Lorsch. Das Lorscher Theater war am Dienstagabend voll besetzt. Unter anderem gab es ein Jubiläum zu feiern. Wie einundeinviertel Jahrhundert, meinte gut gelaunt Moderator Daniel Helfrich. Das stimmte zwar nicht im üblichen Sinn, aber höchst eindrucksvoll ist die Zahl auf jeden Fall. Das Sapperlot hatte zum 125. Kultursalon eingeladen.
Einmal im Monat wird das Theater zur Offenen Bühne, je vier unterschiedliche Künstler locken dann mit kurzen Ausschnitten aus ihren Programmen – der Kultursalon-Mix ist attraktiv und bei kostenlosem Eintritt überaus erfolgreich. An die Besten jedes Jahres wird der Kleinkunstpreis „Lorscher Abt“ verliehen.
Der jüngste Auftakt führte das Publikum nach Berlin. Stefan Danziger, einer der berühmtesten Stadtführer dort, war aus der Hauptstadt nach Lorsch „gelaufen“. Seine Touren sind Kult, Touristen und ihre seltsamen Fragen ein unerschöpfliches Thema für Kabarettisten. Antworten, wie sie in keinem Reiseführer zu finden sind, erfahren die Zuhörer von ihm.
Fragen zur Berliner Mauer
Was fragen die Touris? Die Amerikaner wollen immer wissen, wieso die Ostdeutschen damals nicht einfach um die Mauer herumgelaufen sind, berichtet Danziger. Ja, darauf hätte man natürlich kommen können, so Danziger, selbst ein „Ossi“, wie er bekennt. Andere Gäste wollen partout wissen, wann das Brandenburger Tor gebaut wurde. „Am Mittwoch“, sagt der Stadtführer dann.
Der Bundesstaat Oklahoma ist das „Thüringen der USA“, informiert der Kabarettist, der sich auch gern mal als Neurochirurg ausgibt. Besucher von dort erkundigen sich bei ihm etwa, wieso die Berliner keine Waffe tragen. Königsdisziplin für Guides aber sind Schulklassen. Bei der Aussicht auf „zehn Minuten laufen“ erlahmen die Jugendlichen sofort. Sensibel geht er auf sein junges Publikum ein, das Hämorrhoiden für ein Sternbild hält.
Nur in Berlin könne er Stadtführer sein, versichert Danziger. Grund: die Geschichte Berlins ist kurz. Unvorstellbar, wenn er in Rom tätig und Tausende Jahre an Historie im Kopf behalten müsste. Auch Privates erzählt er – von seiner Tochter, die er, seit sie Schulkind ist, nun „Ranzenfee“ nennt. Und von seiner Ehefrau, die beim Einkauf vom Bäcker plötzlich einen weißen Kater mitbringt.
Über das Missverständnis auswärtiger Berlin-Liebhaber, in der Hauptstadt seien alle so vorbildlich „tolerant“, klärt er schonungslos auf: „Das ist keine Toleranz. Es geht uns nur alles am Arsch vorbei.“ Immerhin kann man in Berlin Mädchen voll beeindrucken allein mit der Aussage: „Ich habe einen Job.“ Kommt er in Hamburg mit so einer Auskunft an, dann wenden sich junge Frauen entsetzt von ihm ab. Dort werde Geld einfach geerbt.
Für die spezielle Berlin-Tour dankt das Lorscher Publikum mit Riesen-Beifall, Danziger muss eine Zugabe geben. Auch Adax Dörsam und Matz Scheid kommen nicht ohne zusätzlichen Beitrag von der Bühne. „Die Wolpertinger“ nennt sich das kongeniale Gitarren-Duo, angereist aus dem Odenwald, das in Lorsch erstmals unter diesem Namen im Theater spielt – und natürlich erst einmal verraten muss, was ein Wolpertinger überhaupt ist.
„Ein grausliges Vieh“, besingen Dörsam und Scheid fröhlich und sehr unterhaltsam das aus Bayern bekannte Fabeltier mit „17 Fingern“ und Schwanenhals. Auch mit „Flugpertingern“ machen die beiden aus Rimbach und Großsachsen bekannt – und mit dem Odenwaldklub.
