinder waren aus dem Haus. „Der Hahn ist tot“ hieß 1991 der Erstling, der sofort ein Bestseller wurde. Geboren wurde sie 1935 als Tochter eines deutschen Arztes in Shanghai, die ersten 14 Jahre ihres Lebens verbrachte sie in China. 1949 kehrte ihre Familie nach Deutschland zurück. Noll besuchte ein katholisches Mädchengymnasium, studierte Germanistik und Kunstgeschichte, dann kümmerte sie sich 30 Jahre lang um die Erziehung ihrer drei Kinder und um die Arztpraxis ihres Mannes. Ihre Bücher sind in 27 Sprachen übersetzt.

In der Schule „grottenschlecht“

In der Schule sei sie als verwöhntes Töchterchen im armen Nachkriegsdeutschland „grottenschlecht“ gewesen – nur nicht beim Aufsatzschreiben, erzählte Noll nach der Lesung im Gespräch mit Debbie Maier vom Theater Mobile. Bei Wohnzimmeratmosphäre und zur Musik vom „schrägen Rudi“ (Rudolf Olbrich) am Piano wurde es auf der Bühne dann richtig persönlich. Die Schriftstellerin spricht über den Schreibprozess, über Inspirationen und den Weg ins Ziel. Sie lasse sich von ihrer Umwelt – auch von Menschen – zwar anregen, wiedererkennbare Charaktere kämen in ihren Büchern aber niemals vor.

Tochter und Sohn redigieren

Noll beginnt ohne einen gedanklich ausformulierten Plot. „Ich überlege mir zuerst, über wen ich schreiben möchte“, sagt sie im Theater Mobile, das am frühen Sonntagabend nicht ausverkauft, aber unter Befolgung der 2 G Plus-Regel – genesen oder geimpft plus tagesaktuellen Negativtest –- gut besucht war. Nach dem Schreibprozess werden die Text von der Tochter, einer Lektorin, und einem Sohn („ein strenger Logiker“) redigiert und kommentiert – erst danach gehen sie zum Verlag.

Ein Toter im Theaterkeller?

Die Weinheimerin, die gerade mit einem literarischen Pfad durch ihren Wohnort geehrt wurde, schreibt bereits an ihrem 17. Roman. Er spielt in Weinheim. „Da dümpelt schon eine Leiche in der Weschnitz“, sagt sie in Zwingenberg, wo sie der Anregung von Theaterchef Leo Ohrem, das Mobile doch einmal als Schauplatz in eine der nächsten Stories aufzunehmen, mit Interesse zugehört hat. Vielleicht liegt im Alten Amtsgericht ja doch einmal mal ein Toter. Und wenn ja, dann wird das sicherlich eine männliche Leiche sein.

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