Lorsch. Stolpersteine sind in Lorsch bereits mehr als 50 verlegt. Sie erinnern an Lorscher Juden, die in der NS-Zeit deportiert wurden oder fliehen mussten. Im Gehsteig vor ihren letzten Wohnungen wurden die Steine gesetzt, die mit Messingplatten versehen sind, auf denen der Name und die Lebensdaten der Bewohner nachzulesen sind. Vielfach war Bildhauer Gunter Demnig, der europaweit schon mehr als 100 0000 Stolpersteine zum Gedenken verlegt hat, deshalb in Lorsch. Jetzt kommt er erneut. Diesmal wird der Künstler keinen Stolperstein, sondern erstmals in Lorsch eine Stolperschwelle verlegen, und zwar in der Bahnhofstraße.
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Dort, wo einst die Lorscher Synagoge stand, wird er sie setzen. Im Aussehen ähnelt sie den Stolpersteinen, die Schwelle ist allerdings sehr viel breiter und wird meist gewählt, wenn an Gruppen erinnert werden soll. Die Gedenktafel wird am Donnerstag, den 12. September, vor dem Haus Bahnhofstraße 10 verlegt. Der Künstler aus Alsfeld macht sich um 11 Uhr an die Arbeit.
Die Stolperschwelle soll ausreichend Platz geben, um in der Bahnhofstraße mit einem Text an die beiden Lorscher Synagogen zu erinnern, die hier einst standen, erklärt Thilo Figaj, Vorsitzender des Lorscher Heimat- und Kulturvereins.
Erster Vermerk ist 300 Jahre alt und stammt vom Lorscher Pfarrer
„Vor fast genau 300 Jahren, 1725, machte sich der damals neue Lorscher Pfarrer Johannes Nikolaus Steden einen Vermerk in sein Kirchenbuch“, informiert er. Von der „hiesigen Judenschaft“ seien „drei Gulden für das Synagogicum“ einzusammeln und nach Mainz abzuführen. „Das ist unser erster Nachweis einer organisierten jüdischen Gemeinde. In Lorsch versammelten sich seit jeher auch die Kleinhäuser Juden zum regelmäßigen Gottesdienst“, so Figaj.
Ein Situationsplan aus dem 19. Jahrhundert für die damalige „Obergasse“ belegt den Standort der ersten Synagoge an genau der gleichen Stelle, wie der des Nachfolgebaus aus dem Jahr 1885. Etwa zeitgleich mit dem Toleranzedikt von 1784 des Mainzer Kurfürsten Friedrich Karl Joseph von Erthal, welches es Juden erlaubte, Häuser und Grundstücke zu erwerben, war das Haus Nr. 205 (Bahnhofstraße 10) im Besitz der jüdischen Familie Mainzer, die im Obergeschoss einen Betraum für die Gemeinde einrichtete.
Großmutter der Marx-Brothers kam in der Bahnhofstraße zur Welt
Das Erdgeschoss wurde gewöhnlich an einen angestellten Lehrer und Kantor vermietet, die hier mit ihren Familien lebten. Einen Wechsel gab es alle paar Jahre. Dutzende Lehrerkinder wurden hier geboren, am bekanntesten ist wohl Hannchen Marx, geborene Isaak. „Sie lebte von 1839 bis 1910 und sie war die Großmutter der Marx-Brothers – weltberühmte Hollywood Stars der Stummfilmzeit“, so Figaj.
Nicht so berühmt war Ernst Nathan, der als viertes Kind des Lehrers Emanuel Nathan 1871 hier geboren wurde. Er lebte später in Bruchsal und wurde 1942 in Auschwitz ermordet. „Sein Name soll stellvertretend für alle Lorscher Jüdinnen und Juden genannt sein, für die hier oder anderenorts keine Stolpersteine verlegt sind. Auch zu ihrem Gedenken wird die Stolperschwelle verlegt“, erläutert Thilo Figaj.
Mit Lederfabrik in Strasbourg zu einem Vermögen gekommen
Ab 1885 – mit der Errichtung der neuen Synagoge aus Stein – sind keine Geburten mehr im Haus Nr. 205 verzeichnet. Der Bauherr der Synagoge, Simon Lorch, der gleich nebenan sein Geschäft betrieb, hatte das Haus in der Kirchstraße 5 dazu erworben, welchen nun als Lehrerhaus diente.
„Zwischen diesem Haus und der neuen Steinsynagoge wurde ebenfalls neu eine, im Umkleideraum beheizbare, Grundwasser Mikwe für die Ritualbäder gebaut. Die Finanzierung des Neubaus war eine gewaltige Anstrengung für die Lorscher und Kleinhäuser Juden. Maßgeblich zum Erfolg trugen großzügige Spenden bei, so zum Beispiel aus der Familie des Ferdinand Oppenheimer.
Der gebürtige Kleinhäuser Jude war in Strasbourg mit einer Lederfabrik zu einem beträchtlichen Vermögen gekommen“, so der Vorsitzende des Heimat- und Kulturvereins, der seit vielen Jahren die Geschichte der Juden in der Region erforscht.
Nationalsozialisten raubten den Rest der Vermögen
Mit dem Ende des Kaiserreiches und dem verlorenen Krieg endete die Blütezeit der hiesigen Landjudenschaft. „Viele hatten beträchtliche Summen in Kriegsanleihen investiert. Inflation und Wirtschaftskrisen folgten, die Nationalsozialisten raubten sich den Rest der jüdischen Vermögen – einschließlich ihrer Synagoge“ erinnert Thilo Figaj. Der Gemeinderat besiegelte mit dem Abbruch der Brandruine nach dem Pogrom das Ende der jüdischen Gemeinde in Lorsch.
Drei Lorscher Familien hatten in Folge der Übergriffe des Jahres 1938 unmittelbar Tote in ihrer Mitte zu beklagen: Moritz Mainzer, der in der Schulstraße 12 geboren worden war, starb nach Misshandlung an einem Herzinfarkt in seiner Heimatstadt Frankfurt. Simon Lorch aus Dieburg, ein Schwiegersohn Abraham Abrahams aus der Kirchstraße 12, wurde in Buchenwald ermordet, seine Familie erhielt nur noch ein Paket mit seiner Asche. Schließlich gehört auch Aron Lorch aus der Bahnhofstraße 13 dazu.
Ihn hatte man schon auf dem Weg nach Buchenwald gequält. Aron Lorsch starb Wochen später ebenfalls im Frankfurter Rothschild-Hospital. Ihre Namen sind mit den Tagen der Schändungen deutscher Synagogen verknüpft, und so soll auch für sie die Stolperschwelle in der Bahnhofstraße ein Denkzeichen der Erinnerung sein.
3D-Rekonstruktion ist im Alten Schulhaus zu sehen
Nach der gemeinsam von der Stadt Lorsch und dem Heimat- und Kulturverein veranstalteten Verlegung der Stolperschwelle ist die Dokumentation Landjudenschaft im Alten Schulhaus in der Schulstraße Nummer 16 bis etwa 14 Uhr geöffnet. Hier besteht unter anderem auch die Gelegenheit für Besucher, sich den Film mit der 3D-Rekonstruktion der Lorscher Synagoge anzuschauen. Alle Lorscher sowie auch alle auswärtigen Gäste sind dazu am kommenden Donnerstag eingeladen. sch/red
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