Zwingenberg. Ihre Bilder treten aus der Ebene heraus. Sie sind gleichermaßen puristisch-clean und verschwenderisch opulent. Das Prozesshafte der Bildentstehung ist die entscheidende Komponente. Claudia Söding hat über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten eine eigene Bildsprache entwickelt, deren Vokabular in der informellen Kunst begründet ist. Ihre Neugier gilt dem Archaischen, dem prozesshaften Verfall und der Endlichkeit allen Seins.
Die Werke entstehen in einem faszinierenden Prozess
Ebenso faszinierend wie die inszenierte Vergänglichkeit ist der Entstehungsprozess, den die Werke in ihrem Atelier in Mühltal durchlaufen. Ein zeitaufwendiges Bearbeiten von Oberflächen, um eine haptische und rissige Textur zu erzeugen, die einen Eindruck von der handwerklichen und künstlerischen Komplexität hinter den Arbeiten vermittelt.
„Erdverbunden“ ist ihre erste Ausstellung in Zwingenberg. 2018 hatte sie mit der Plastikerin Berit Schmidt-Villnow im Auerbacher Fürstenlager ausgestellt. Beide kennen sich aus dem Bundesverband Bildender Künstler (BBK) in Darmstadt. Seit damals sind die Motive nochmals feiner, vollendeter und inhaltlich schlüssiger geworden. In vielen Werken erkennt man radikale Abstraktheit bis hin zur völligen Auflösung von Formen und Konturen.
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Es gehe um die Balance aus Ästhetik und Ausdruck, um ein optimales Kräfteverhältnis, so die Künstlerin bei der Vernissage am Freitag, zu der Bürgermeister Holger Habich die Gäste begrüßte. Die Ausstellung folgte einem Vorschlag aus den Reihen der Kommission Kunst und Kultur und ist bis zum 29. September immer samstags (14 bis 17 Uhr) und sonntags (11 bis 17 Uhr) geöffnet. An den beiden letzten Sonntagen wird die Künstlerin teilweise anwesend sein.
Claudia Söding ergänzt traditionelle Malerei auf Leinwand mit klassischen Materialien durch Arbeiten mit Pigmenten und Steinmehlen, die in gestäubter oder gebundener Form aufgetragen werden. Der Einsatz aller Materialien ist genau abgestimmt, die feinstoffliche Wirkung kommt in ihren Werken enorm plastisch und vieldimensional zum Ausdruck. Ausgangspunkt ihrer Kunst ist immer eine bestimmte Intuition, die in einer motivischen Idee mündet, die dann den weiteren Prozess dirigiert.
18 ausgestellten Werke
Im Atelier kommen Rakel, Marmormehl oder feiner Freskokalk zum Einsatz. Aufgetragen in lasierenden Schichten von zartrissiger Struktur entstehen Motive voller Sinnlichkeit und natürlicher Energie. Die oftmals schroffe Oberfläche der Bilder wird durch malerische Elemente choreographisch ausformuliert. Menschliche Schemen erscheinen als feine Schatten oder fragile Umrisse am Bildrand, wo sie vom Betrachter oft erst auf den zweiten oder dritten Blick entdeckt werden. Ihre tiefen, farblich reduzierten Bilder deuten an, legen Fährten und wecken Assoziationen. Freie Emotionalität und klare Komposition, Intuition und Methodik fusionieren und laden den Betrachter zum Entdecken ein.
Die 18 ausgestellten Werke sind allesamt vitale künstlerische Reflexionen innerer Empfindungen, Gefühle und Auseinandersetzungen. Aber auch die spannenden Korrespondenzen zwischen den einzelnen Arbeiten machen einen Besuch in der Remise lohnenswert. „Die inneren und äußeren Landschaften lassen viel Raum für eine eigene Interpretation“, so Berit Schmidt-Villnow in ihrer Einführung.
Marmorstaub aus Carrara
Die Offenlage von Struktur und Materialität lebt von hochwertigen Naturmaterialien, die Claudia Söding aus prominenter Region bezieht: aus den Marmorsteinbrüchen in Carrara kommt der feine Staub, aus dem sie im Atelier mittels eines Binders eine teigige Spachtelmasse anmischt, die sich untrennbar mit dem Holzträger oder der Leinwand verbindet. Sumpfkalk ist verbrannter Marmor, der fünf Jahre lang in Wasser gelagert hat, bevor ihn die Künstlerin mit Marmormehl mischt. Der Kalk ermöglicht zarte Nuancen, während das Marmormehl mit seiner Körnung eine spezielle Struktur erzeugt.
Besonders schön sichtbar wird dies im Werk „Volcano“, bei dem auch Eitempera verwendet wurde. Viele Arbeiten offenbaren eine vermeintlich antike Patina, die allerdings das Kunst-Produkt der Schöpferin ist, die dies mit viel Intuition, Erfahrung und Sachverstand gestaltet und sich dabei immer von der Dynamik des Prozesses leiten lässt.
Spätberufene mit eigenem Industrieatelier im Mühltal
Claudia Söding ist eine Spätberufene. Sie begann 2010 mit einer Ausbildung an der Kunstschule Akkrea in Ober-Ramstadt, gefolgt von einem Aufbau- und Intensivstudium bei Mathias Kroth und Dagmar Wassong an der Europäischen Kunstakademie Trier. Es folgte ein Hauptstudium für Malerei bei Markus Tepe (Trier) und eine Weiterbildung an der Städelschule Frankfurt. Seit 2020 leitet sie ein eigenes Industrieatelier in der Wackerfabrik Mühltal.
Ihre Arbeiten zeigen eine hohe räumliche Tiefe, verführerische Durchblicke und faszinierende Brüche, die oftmals auf den Entstehungsprozess verweisen und den Betrachter motivieren, sich von eigenen Perspektiven und Ideen leiten zu lassen. Sämtliche Werke spiegeln eine tiefe Kenntnis von Materialität und den Effekten und Reaktionen, die durch das Zusammenwirken von Stoffen entstehen. Die freie Assoziation spielt eine tragende Rolle.
Symbolische, strukturelle und konzeptionell ausgerichtete Ideen bahnen sich ihren Weg. Spontan intuitive Ansätze alternieren mit methodisch Durchdachtem. Den Arbeitsprozess beschreibt sie selbst als hoch expressiv und dynamisch. Ihre Bilder sind lebendige Austragungsorte innerer Auseinandersetzung, die sich in all ihrer fragmentarischen Fülle auf der Oberfläche zu einem ganzheitlichen Organismus verdichtet.
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