Online-Wahlhilfe - Gemeinschaftsprojekt von Hochschulen soll Orientierung bieten / Das Angebot gibt’s für 31 Städte und Gemeinden in Hessen, so auch in Bensheim

In Zwingenberg schlägt der Wahlkompass aus

Von 
Thomas Tritsch
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Die Startseite des Kommunalwahlpasses, der auch Zwingenbergern und Bensheimern eine Online-Wahlhilfe sein kann. © www.kommunalwahlkompass.de

Zwingenberg. „Die Eisenbahnquerung sollte durch eine weiter nördlich geführte Brücke entlastet werden. Der Abendmarkt im Rathaushof sollte ausgebaut und gefördert werden. Schotter- und Steingärten sollten verboten werden. Und es sollte ein weiteres Gewerbegebiet in Autobahnnähe ausgewiesen werden – auch, wenn dafür Kleingärten weichen müssen.“

Es geht um gebührenfreie Kitas und autofreie Zonen, um Aktionen gegen Rechtsextremismus und höhere Geldbußen für uneinsichtige Hundehalter. Außerdem um kostenlosen ÖPNV, mehr kommunalen Wohnraum und eine paritätische Verteilung von Führungspositionen in der Stadtverwaltung. Thesen über Thesen, insgesamt 37 an der Zahl. Wer sich in den Kommunalwahlkompass Hessen einklinkt und dabei auf „Zwingenberg“ klickt, der kann seine eigenen Positionen mit denen der Parteien vergleichen. Behandelt werden kommunale Spezialitäten und konkrete lokale Probleme.

Keine Wahlempfehlung

Am Ende wartet eine Rangliste, die nach den jeweils größten Übereinstimmungen von Wähler und Partei angeordnet ist. Je höher die Prozentzahl, desto ähnlicher sind sich die Positionen. Das Werkzeug soll aber keine Wahlempfehlung sein, sondern lediglich ein Informations- und Orientierungsangebot im Vorfeld der Kommunalwahlen am 14. März, heißt es aus den Reihen der Macher.

Der Kompass ist ein Gemeinschaftsprojekt der Goethe-Universität Frankfurt, der TU Darmstadt und der Uni Oldenburg. Die Idee entstand aus der Beobachtung heraus, dass politische Online-Hilfen auf kommunaler Ebene bislang kaum genutzt würden. Neben der reinen Information verspricht man sich davon auch wissenschaftliche Erkenntnisse beispielsweise über die Reichweite und die Nutzungs-Quantität solcher Instrumente.

Die Auswahl der Kommunen erfolgte im vergangenen Herbst und hat unterschiedliche Logiken kombiniert, wie der Politikwissenschaftler Christian Stecker von der TU Darmstadt erläutert. Er gehört zum engeren Leitungsteam des Projekts. Neben den kreisfreien Städten sollten auch kleinere und größere Orte aus möglichst allen Regierungsbezirken berücksichtigt werden. In die engere Auswahl kamen zudem Kommunen, in denen die Studenten leben, die maßgeblich am Kompass mitgearbeitet haben – also über eine gewisse lokale Expertise verfügen. „Da letztlich jeder Kompass ein kleiner Wahl-O-Mat ist und sehr viel Recherche und Kommunikation erfordert, konnten wir nicht alle Städte und Gemeinden berücksichtigen“, teilt Stecker auf Nachfrage mit. Unter den 31 Kommunen finden sich neben Zwingenberg auch Bensheim, Viernheim und Lampertheim sowie aus der näheren Region noch Bickenbach, Alsbach-Hähnlein und Seeheim-Jugenheim.

Der Anspruch: Klare Fragen zu konkreten Sachthemen und die Antworten des Nutzers sollen bei der Wahlentscheidung helfen. Verkehrt ist das nicht, denn die Kommunalwahlen in Hessen sind anspruchsvoll. Das politische Spektrum in den Städten und Gemeinden ist groß. Neben den etablierten Parteien buhlen Wählergemeinschaften und Kleinstparteien mit unterschiedlichen Themenrepertoires um die Gunst der Wähler. In Hessen darf zudem kumuliert und panaschiert werden: Stimmen können also auf einzelne Kandidaten verteilt und gebündelt werden. Viele Kreuzchen und viel Demokratie, aber auch viele Namen und ein komplexer Entscheidungsprozess. Ein Online-Ranking entlang der eigenen Positionen kann da nicht schaden. Es gibt fünf Antwortmöglichkeiten: von starker Zustimmung bis starker Ablehnung. Über einen weiteren Button kann man angeben, ob ein Thema als besonders wichtig erachtet wird. Ist dies der Fall, wird die Antwort stärker gewichtet. Die technische Umsetzung erfolgte auf einem Open-Source-Softwareprojekt. Aufbau und Methodik folgen laut Macher den Prinzipen der Transparenz und Überparteilichkeit. Eine möglichst breite Auswahl an Themen zur Thesenbildung sollte potenzielle Verzerrungen vermeiden: Denn durch die Wahl der Thesen könnte es dazu kommen, dass eine bestimmte Partei sachpolitisch besser wegkommt als eine andere. Auch die parteipolitisch neutrale Formulierung der Thesen war eines der wichtigsten Kriterien bei der inhaltlichen Zusammenstellung.

Die Erhebung der notwendigen Daten erfolgte nicht etwa über Rathäuser oder Wahlbüros, sondern über wissenschaftliche Recherchen kommunalpolitisch wichtiger Themen in einem mehrstufigen Auswahlprozess. Neben dem Studium der Lokalpresse wurden auch Journalisten und Bürger befragt sowie die Tagesordnungen von lokalen Gremien ausgewertet. Schließlich wurde auch das Feedback der Parteien bezüglich der Relevanz der jeweiligen Themen und der Ausgewogenheit der einzelnen Politikfelder berücksichtigt. Laut TU Darmstadt habe man hier ausschließlich positive Rückmeldungen gehört.

Ziel: Interesse an Politik steigern

Um ein möglichst differenziertes Ergebnis zu erzielen, wird dem Nutzer am Ende nicht eine Partei, sondern ein Ranking übermittelt. Hinzu kommen Kandidatensteckbriefe und Begründungen der Parteien zu ihren jeweiligen Positionen. Letztlich geht es darum, dass Interesse an Kommunalpolitik zu steigern. Der Kompass ist ein Service-Instrument, das dabei helfen soll, eine bewusstere Entscheidung zu treffen.

Gleichermaßen will man dem verbreiteten Eindruck begegnen, dass sich die Parteien in ihren Positionen gar nicht voneinander unterscheiden. In Corona-Zeiten, wo kein klassischer Straßenwahlkampf stattfindet, kann das digitale Wahl-Helferlein im Netz ein Stück Orientierung bieten – allerdings nur auf der Grundlage der ausgewählten Thesen. Es ist Teil des begrenzten Systems, dass Themen und Fragen, die dem Einzelnen womöglich wichtiger sind, nicht abgefragt werden. Auch die persönlichen Kompetenzen und Sympathiewerte der Kandidaten kommen im Kompass nicht vor. Dafür muss man den Politikern schon persönlich und ganz analog auf den Zahn fühlen. Natürlich aus gebotener physischer Distanz.

Info: www.kommunalwahlkompass.de

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