Lorsch. Der fünfte Lorscher Abt geht an einen Kabarettisten, der es wie wenige seiner Zunft schafft, Szenen des politischen Alltags geistreich und schlagfertig ins Publikum zu schlenzen: Thomas Schreckenberger hat im Theater Sapperlot sowohl das Publikum wie auch die Jury überzeugt. Der Wahl-Schwabe und Ex-Realschullehrer ist schnell, treffsicher, kreativ – und ein ebenso wortgewandter wie wandlungsfähiger Kommentator seiner Zeit.
Es war eine hautenge Entscheidung am Dienstagabend in der ausverkauften Theaterscheune. Die vier Finalisten waren alle glänzend in Form und jeder für sich ein Vorzeigekünstler seiner jeweiligen Nische. Ein direkter Vergleich verbot sich im Grunde ebenso wie ein striktes Ranking der nominierten Kandidaten. Entsprechend lange hatte sich die Jury um ein Urteil gebalgt. Verbal und knallhart demokratisch, versteht sich.
Nach intensiven Verhandlungen hatte am Ende Schreckenberger die Nase vorn. Knapp vor Marcus Jeroch, Thomas Fröschle und Elke Winter. Auch die Zuschauer votierten mehrheitlich für den Kabarettisten, der im Kultursalon im März mit Ausschnitten aus seinem Programm „Ene, mene, muh – wem traust du?“ begeistert hatte.
Neue Rolle für Angela Merkel
„Pointiertes Kabarett ohne Angst vor Kalauern“, so das Urteil der Jury. Auch Schreckenbergers „Polit-Inszenierung mit dem kompletten Berliner Ensemble“ stach aus dem kabarettistischen Einheitsbrei wohltuend heraus: Frech und dramaturgisch gekonnt schickte er Angela Merkel und Horst Seehofer als „Romeo und Julia“ auf die Bühne. In weiteren Glanzrollen Winfried Kretschmann, Günther Oettinger sowie Ursula von der Leyen als Rosalind und Edmund Stoiber als stammelnder Mercutio. Ein flottes Dramolett frei nach Shakespeare, das im Sapperlot mit viel Applaus kommentiert wurde.
Der gebürtige Heidelberger spielt schon seit geraumer Zeit in der ersten Liga der Kabarettisten. In Lorsch bewies er als erster Künstler des Abends (die Reihenfolge wurde ausgelost), dass er keine automatisierte Witzmaschine, sondern ein präziser und rhetorisch gewiefter Beobachter politisch-gesellschaftlicher Zeiterscheinungen ist.
Bei der GroKo in Berlin etwa komme man sich vor, als ob bei einer Bergtour „ein Blinder führt, ein Einarmiger für die Sicherung verantwortlich ist und ein Legastheniker die Wegbeschreibung macht“. Die Auswirkungen von Glyphosat seien bei „Bauer sucht Frau“ eindeutig nachweisbar – und noch viel schlimmer als der Terror sei die Vorstellung, dass Erdogan alle Dönerbudenbesitzer aus Berlin abziehen würde, denn dann müsste man die Stadt wieder aus der Luft versorgen. „Aber wo sollen die Flugzeuge landen?“
Sprachliche Purzelbäume
Auch Marcus Jeroch ist eine Größe der Szene. Er servierte Ausschnitte aus einem Solo-Varieté „Seh Quenzen“: sprachliche Purzelbäume, philosophische Kunstgriffe und virtuose Wort-Collagen von verbaler Schönheit und taktischer Komplexität. Im Feld der Finalisten war Jeroch wahrscheinlich der geschliffenste Solitär seiner Sparte. Er klaut seinen Sätzen wertvolle Konsonanten, bis sie zu exotischen Klangketten verschwimmen, aber trotz Lautlöcher verständlich bleiben. Mit kindlicher Entdeckerlust zerfetzt Jeroch Sprache und ganze Assoziationsketten.
Auch körperlich tendiert der Hamburger Clown, Jongleur und Kabarettist zur kraftvollen Visualisierung. Albernheiten und Geistesblitze auf Augenhöhe, wenngleich – so die Jury – es dem Auftritt an einer dramaturgischen Klammer gemangelt habe. In Lorsch zitierte er unter anderem aus einem von ihm herausgegebenen Buch mit Texten von Friedhelm Kändler.