„Wichtige Institution“, unterstreichen sie. Dass man den wandernden Mitgliedern – in Scharen und „polternd und stampfend unterwegs“ – stets ausgerechnet dann begegnet, wenn man gerade die Stille der Natur genießt, ist eine andere Sache. Zum „Mitjammern“ laden die Musiker bei ihrem „Jammertal-Blues“ ein, und die Lorscher lassen sich nicht lange bitten. „Keiner will dich, wenn du unten bist“, lautet der Refrain, angestimmt in Mundart.
Dörsam, der vor Kurzem runden Geburtstag feierte und sein Buch „Ein 68er wird 70“ zum Verkauf mitgebracht hat, in dem er über Begegnungen mit Marla Glen, Xavier Naidoo und Clemens Bittlinger schreibt, sieht sich als Saitenspezialist.
In Lorsch beweist er sein vielseitiges Können auch an einer kleinen Oktavgitarre. „Midnight Moonlight“ spielt das Duo, der Funke springt schnell aufs Publikum über, das im Rhythmus mitklatscht, wenn Dörsam über die Saiten rast. Zugabe fordern die Zuhörer, als die Musiker die Pause einleiten wollen. „Sehr nett“, freut sich Scheid über das Interesse. Die beiden hängen als Dankeschön ein „gemütliches Cowboylied“ in englischer Sprache an.
Von Dieter Nuhr ins Sapperlot
Jonas Greiner gastierte vor fünf Tagen bei Dieter Nuhr in der ARD. Die Fernsehsendung des Kabarettisten hat regelmäßig mehr als zwei Millionen Zuschauer pro Ausgabe. In Lorsch war Greiner, erst 28 Jahre alt und doch schon vielfach mit Preisen ausgezeichnet, live auf der Sapperlot-Bühne zu erleben und wird am 6. November erneut dort zu Gast sein, dann mit seinem Soloprogramm.
Lorsch? Das liegt bei Hüttenfeld
Dass es noch Karten gibt, mag man kaum glauben. Denn dass Greiner „der größte Comedian“ ist, erfuhren die Lorscher auch. Den 2,07 Meter großen Unterhaltungskünstler aus dem thüringischen Lauscha jedenfalls kann derzeit kein Kollege überragen. Eine so schöne Location wie in Lorsch gibt‘s in Thüringen übrigens nicht, schmeichelt Greiner. Wo denn Lorsch liegt, wollten seine Freunde daheim wissen. „Bei Hüttenfeld“, habe er erklärt. Da ist dann doch Protest im Theatersaal zu hören. „Bei Mannheim“, schiebt Greiner nach – das ist dann „cool“.
Der Auftritt in Lorsch habe ihm ein zeitgleich stattfindendes Klassentreffen erspart, berichtet Greiner dankbar. Als er den Chatverlauf aus der Whatsapp-Gruppe vorliest, kann man diese Dankbarkeit sofort nachvollziehen. Aber nicht nur seine Altersgenossen sind gewöhnungsbedürftig. Er selbst war ein Vollspießer. Wer sonst habe sich im Alter von zehn Jahren einen Frack gewünscht und als Kind tägliche Kontrollgänge durch die Wohnung unternommen und die Polizei alarmiert, weil der Vater mit dem Abschließen einer Tür offensichtlich einen vorgeschriebenen Fluchtweg ignorierte?
Seine Körpergröße immerhin werde verhindern, dass man ihn zur „freiwilligen Wehrpflicht“ einziehe. Schützengräben seien nur 1,80 Meter lang. Trotz des Fachkräftemangels werde im Fall einer Einberufung sicher die Berufsgenossenschaft einschreiten. Nur bei der Siegesparade könne er Dienst leisten.
Vera Deckers ist Psychologin. Sie habe aber den Ausstieg geschafft. Wer will sich schon dauernd die Probleme anderer anhören? Man hat doch schließlich genug eigene. Sie regt sich über unentwegt gut gelaunte Leute auf, die im Fitnessstudio nicht mal bei Liegestützen ihr Lächeln unterbrechen und ihre Ernährung auf grüne Smoothies, kugelsicheren Kaffee und eine Mayonnaise umgestellt haben, die sie allen Ernstes als „Gamechanger“ bezeichnen.
Während sich Männer selbst mit Plauze feiern können, nähmen Frauen Abweichungen vom vermeintlich weiblichen Körperideal bei sich gleich als Katastrophe wahr. „Macht mehr Komplimente, sie müssen nicht von Herzen kommen“, appelliert Deckers an Männer. Auch sie lässt das Publikum nicht ohne Zugabe zurück nach Köln.
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