Lorsch. Eine neue und besondere Stadtführung gab es jetzt in Lorsch. Anders als die meisten Touren informierte sie nicht über Sehenswürdigkeiten wie das Kloster und weitere denkmalgeschützte Gebäude oder die Lorscher Gärten. Diese hätten die Teilnehmer dabei auch kaum ausgiebig bewundern können. Denn los ging es abends bei Dunkelheit.
Wie man die unheimlichen „Aufhocker“ los wird
„Auf Schattenwegen“ lautete der Titel der Tour, die zu Halloween konzipiert wurde und auch Einheimische interessierte. Denn statt historische Daten zu alten Gemäuern vermittelte sie Informationen über Themen rund um Tod und Trauer – und sie gab Tipps, wie man zum Beispiel „Aufhocker“ los wird. Das sind die kleinen und unheimlichen Gestalten, die Menschen ungefragt auf den Rücken springen und bei ihnen bleiben, wenn man nichts gegen sie unternimmt.
Etwas Salz über die Schulter werfen, hilft dabei, die bösen Geister zu vertreiben, erfuhren die Tourteilnehmer. Jeder, der mitspazierte, bekam daher ein Tütchen davon ausgehändigt.
Die Gruppe, die auf Schattenwegen unterwegs sein wollte, war erstaunlich groß, trotz eines alles andere als einladenden Wetters. Gut 30 Interessierte versammelten sich am Alten Rathaus, um gemeinsam loszuziehen. Zum Wind kam schon nach wenigen Minuten, fast wie zu Halloween bestellt, ein teilweise heftiger Regen dazu.
Die Gästeführerin blieb von den widrigen Umständen unbeeindruckt. Barbara Gärtner, so stellte sie sich vor, hat schließlich schon weit Schlimmeres durchgemacht: Sieben Ehen etwa. Als siebenfache Witwe sei sie vom Lorscher Bürgermeister über den Polizeidiener beauftragt worden, den Tourteilnehmern nun etwas über den Tod zu erzählen, berichtete die von Kopf bis Fuß in elegantes Schwarz gekleidete Lorscherin.
Der Sensenmann liebt Riwwelkuchen
Kein Problem für die resolute Dame, die ihre Gruppe mit einer Laterne in der schwarz-behandschuhten Hand durch die Düsternis zu führen bereit war. Gevatter Tod kenne sie doch inzwischen bestens, verriet sie augenzwinkernd. Bei jeder Abholung eines ihrer Ehegatten habe sie den Sensenmann in ihrer Küche nämlich zu Riwwelkuchen und Likörchen eingeladen. So angetan zeigte sich dieser dann von Gärtners hausfraulicher Kunst, dass er versprach, sie nicht mitzunehmen, solange sie noch so gut backe und den Kuchen mit ihm teile.
Kenntnisreich klärte sie die Zuhörer darüber auf, dass die Halloween-Bräuche nicht aus den USA stammen, sondern irisch-keltischen Ursprungs sind. Der Beginn der dunklen Jahreszeit, Samhain genannt, galt zugleich als Datum, an dem sich das Reich der Toten ein Stück weit öffnet. Verstorbene könnten in dieser Nacht zurückkehren und diejenigen besuchen, die als Nächste mitkommen müssten. Um die Toten davon abzuhalten, wurden Feuer entzündet, verkleidete man sich, um von ihnen nicht erkannt zu werden oder stellte Speisen vor die Tür, um sie zu besänftigen.
Aus der Bezeichnung „All Hallows Eve“ für den Abend vor Allerheiligen entstand schließlich „Halloween“. In den USA entwickelte es sich erst zum Brauch durch Iren, die im 19. Jahrhundert einwanderten.
Begleitet von Blätterrascheln ging es vom Alten Rathaus zur katholischen Kirche. Im Gotteshaus wurde gerade Allerheiligen gefeiert. Für Gärtner ein Grund – leise, um die Messe nicht zu stören – über Heilige zu referieren. Früher dauerte es oft Jahrhunderte, bis es zu einer Heiligsprechung kam, erinnerte sie etwa an Hildegard von Bingen, die 800 Jahre darauf warten musste. 2025 wurde dagegen ein junger Italiener, Carlo Acutis, bereits keine 20 Jahre nach seinem Tod vom Papst zum Heiligen erklärt.
Begegnungen mit Freund Hein, Schnitter Tod beziehungsweise dem Boandlkramer waren früher alltäglicher. Auch die Kinder, die einst das Alte Schulhaus besuchten – die Klassen waren doppelt so groß wie heute üblich –, blieben davon nicht ausgenommen, führte ihr Schulweg doch am früheren Friedhof vorbei.
Die Ehe mit einem Toten zu schließen, ist andernorts erlaubt
Am Partnerschaftsbrunnen, der die Städtefreundschaft unter anderem mit Le Coteau thematisiert, berichtete die Gästeführerin, dass man in Frankreich auch Ehen mit Toten schließen kann. Erlaubt wurden posthume Ehen nach dem Ersten Weltkrieg. Eine schwangere Frau, deren Verlobter gefallen war, konnte sich dank dieser Regelung zumindest eine gewisse rechtliche und finanzielle Unterstützung sichern. Auch heute sind posthume Ehen noch legal, das Genehmigungsverfahren ist allerdings nicht einfach.
Weiter ging es zum Stadthaus, das früher als Amtsgericht diente, und in dem auch das Standesamt untergebracht ist, in dem sich Gärtner sieben Mal mit einem Mann verheiraten ließ. Die Trauerregeln in Hessen seien einst streng gewesen. Wenn ein naher Angehöriger starb – der Ehemann, ein Elternteil oder ein Kind – hatten vor allem die Frauen mindestens ein Jahr lang, meist aber länger, schwarze Kleidung zu tragen. Mit Geldstrafen mussten diejenigen rechnen, die sich nicht daran hielten. Für Männer seien die Regeln deutlich weniger streng gewesen, erfuhren die Zuhörer.
Zur Aufheiterung schenkte die Gästeführerin bei der Stadthaus-Station gratis Likör aus. Auch eine alkoholfreie Variante wurde angeboten. „Wir trinken nicht auf den Tod, sondern auf das Leben, solange es noch in den Gläsern glitzert“, erläuterte Gärtner. Der Johannisbeer-Likör von der Mosel schmeckte vorzüglich und stärkte für den Rest des Schattenwegs.
Das Fenster öffnen, damit die Seele leichter zum Himmel findet
Vorbei ging es an der Bäckerei in der Römerstraße, die kürzlich ihr 300-jähriges Bestehen feierte. Für Gärtner war das ein Anlass, um über den Brauch des Leichenschmauses und das Seelenbrot zu informieren – Traditionen, die Trost spenden und helfen, mit der Trauer zurechtzukommen. Erhalten hat sich bis heute auch der Brauch, im Sterbezimmer das Fenster zu öffnen, damit die Seele des Toten leichter den Weg in den Himmel findet.
Am Alten Rathaus endeten die Schattenwege und für die Gästeführerin Heike Gärtner-Deinl und ihre famos gespielte Rolle als Barbara Gärtner gab es viel Applaus. Salz über die Schulter werfen soll übrigens auch gegen schlechte Laune helfen, hieß es zum Abschied – allerdings nur, wenn man es über die linke Schulter wirft.
Eine weitere Sonderführung, angeboten über die Tourist-Info Nibelungenland in Lorsch, ist für den 6. Dezember vorgesehen. Dann geht es um Weihnachtsbräuche.
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