Thomas Fröschle kann eigentlich alles: Comedy, Zauberkunst, Kabarett und Improvisation. In Lorsch hat der Universal-Entertainer eine hinreißend kurzweilige Collage aus allem inszeniert. Köstlich, wie der „Geräuschesammler“ virtuos mit Klängen spielt und beim rein verbalen Soundcheck eine ganze Band erscheinen lässt. Umwerfend seine akustische Illusion einer Drive-in-Situation am Fast-Food-Schalter.
Intelligentes Spiel mit Klischees
Und auch Elke Winter reißt der Travestiekunst den engen Fummel des Genres herunter. Mit frivolen Premium-Zoten, musikalischen Showeinlagen und einer geballten Dosis Improvisation eroberte sie sich das Publikum im Lorscher Sapperlot: „Schön Mitklatschen, sonst nimmt euch die Evolution die Arme wieder ab!“ Seit 2006 ist Winter Stammgast in der Hamburger „Schmidt Mitternachtsshow“, seit 2008 gehört sie zum festen Stamm. In Lorsch glitzerte sie nicht nur optisch. Ihr schlüpfrig-intelligentes Spiel mit Klischees war das Sahnehäubchen des Abends.
Dem eigentlichen Finale vorgeschaltet war ein Auftritt von Luca Brosius, der im Rahmen des Abts erstmals als bester Newcomer des Jahres ausgezeichnet wurde. Der 25-Jährige Saarländer aus Blieskastel hat eine großzügige Projektionsfläche für mimische Darstellungskunst, die bisweilen ein wenig an Mr. Bean erinnert. Mit einer stummen Charakterisierung verschiedener Tanz-Typen und Parodien von Cem Özdemir, Jogi Löw und Reiner Calmund sorgte er für eine schöne Ouvertüre.
Das musikalische Intermezzo kam von Nosie Katzmann, der in den 90er Jahren als Musikproduzent von Projekten wie Culture Beat oder Captain Hollywood Project erfolgreich war. In Lorsch war er unplugged zu hören. Moderiert wurde die Gala von Piano-Entertainer Daniel Helfrich, der den Kultursalon seit zehn Jahren koordiniert und für die Auswahl der Künstler verantwortlich ist. tr
Wettbewerb bereichert Kulturszene
Der Kleinkunst-Wettbewerb Lorscher Abt wird seit 2014 jährlich ausgelobt. Bisherige Preisträger sind Martin Zingsheim, Alix Dudel, Armin Fischer und Norbert Bürger als „Bürger from the Hell“. Die Finalisten werden aus den Teilnehmern der Reihe Kultursalon ausgewählt.
Kooperationspartner sind der Freundeskreis Sappalostra und die Volksbank Darmstadt-Südhessen. Auch die Stadt Lorsch gehört zu den Sponsoren. Bürgermeister Christian Schönung lobte das Theater als kulturelle Institution der Stadt.
Die Skulptur für den Sieger wird vom Lorscher Metallbildhauer Jürgen Heinz gestaltet: ein aus Stahl gebogener Zylinder als stilisierter Abt.
Der Sieg ist mit einem Preisgeld von 1000 Euro sowie mit Auftritten in Lorsch und in der Hemsbacher Kulturbühne Max verbunden. Die weiteren Plätze sind mit 800, 600 und 400 Euro dotiert. Der Publikumspreis ist mit 500 Euro verbunden.
Schirmherr war erneut Landrat Christian Engelhardt. Er kommentierte den Abt als Bereicherung der Kulturszene: „Der wichtigste Kleinkunstpreis Deutschlands.“
Jurymitglieder waren Christian Matje (HR 1 und HR4), Vorjahrespreisträger Norbert Bürger (Bürger from the hell, Münchner Lach- und Schießgesellschaft), Lorschs Kulturamtsleiterin Gabi Dewald, Bürgermeister Jürgen Kirchner aus Hemsbach (Kulturbühne Max) und Thomas Tritsch (Journalist). tr
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