Junge Leute glauben es kaum: Die Zeit, als Frauen hierzulande in zahlreichen Bereichen des öffentlichen Lebens keine Rechte hatten, liegt noch nicht lange zurück. Ihre Großmütter zum Beispiel durften bis 1962 noch nicht einmal ein eigenes Konto eröffnen und bis in die 1970er Jahre war es ihnen nicht erlaubt, größere Anschaffungen zu tätigen. Auf die Errungenschaften auf dem langwierigen Weg zur Gleichberechtigung blickte jetzt die Lorscher Frauen Union (FU) zurück. Anlass war ihr 50-jähriges Bestehen.
Dass das Ziel noch nicht erreicht sei, machten mehrere Redner im sehr gut besuchten Paul-Schnitzer-Saal deutlich. Rechtliche Gleichstellung dürfe nicht nur auf dem Papier stehen, sondern müsse auch gelebt werden, erklärte etwa Kerstin Grabelus, Vorsitzende der Lorscher Frauen Union in ihrer Begrüßungsrede. Die Festansprache hielt anschließend Diana Stolz, die hessische Familienministerin.
Beruflich wird zurückgesteckt
Stolz, auch FU-Landesvorsitzende und als frühere Erste Kreisbeigeordnete vielen Bergsträßern gut bekannt, erinnerte an Meilensteine der Emanzipation: Das Wahlrecht für Frauen gibt es zwar immerhin seit 1918. Bis 1977 aber durften Frauen nur dann berufstätig sein, wenn das ihre Pflichten in Ehe und Familie nicht gefährdete, referierte Stolz. Oft dauere es noch Jahre, bis ein erkämpftes Recht auch als selbstverständlich angesehen und allgemein umgesetzt werde. Trotz des Rechts auf gleiche Bezahlung etwa lasse sich noch immer ein Lohnunterschied dokumentieren. Die Eheschließung führe bislang auch weiterhin dazu, dass das Einkommen von Frauen sinke, zitierte die Ministerin eine aktuelle Studie des Ifo-Instituts. Grund ist oft, dass sie beruflich zurückstecken.
Die Frau, die nicht gewählt wurde
Stolz erinnerte daran, dass auch in ihrer Karriere nicht alles glatt lief. 2014 scheiterte ihr erster Versuch, Erste Kreisbeigeordnete zu werden. Im Supermarkt sei sie damals angesprochen worden mit Worten wie „Sie sind doch die Frau, die nicht gewählt wurde“, berichtete sie und sie habe überlegt, ob sie weitermachen solle. Nicht zuletzt die Unterstützung anderer Frauen – aber auch von Männern – habe sie gestärkt. „Nur starke Männer ertragen starke Frauen“, sagte Stolz unter dem Applaus der Zuhörer. „Geben Sie sich einen Ruck und kandidieren Sie“, appellierte sie an Frauen mit Blick auf die Kommunalwahl 2026.
Aktuell beschäftigten sie zwei Themen besonders: Ein rückständiges Frauenbild, das auf sozialen Kanälen wie etwa Tiktok verbreitet werde und Frauen zurück an den Herd bringen wolle sowie das Thema Sicherheit. „Das treibt mich sehr um“, sagte Stolz und informierte unter anderem über die Initiative „Fußfessel für Frauenschläger“. Frauen müssten sich selbstverständlich frei bewegen können.
Frauen hätten „ein anderes Sicherheitsbedürfnis als Männer“, unterstrich die Ministerin. Sie berichtete von einer Fahrt mit der Regionalbahn nach Frankfurt. Diese sei so unangenehm gewesen, dass sie am Ziel ihren Ehemann angerufen und ihn gebeten habe, sie abzuholen. Sie habe nicht mit der Bahn zurückfahren wollen. Mit diesem Zustand wolle sie sich aber nicht abfinden, so die 48-Jährige, die auch für diese Aussage zustimmenden Beifall erhielt.
Auch er fühle sich im Zug nicht zu jeder Zeit wohl, bekannte Christian Engelhardt in seiner Rede. Der Landrat rief gleichfalls dazu auf, dass Frauen sich „mit Verve“ einbringen sollten. Es sei zudem wissenschaftlich erwiesen, dass gemischtgeschlechtliche Teams die besten Teams seien.
Lorscher seien Frauen in Führungsrollen gewohnt, meinte Bürgermeister Christian Schönung und verwies darauf, dass sowohl das Amt als Stadtverordnetenvorsteher als auch das als Erster Stadtrat derzeit von Frauen wahrgenommen werden. Im 37 Sitze umfassenden Lorscher Stadtparlament sind momentan allerdings nur zwölf Frauen aktiv, im Magistrat nur eine Frau.
Königin Silvia eingeladen
Ehrenbürgermeister Klaus Jäger, der die Glückwünsche der Lorscher Vereine zum FU-Jubiläum überbrachte, erinnerte in seiner Rede an die 2024 verstorbene Helga Rhein, eine der prägendsten Vorsitzenden der Lorscher Frauen Union. Rhein habe ihm in seiner Amtszeit vorgeschlagen, Königin Silvia nach Lorsch einzuladen. Gekrönte Häupter sind in der Geschichte der Karolingerstadt schließlich nicht außergewöhnlich, hatte die resolute FU-Vorsitzende argumentiert. Dass der Besuch der schwedischen Monarchin nicht zustande kam, habe letztlich nur an deren zu engen Zeitbudget gelegen. Die Lorscher FU sei kein klassischer Verein , aber eine „wichtige Institution“, so Jäger.
Von dem unermüdlichen Engagement und der Leidenschaft, mit dem sich die Lorscher Ehrenstadträtin Rhein viele Jahre lang für die Frauen Union einsetzte, berichtete auch Landtagsabgeordnete Birgit Heitland in ihrer Ansprache. Stadtverordnetenvorsteherin Christiane Ludwig-Paul erinnerte an weitere Lorscher FU-Vorsitzende wie etwa Ehrenvorsitzende Hanne Glab, die Gründungsvorsitzende Anita Dewald sowie Elke Lamla, Kirsten Morgenstern und Ursula Bayerlein. Helga Rhein habe herausragende Studienfahrten organisiert sowie einen wegweisenden Antrag auf Anerkennung von Pflegezeiten in der Rente auf den Weg gebracht, fügte sie an.
Schon als Kind ein Teil der FU
Als „Teil der Lorscher Frauen Union“ bezeichnete sich Petra Jackstein in ihrer Rede. Denn sie ist nicht nur Kreisvorsitzende der FU Bergstraße, sondern war schon von Kindesbeinen an eng mit der Frauen Union verbunden: Jackstein ist Tochter von Helga Rhein. Frauen hätten für wichtige Impulse in Lorsch gesorgt.
Zum Jubiläum der Frauenvereinigung der CDU gratulierte persönlich auch der Lorscher Stadtverbandsvorsitzende der Christdemokraten, Julius Gallei. Ebenso wünschte der CDU-Fraktionsvorsitzende Ferdinand Koob den Frauen weiterhin alles Gute. FU-Vorsitzende Grabelus forderte, Frauen-Themen dürften „nicht nur als Randnotiz behandelt werden“.
Musikalisch umrahmt wurde die Festveranstaltung von Emma und Eva Jakob. Stärken konnten sich die zahlreichen Gäste beim Jubiläum an einem üppigen Frühstücksbüfett.
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