Zeitgeschichte

Frauenrechtlerin, Sozialarbeiterin und Schriftstellerin

Der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge hatte zu einem Vortrag über Bertha Pappenheim eingeladen

Von 
Frederik Koch
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Das Bild zeigt die Frankfurter Geschichte- und Politiklehrerin Michal Schwartze, die auf Einladung des AK Zwingenberger Synagoge gemeinsam mit Irina Ginsburg das Wirken der Frauenrechtlerin, Sozialarbeiterin und Schriftstellerin Bertha Pappenheim beleuchtete. © Thomas Zelinger

Zwingenberg. Bertha Pappenheim (1859-1936) war eine Frau mit vielen Gesichtern. Sie war Sozialarbeiterin, Frauenrechtlerin, Schriftstellerin und gläubige Jüdin und gilt bis heute als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der jüdischen Frauenbewegung im frühen 20. Jahrhundert. Ihr Leben, ihr Denken und ihr gesellschaftliches Engagement standen im Mittelpunkt eines Vortrags des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge, der im Alten Saal des Amtsgerichts stattfand. Rund 25 Personen nahmen an der Veranstaltung teil.

Michal Schwartze und Irina Ginsburg aus Frankfurt widmeten sich in ihrem Vortrag dem Thema „Eigensinn, Solidarität und jüdische Ethik“ und zeichneten ein vielschichtiges Bild dieser Frau. Beide Referentinnen beschäftigen sich seit vielen Jahren mit jüdischem Feminismus, Antisemitismusforschung und Bildungsarbeit. Michal Schwartze unterrichtet Geschichte und Politik an einer Frankfurter Schule. Irina Ginsburg arbeitet bei einer Fachberatungsstelle, die Betroffene antisemitischer Vorfälle berät. Ihr gemeinsamer Zugang zu Bertha Pappenheim sei kein akademischer, sondern ein politischer und gesellschaftlicher. Sie wollen zeigen, was Pappenheims Wirken für heutige feministische und jüdische Perspektiven bedeuten könne.

Unerschütterlicher Glauben an Gerechtigkeit und Verantwortung

Der Vortrag selbst war dialogisch angelegt, Schwartze und Ginsburg wechselten sich beim Sprechen ab und bezogen das Publikum aktiv ein. Nach der Einführung in das Thema erhielten die Zuhörer ein Arbeitsblatt mit Auszügen aus Nachrufen auf Bertha Pappenheim. Darunter waren Texte von Henriette Fürth, Stephanie Forchheimer, Martin Buber und Pappenheim selbst. Diese Zitate wurden gemeinsam gelesen und besprochen. Anschließend wurde über die unterschiedlichen Darstellungen diskutiert. Pappenheim erschien einerseits als „zarte, fast zerbrechliche Person“, andererseits als „entschlossene Frau mit klarer Haltung und unerschütterlichem Glauben an Gerechtigkeit und Verantwortung“.

Lebenslanges soziales Engagement

Im Verlauf des Abends berichteten die Referentinnen ausführlich über Pappenheims Leben. Sie wurde 1859 in Wien geboren und wuchs in einer bürgerlich-jüdisch-orthodoxen Familie auf. Sie besuchte eine katholische Mädchenschule und erhielt Privatunterricht in Jiddisch und Hebräisch. Schon früh setzte sie sich mit der Rolle der Frau im Judentum auseinander und kritisierte, dass Mädchen vom religiösen Lernen ausgeschlossen waren. Nach einer seelischen Erkrankung, die später als „Fall Anna O.“ bekannt wurde, zog sie 1888 mit ihrer Mutter nach Frankfurt am Main. Dort begann ihr lebenslanges Engagement für soziale Arbeit. Pappenheim arbeitete in der Israelitischen Suppenanstalt und leitete später das Mädchenwaisenhaus des Israelitischen Frauenvereins.

Ihr Ziel war es, Frauen und Mädchen zu einem eigenständigen Leben zu befähigen. Sie verstand Hilfe nicht als Wohltätigkeit, sondern als Förderung und Selbstermächtigung. In einer Rede von 1901 betonte sie, dass soziale Unterstützung immer auch politische und rechtliche Teilhabe ermöglichen müsse. Sie engagierte sich zudem gegen Armut, Ausbeutung und Mädchenhandel, besonders gegen die Zwangsprostitution osteuropäischer Jüdinnen. 1904 gründete sie gemeinsam mit Sidonie Werner den Jüdischen Frauenbund, dessen Vorsitz sie viele Jahre innehatte. Ziel war die Vernetzung jüdischer Frauenvereine und die Professionalisierung der sozialen Arbeit. 1907 eröffnete sie in Neu-Isenburg das Jüdische Mädchen- und Frauenheim, das bis 1942 bestand und jungen Frauen Schutz und Ausbildung bot. Pappenheim verstand diese Arbeit als Ausdruck religiöser Pflicht und als Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft.

Ihre Texte verbanden jüdischer Tradition mit Fragen der Moderne

Neben ihrer praktischen Tätigkeit war sie auch als Schriftstellerin und Übersetzerin tätig. Sie übertrug unter anderem Mary Wollstonecrafts „Verteidigung der Rechte der Frauen“, die Memoiren der Glückel von Hameln und die Frauenbibel „Zenaah u Reenah“ ins Deutsche. Ihre Texte verbanden jüdische Tradition mit den Fragen der Moderne wie Bildung, Gleichberechtigung, Sexualmoral und sozialer Verantwortung. Die Referentinnen ordneten Pappenheims Wirken in den historischen Zusammenhang ihrer Zeit ein. Diese war geprägt von Industrialisierung, sozialer Not, Emanzipationsbewegungen und wachsendem Antisemitismus. Sie zeigten, dass Pappenheim sich in diesem Spannungsfeld bewegte und mit ihrer Arbeit versuchte, Religion, Ethik und gesellschaftliche Reform miteinander zu verbinden. Dabei blieb sie ihrer religiösen Überzeugung treu, interpretierte sie aber neu – kritisch, reflektiert und mit Blick auf die Rolle der Frau.

Bertha-Pappenheim-Platz in Frankfurt

Im Austausch zwischen Publikum und Vortragenden wurde deutlich, dass Pappenheims Engagement über ihre Zeit hinausweist. Sie war Teil einer Bewegung, die jüdisches Selbstverständnis, soziale Verantwortung und feministische Forderungen miteinander verband. Zum Abschluss erinnerten Michal Schwartze und Irina Ginsburg daran, dass der Vorplatz des Jüdischen Museums in Frankfurt seit 2019 den Namen Bertha-Pappenheim-Platz trägt. Diese Benennung verweist auf die fortdauernde Erinnerung an eine Frau, deren Lebensleistung heute vor allem im Zusammenhang von jüdischer Geschichte, sozialer Verantwortung und Frauenbewegung gesehen wird. Bertha Pappenheim starb 1936 an den Folgen einer schweren Tumorerkrankung und wurde neben ihrer Mutter auf dem Frankfurter Friedhof (heute Alter Jüdischer Friedhof) beerdigt.

Freier Autor für den Bergsträßer Anzeiger – ressortübergreifend an der gesamten Bergstraße tätig.

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