Zwingenberg. "Es gibt nichts zu Kauen", warnt Edda Fürst gleich zu Beginn. Stimmt aber nicht ganz. Kurz vor Schluss knabbern ein paar Teilnehmer auf einem attraktiven Kreuzblütengewächs herum, das als Rauke mindestens so gut schmeckt wie unter seinem italienischen Decknamen Rucola. Der Fundort passt: Sandig-lehmiger Boden in sonniger Lage.
Die Senföle sorgen für den scharfen, sehr aromatischen Geschmack mit einem leicht bitteren Abgang. Auch mit Folsäure und Jod wird nicht geknausert. Auf die stimulierenden Eigenschaften, die man dem schmalblättrigen Kollegen nachsagt, können die Teilnehmer der Arzneipflanzenexkursion getrost verzichten: Man ist auch ohne motiviert genug, um sich mit Frau Fürst ins Grüne zu stürzen.
Der jüngste Ausflug der "Botanischen Vereinigung für Naturschutz Hessen" (BVNH) an Bergstraße und Odenwald ging durch die Zwingenberger Weinbergslagen. Allerdings standen nicht Trauben im Mittelpunkt des Interesses, sondern heimische Heilpflanzen, die mit bestimmten medizinischen Inhaltsstoffen aufwarten - beziehungsweise solche, denen ein gewisser Effekt nachgesagt wird.
Nicht jede Wirkung nachweisbar
"Nicht jede angegebene Wirkung ist nachweisbar", betont die gelernte Apothekerin, die ein umfangreiches herbarisches Archiv im Kopf hat. Sprich: Sie weiß alles über Kräuter. Darüber hinaus schreibt sie wunderbare Gedichte über Flora und Fauna. Und so erlebten knapp zwanzig Teilnehmer am Samstag eine informative und lyrische, aber auch jahreszeitlich untypisch kühle und windige Wanderung, die aber glücklicherweise über die vollen zwei Stunden von Regen verschont blieb.
Los ging es an der Jugendherberge mit einer poetischen Miniatur aus dem heiteren Herbarium des österreichischen Schriftstellers Karl Heinrich Waggerl im Ohr. Dessen Blumenlyrik konnte nicht mithalten mit dem, was Mutter Natur den Wanderern so verschwenderisch in den Weg gestellt hat: Gehaltvolles Grünzeug ohne Ende. Eine eigene, urwüchsige und geheimnisvolle Welt für sich, die sich dem gemeinen Passant wenn überhaupt nur bruchstückhaft erschließt. Es sei denn, man hat jemanden wie Edda Fürst an der Hand, die einem die Augen öffnet für die Heilkräuter der näheren Umgebung - und einem hier und da auch mal den Mund verbietet.
Denn "alle Dinge sind Gift und nichts ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist", sagte schon der Altmeister der Heilkunde, dessen Name selbst wie eine botanische Gattungsbezeichnung klingt: Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim. Besser bekannt als Paracelsus.
In seinem Sinne schnell zurück zum Rucola: Das auf deutschen Wiesen explosionsartig sich ausbreitende Jakobskreuzkraut sieht ähnlich aus, ist aber hochgiftig. Eine gelb blühende Pflanze mit gefiederten Blättern und schirmartigen Blütenständen. Wer es isst, riskiert unheilbare, bisweilen tödliche Leberschäden. Auch Tiere sollten aufpassen.
Genau das meinte Edda Fürst mit ihrer Ankündigung, dass hier keine Küchenkräutersammelaktion über die Bühne geht. Für lebenswichtiges Know-how sorgten außerdem Eberhard F. Erb und Annette Modl-Chalwatzis von der BVNH sowie der NABU-Landesvorsitzende Gerhard Eppler. Kein Kraut am Wegesrand, dem man nicht auf den Zahn fühlte.
Botanische Vereinigung will Menschen für Natur begeistern
Der Löwenzahn gilt als entwässerndes und appetitanregendes Gewächs, das auch bei Verdauungsbeschwerden helfen kann. Gegen Durchfall wiederum ist ein Kraut namens Rubus fruticosus (Brombeere) gewachsen, das nicht nur schmeckt, sondern in Kombination mit Honig auch wunde Stellen der Mundschleimhaut lindern soll.
Ein Kletterkonkurrent der Brombeere ist der Efeu, der in der Pflanzenmedizin eine große Rolle spielt, wie Edda Fürst betont: In niedrigen Dosen sind die Inhaltsstoffe gut gegen Bronchial- und Hustenerkrankungen. Aber Achtung: Sämtliche der immergrünen Pflanzenteile sind giftig. Die Symptome reichen vom erhöhten Puls über starke Kopfschmerzen bis zum Schock und Atemstillstand. Der Storchschnabel (Geranium) ist da sympathischer. Seine Gerbstoffe sind entzündungshemmend und so adstringierend, dass sie sogar Blutungen stillen können. Die Bitterstoffe im Hopfen sind beruhigend und sogar einschläfernd. Johanniskraut ist ein gutes Antidepressivum. Ein Klassiker der "grünen Wald- und Wiesenapotheke" ist das so genannte Fünffingerkraut. Es dient der inneren und äußeren Wundbehandlung. Ebenso die Schafgarbe, der man eine ganze Reihe von positiven Effekten zuspricht. Unter anderem wirkt sie schleimlösend - auch als Ensemblemitglied in gemischten Salatvariationen. Berühmt ist auch das desinfizierende Potenzial von Salbei, der schon bei den alten Ägyptern als Heilkraut populär war. Seine ätherischen Öle sind antibakteriell und pilztötend, erläutert Edda Fürst auf dem Weg hinauf zum Luciberg.
Kurz vor dem Finale dann noch ein Höhepunkt: Eine ältere Elsbeere, deren Früchte früher ein bekanntes Mittel gegen die Ruhr waren. Das Holz ist hart und teuer, die Früchte sind Geschmackssache. "Im Herbst bekommt der Baum eine wunderschöne intensive Rotfärbung", erklärt Edda Fürst. Auch, wenn es angesichts der Temperaturen jederzeit so weit sein musste - so lang wollten die Pflanzenwanderer dann doch nicht warten.
Fazit: Eine unterhaltsame und entspannt informative Kräutererkundung, die von der Botanischen Vereinigung erneut kostenlos angeboten wurde. Man will Menschen für die Natur begeistern. Mission erfolgreich. tr
Kompass-Lattich sieht nur gut aus
Der Stachel- oder Kompass-Lattich hilft nicht etwa bei gestörtem Orientierungssinn, sondern bei eigentlich gar nichts. Doch der anpassungsfähige Korbblütler sieht gut aus. Nicht jedes Kraut muss etwas können, nieder mit dem botanischen Leistungsdruck!
Spaß beiseite: Die Pflanzenheilkunde gehört zu den ältesten medizinischen Therapieformen überhaupt. Was in manchen Blüten, Blättern, Wurzeln und Rinden enthalten ist, kann gegen Krankheiten helfen.
In der modernen Medizin werden aber nicht mehr ganze Pflanzenteile verwendet, sondern wirksame Inhaltsstoffe isoliert und gezielt zur Prävention oder Behandlung eingesetzt. tr
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/zwingenberg_artikel,-zwingenberg-die-gruene-apotheke-am-wegesrand-_arid,473215.html