Lorsch. Warum wurde die Königshalle einst errichtet? Welchen Zweck sollte sie damals, vor weit über tausend Jahren, erfüllen? Noch immer gibt die Welterbestätte in Lorsch viele Rätsel auf. „Die Torhalle gehört zu den meistdiskutierten Bauten in der Architekturgeschichte“, betont Dr. Katarina Papajanni. Bei ihrem Vortrag im Paul-Schnitzer-Saal ging es diesmal vor allem um das Alter des Gebäudes. Die Bauforscherin legte dar, warum die Torhalle um das Jahr 900 entstanden sein muss.
Mit diesem wissenschaftlich dokumentierten Datierungszeitraum in die spätkarolingische Zeit ist unter anderem bewiesen, dass Karl der Große die Königshalle auf keinen Fall gesehen hat. Zur Bauzeit in Lorsch war der große Frankenkönig schon jahrzehntelang tot. Vieles muss immer wieder neu überdacht und geprüft werden, machte Papajanni zu Beginn ihres Vortrags deutlich.
Die Gefahr, „fixen Ideen nachzujagen“, sei ansonsten groß, warnte sie in Anspielung auch auf vermeintliche Erkenntnisse, die von Hobbyhistorikern gern in die öffentliche Diskussion gebracht werden.
Funde in winzigen Spalten
Eine intensive Untersuchung, eine sachliche Sicht sowie ein interdisziplinärer Austausch auch mit externen Fachkollegen – all das müsse heute selbstverständlich bei seriöser Forschung erwartet werden. Erst dann seien Informationen in die Öffentlichkeit zu tragen sowie zu publizieren.
Papajanni hat im Rahmen ihrer umfangreichen Bauforschung tiefe Einblicke in die Substanz der Königshalle erhalten. Beim Untersuchen selbst feinster Spalten und Fugen im Mauerwerk hat sie jede Menge Verborgenes ans Tageslicht befördern können. Die Funde und ihre anschließende Analyse mit modernsten naturwissenschaftlichen Methoden halfen dabei, die Entstehungszeit einzugrenzen auf einen Zeitraum zwischen 890 und 970.
Papajanni freute sich über eine „ergiebige Fundsituation“. Die Bonbonpapiere, das Schwimmbadticket und allerlei ähnlicher Kulturmüll von heute, den Papajanni entdeckte, waren dabei natürlich nicht von Nutzen. Große Freude weckten vielmehr kleinste Objekte, die Laien übersehen und mit denen sie überhaupt nichts anzufangen wüssten.
Wer ahnt schon, was ein Erlenzweiglein, ein Obstkern, Rindenschuppen und eine uralte Walnussschale verraten können? Botaniker und Holzexperten machten sich an die Arbeit. Dank der Radiokarbonmethode können organische Materialien datiert werden. Die Ergebnisse aus dem Labor reichen aber allein nicht aus, verdeutlichte die Wissenschaftlerin.
Langwierige Spurensuche
Gefragt werden muss zum Beispiel auch, ob der Zweig vielleicht schon anderswo längere Zeit überdauert haben könnte. Zu berücksichtigen ist, ob es Reparaturen im Bauwerk gab, ob Kontaminierungen ausgeschlossen werden können. Die Funde datiert zu haben, heißt noch längst nicht, über das Bauteil Gewissheit zu haben.
Papajanni berichtete den Zuhörern von der detektivischen Arbeit mit zum Teil kleinsten Splittern aus Fugen, der langwierigen Spurensuche und dem nötigen Blick auch auf schmale Streifen im Setzmörtel. Erkenntnisse aus der Kunstgeschichte und eine penible vergleichende Beobachtung seien unumgänglich bei der Bauforschung. Dass sich die Wissenschaftler heutzutage dem nachhaltigen Vorgehen verpflichtet fühlen und also genau darauf achten, Verluste für spätere Forscher so minimal wie irgend möglich zu halten, macht die Sache nicht einfacher.
Dass die Torhalle ihr Alter noch nicht bis auf den Tag genau verrät, damit kann Papajanni leben. „Das macht sie zu einem so spannenden Objekt“, erklärte sie über die „geheimnisvolle Schöne“. Ihren Vortrag, zu dem das Kuratorium Welterbestätte mit Dr. Dorothea Redeker an der Spitze in der Reihe „Mittelalter erleben – Wissenschaftler berichten“ eingeladen hatte, schloss Papajanni daher mit den Worten: „Wir forschen auf jeden Fall weiter.“
Neue Bücher
Voraussichtlich im Mai soll von Dr. Katarina Papajanni und Dr. Hermann Schefers ein großer Bildband zum Kloster Lorsch erscheinen.
Das Buch im Verlag Schnell und Steiner trägt den Titel „Kloster Lorsch und seine Bauten“, hat rund 200 Seiten und 160 Abbildungen.
Für den ebenfalls in Arbeit befindlichen Textband zur Lorscher Torhalle gibt es noch kein festes Erscheindatum, so Papajanni. sch
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