Lorsch. Sie sind wie ein frischer Windstoß im muffigen Salon abgestandener Unterhaltungsmusik: Les Clöchards haben musikalisches Entertainment neu erfunden. Frech, komisch und enorm kreativ packen sie die Gehörgänge ihres Publikums und sorgen für eine akustische Sauerstoffzufuhr zwischen den Ohren. Im Theater Sapperlot hat sich die Gruppe als einer der letzten echten Rock`n`Roll-Bands des Planeten empfohlen – und die Gäste waren kosmisch begeistert.
Mit einer unverschämt kurzweiligen Bühnenshow hat das Theater Sapperlot jetzt die neue Saison eröffnet. Wie immer mit einem feinen Sommerfest in Atmosphäre. Das als „Love Explosion – Comeback-Tour“ betitelte Programm der Band hat es in sich. Les Clöchards zerfetzen die Rock- und Popgeschichte und basteln sie neu zusammen. Da wird aus dem Heavy-Metal-Dampfhammer „Ace of Spades“ von Motörhead ein seichtes Reggae-Liedchen im Stil der schwedischen Eurodance-Pop-Band Ace of Base. Man beachte die phonetische Ähnlichkeit und gebe sich genussvoll einem musikalischen Dekonstruktivismus hin, der in der Branche seinesgleichen sucht.
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Die Band inszeniert die hohe Kunst des künstlerischen Chaos als schöpferische Vagabunden, die von einer kleinen Insel nahe Korsika aufgebrochen und – so die Legende – in Deutschland gestrandet sind. Sie machen Straßenmusik mit Beulen und Löchern, leicht zerfleddert, aber puristisch und roh – Rock`n`Roll aus der dreckigen Ursuppe sozusagen.
Aus Bob Marleys „Jammin`“ wird ein Spottlied auf die stets traurig-schwermütigen „Germans“, und aus Roxettes „The Look“ mutiert eine Uptemponummer mit Rockabilly-Anklängen. Und als man meint, dass nun nichts Verrückteres mehr folgen kann, stimmt die Band die Superschnulze „Time of My Life“ (ja, das Lied aus dem 80er-Jahre-Tanzbakerium „Dirty Dancing“) in einem rätselhaften orientalischen Sound an, der einen sogar mit dem Original versöhnt.
Mit preiswerten Instrumenten – Schlagzeug, Heimorgel, Bass, Gitarre und Eigenbauschlagzeug – und ihrem einzigartigen Third-Hand-Chic hat die Formation um Sänger Dregue Sbaeg das Sapperlot mehr als gerockt. Drinnen war es rappelvoll. Viele haben vor der Bühne getanzt.
„Ihr seid ein tolles Publikum, vielleicht nicht das allerjüngste, dafür aber erfahren“, meinte der Frontmann inmitten seiner exzellenten Musiker, die neben einer historischen Phillicorda-Orgel eine alte Dobro-Gitarre und einen zerschlissenen Kontrabass sowie eine betagte Trompete bedienen.
Mit „It’s A Long Way To The Top (If You Wanna Rock’n’Roll)“ von AC/DC wurde dieser feine Abend voller Überraschungen standesgemäß eröffnet. Später gab es noch Madonnas „Material Girl“ in der Männerversion und „Girls Just Want To Have Fun“ von Cyndi Lauper in einer überaus dunklen Stimmung, was dem Vergnügungsanspruch des Songs aber nicht geschadet hat.
Les Clöchards sind musikalische Unikate, die sich ihren eigenen Mythos geschaffen haben. Ein Live-Abenteuer, für das man räumliche Intimität benötigt. Das Gastspiel in Lorsch war diesbezüglich ideal. tr
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