Evangelische Kita

Was tun bei einem komischen Gefühl?

Präventionsprojekt „Schatzkiste“ soll helfen, Kinder stark zu machen und Eltern und Kita-Personal in der Aufmerksamkeit dafür zu schulen.

Von 
Nina Schmelzing
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Kathrin Munding und Susanne Falk stellten den Kita-Eltern die „Schatzkiste“ vor. © Schmelzing

Lorsch. Nein, es existiert kein aktueller Fall, der Anlass für die Veranstaltung gegeben hätte. Das stellte Mareen Reil, Leiterin des evangelischen Kindergartens, gleich zu Beginn des jüngsten Elternabends klar, der sehr gut besucht war.

In der Biengartenstraße war zu einem Vortrag von „Wildwasser“ eingeladen worden. Der Verein mit Sitz in Darmstadt, der auch eine regelmäßige Sprechstunde in Bensheim hat, fungiert als Fachberatungsstelle für das Thema „Sexualisierte Gewalt“. Vorgestellt wurde in Lorsch ein Präventionsprojekt dazu namens „Schatzsuche“. Es geht unter anderem um „komische Gefühle“ und den Umgang damit.

„Applaus für den Elternbeirat“

Dass sich die Lorscher Einrichtung freiwillig mit einem solch schwierigen und sensibel zu bearbeitenden Projekt befasst, „das adelt die Kita“, lobten die Referentinnen Kathrin Munding und Susanne Falk. Oft sei das Interesse an diesem Angebot überschaubar, so die Diplom-Pädagogin Munding.

„Applaus für den Elternbeirat“, sagte sie deshalb mit Blick auf die Zuhörer-Reihen. Die große Teilnahme lasse auch darauf schließen, dass in Lorsch das Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und dem Personal gut sei. „Eine tolle Kita, ein tolles Team“, formulierten die Fachfrauen.

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Die Referentinnen räumten auf mit der Annahme, ihr Thema beschränke sich auf Pädophile, auf Täter, die hinter Büschen lauern und Kinder mit Süßigkeiten locken. Bei sexualisierter Gewalt geht es um Grenzverletzungen, die oft schwerer gleich als solche erkennbar sind.

Es handle sich nach heutiger Definition um strategisch geplante Taten, die zum Beispiel auch als Pflegehandlungen verdeckt sein können. Die Grenzüberschreitung müsse nicht unbedingt durch Druck, sondern könne durch Manipulation geschehen, in vertrauten Räumen, durch vertraute Menschen. Täterin bei einer solchen Machtausübung, zu der nicht zwingend Körperkontakt zählen müsse, könne auch „Tante Monika“ sein.

Das Präventionsprojekt soll helfen, Kinder stark zu machen und Eltern und Kita-Personal in der Aufmerksamkeit dafür zu schulen. Denn es gibt Möglichkeiten, „grenzachtenden Umgang“ zu lernen und Überschreitungen vorzubeugen. Täter jedenfalls guckten bevorzugt nach „Kindern, die gute Opfer sind“, verdeutlichten Munding und Diplom-Psychologin Falk, die zugleich Fachkraft für Prävention bei sexuellem Missbrauch ist.

Das könnten „vernachlässigte Kinder“ ebenso sein wie Kinder mit Gewalterfahrung oder mit einer Behinderung oder Kinder aus „sehr autoritären Elternhäusern“ sowie alle jene, die daheim nicht genügend Aufmerksamkeit erhalten, in denen ein „Nein“ nicht akzeptiert oder Sexualität aus einer großen Scham heraus grundsätzlich tabuisiert wird, so die Referentinnen.

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dpa/lhe
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Schwer zu verstehen ist es für viele, warum Opfer sich nicht umgehend Hilfe suchen. Kindern im Kita-Alter fehlt es aber am sprachlichen Ausdrucksvermögen. Sie haben zudem Angst vor Beziehungsverlust und wenn sie reden, seien meist viele Anläufe nötig, bis ihnen von Erwachsenen geglaubt werde. Kinder entwickelten notgedrungen „Überlebensstrategien“. Täter ließen sich mitunter „Perfides“ einfallen, um gedeckt zu sein. Munding und Falk rieten daher, bei „Signalverhalten“ der Kinder mit Symptomen wie zum Beispiel regressives Verhalten, einer Rückkehr zum Daumenlutschen oder Einkoten, auch „Missbrauch mitzudenken“.

Sie würde einem mutmaßlichen Täter sofort „an den Hals springen“, sagte eine Mutter in der Diskussion in der Kita in der Biengartenstraße: „Meine Zündschnur ist da sehr kurz.“ Das sei allerdings „nicht schlau“, meinte eine andere Teilnehmerin, denn ein Täter könnte so Beweise verschwinden lassen und käme nicht vor Gericht. Erwische es einen Unschuldigen, werde dieser einen solchen Verdacht nie mehr los, gab außerdem ein Vater zu bedenken. Auch die Fachfrauen rieten von impulsiven Reaktionen ab. Sie empfahlen, „Gegenstrategien zu entwickeln“ und damit früh anzufangen.

Mit dem Projekt „Schatzkiste“ bieten sie geeignete Maßnahmen. Die „Notfallkiste“ enthält Dinge, die unter anderem vor unüberlegtem Handeln bewahren. Zwei Kaffeetassen zum Beispiel als Symbole dafür, ein komisches Gefühl nicht mit sich alleine herumzutragen, sondern das Gespräch darüber zu suchen – möglichst natürlich mit passenden Partnern.

Hilfe suchen ist anonym möglich

Externe Hilfe suchen, ist richtig. Wer auf Verdacht jemanden bei der Polizei anzeige, sollte aber wissen, dass diese bei einem Offizialdelikt dann ermitteln müsse. An Fachleute bei „Wildwasser“ hingegen kann man sich auch anonym wenden, ein Erstgespräch bei einer Opferhilfe ist ohne Kosten möglich.

Zuhören, hingucken, nachfragen, einem Kind Glauben schenken sowie Äußerungen und Verhalten dokumentieren und ein komisches Bauchgefühl nicht bagatellisieren oder wegschieben, empfahlen Falk und Munding ihren Zuhörern als grundsätzlich sinnvolles Konzept.

Im Rahmen des Präventionsprojekts – vom Kitaträger finanziert, wie Mareen Reil anmerkte – wird in den kommenden sechs Wochen mit wichtigen Grundsätzen bekannt gemacht, die Kinder stark machen und so zu ihrem Schutz beitragen. „Mein Körper gehört mir“ zählt dazu, „Deine Gefühle sind richtig“, wird vermittelt sowie „Hilfe holen ist kein Verrat“ und „Nein sagen ist erlaubt“. Auch der Unterschied zwischen „guten“ und „schlechten“Geheimnissen, die Kinder bedrücken, wird aufgezeigt.

Ein Kuss – ja oder nein?

Es gibt Praxisbeispiele für alltägliche Situationen wie etwa einen Begrüßungs- oder Gute-Nacht-Kuss: Nein oder, wenn ja – wohin wird geküsst? Die Fachfrauen empfehlen, Kinder mitbestimmen zu lassen.

Schutzkonzepte wie „Schatzsuche“ werden Kindergärten und Grundschulen künftig selbstverständlich vorweisen müssen, machten Susanne Falk und Kathrin Munding bei ihrem Vortrag deutlich. Dass die evangelische Kita in Lorsch bereits jetzt tätig wurde, sei ein „Qualitätsmerkmal“, das es zu feiern gelte, erklärten die beiden Referentinnen .

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