Kabarett - Werner Brix mit satirischem Frontalangriff im ausverkauften Lorscher Sapperlot

Workaholic startet mit Vollgas in den Burnout

Von 
Monika Hälker
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Kabarettist Werner Brix aus Österreich ließ im ausverkauften Sapperlot keine Wiener Gemütlichkeit aufkommen.

© Lotz

Lorsch. Er ist ein Workaholic, wie er im psychiatrischen Lehrbuch steht: Ständig auf Achse, ständig rennt ihm die Zeit davon. Ständig übernimmt er neue Aufgaben, mit denen er gleichzeitig jongliert. "Mit Vollgas in den Burnout" heißt sinnigerweise das aktuelle Soloprogramm des österreichischen Kabarettisten Werner Brix. Sein Workaholic ist nicht nur ein gehetzter Zeitgenosse, er ist auch ein Schnellredner im österreichischen Dialekt, der nahezu ohne Punkt und Komma über das Leben, die Zeit und die eigene berufliche Karriere sinniert.

Von Wiener Gemütlichkeit fehlte bei diesem satirischen Frontalangriff auf die Ellenbogengesellschaft mit ihrem krank machenden Stress im ausverkauften Sapperlot-Theater jede Spur. Nur das Klingeln des Smartphones vermag den Workaholic noch aus seiner Hektomania zu reißen. Allzeit steht er bereit für neue Herausforderungen. Schließlich kennt er sich mit allem aus und steht prinzipiell jedem zu Diensten. So löst er via Telefon die Computerprobleme seiner Kollegen ebenso wie die Einschlafprobleme seiner sechsjährigen Tochter, die er mit einem dadaistisch anmutenden Lautgedicht von Ernst Jandl über den Äther in den Schlaf wiegt.

Er greift zu Fertiggerichten für die Mikrowelle und zu Würstchen aus der Dose, die aussehen, als wären sie in Formaldehyd eingelegt. Dem Publikum gab er den Geheimtipp mit auf den Weg, Suppen immer mit dem Strohhalm zu trinken, damit die Hände für den Multitasking-Einsatz an Handy und Computer frei bleiben.

Eine Therapie muss her

Doch der pausenlose Einsatz hinterlässt Spuren. Eine Therapie muss her, lässt man ihn wissen. Inzwischen setzen ihm der Stress und der Tinnitus so stark zu, dass er die Anrufe seiner Mutter mit Schluckauf und Stottern beantwortet.

Dabei hätte er auch den Termin beim Therapeuten am liebsten telefonisch erledigt und abgehakt. In einem Redefluss, in dem sich die Silben und Buchstaben gegenseitig jagten, betonte er, er nehme den Termin nur seiner Frau zuliebe wahr. Er will, sagte er, dass es ihr gutgeht.

Brix griff im ersten Programmteil auf einige wenige Requisiten zurück, um Orte anzudeuten. Auf der Bühne stand die aus vier Stühlen bestehende "Designercouch" der psychiatrischen Praxis. Atemlos streift seine Figur auf der Couch durch alte, längst vergangene Zeiten, als man Liebesbriefe noch von Hand und mit Tinte schrieb. Damals formulierte man sogar ganze Sätze, während heute eine SMS ausreicht, die aus einem Wort und Ausrufezeichen besteht.

In seinem therapeutischen Selbstgespräch erscheint ihm der Stress als Antriebsfeder für konstruktives, kreatives Tun. Das Ziel ist klar: Er will immer nur das Beste, sein Leben soll ein einziger gelungener Weblog werden. "Und dann gibt es nichts mehr, denn tot ist tot."

In der zweiten Programmhälfte hat der Bilderbuch-Workaholic den feinen Zwirn abgelegt, die Beine sind von einem orangefarbenen Tuch umhüllt. Durchschnittlich 1,27 Pinkelpausen am Tag müssen reichen. Die Sprechgeschwindigkeit des Monologs ist ebenfalls deutlich reduziert. Der vielfach ausgezeichnete Kabarettist verzichtete auch in diesem zweiten Teil ganz auf Requisiten und musikalische Einspielungen. Der Komik und Groteske des Programms tat das ebenso wenig Abbruch wie der unterhaltsamen und kurzweiligen Vorstellung. Mag sein, dass es erstklassige Schauspieler und Kabarettisten wie Werner Brix braucht, um heiklen und ernsten Themen eine komische Seite abzugewinnen. Die Komik resultiert letztlich aus einer Gesellschaftskritik, deren Realität surreale Züge trägt und in der sich letzten Endes alles um eine Frage dreht: "Wissen Sie eigentlich, was noch real ist und was nicht?" Werner Brix stellte eine Montage aus skurrilen Wirklichkeitsfragmenten zusammen, die vieles umfasst und im Zweifelsfall nichts auslässt. Die Themenpalette reichte von Yoga und Buddhismus über Staatsoberhäupter und gebatikte Stoffe aus Kinderhand bis hin zu träumerischen Höhenflügen und dem freien Fall aus dem Flugzeug ohne Fallschirm. Zwischendrin kluge Fragen nach der Existenz Gottes oder nach dem menschlichen Elend. In der hektisch dahin rasenden Zeit erkennt er am Ende den Verlust der Gegenwart. Die Plauderei im Bioladen will er sich nicht mehr nehmen lassen.

Ist der Workaholic am Ende kuriert oder haben sich die Symptome nur verlagert? Zumindest nimmt er den Anruf seiner Mutter nicht mehr mit Schluckauf entgegen. Von der Hektik kommt er dennoch nicht los: "Ich habe überhaupt keine Zeit, ich arbeite gerade an der Entschleunigung.

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