Lorsch. Kaum haben Kunden einen Laden verlassen, reißen sie sich oft sofort die Maske vom Gesicht und stöhnen befreit auf: Endlich wieder frei atmen. Das kann man derzeit täglich beobachten. Wenn es nach vergleichsweise kurzen Einkaufszeiten schon so unangenehm ist, maskiert zu sein, wie muss es dann erst Menschen gehen, die den Mund-Nasen-Schutz jeden Tag viele Stunden lang tragen müssen? Während manche Berufsgruppen, Klinikpersonal etwa, für vorbildliches Verhalten in der schwierigen Zeit wenigstens wie Helden gefeiert wurden, wird an andere dagegen vergleichsweise wenig gedacht: an Schüler etwa. Eine Mutter aus Lorsch meldet sich dazu jetzt zu Wort.
Beteiligung am Unterricht sinkt
Stephanie Walter ist beruflich als freie Trauerrednerin tätig. Die 37-Jährige ist geübt im Texten und Formulieren. Ein Schreiben ans Kultusministerium hat sie dennoch noch nie verfasst. Nun aber hat die engagierte Lorscherin einen offenen Brief nach Wiesbaden geschickt, adressiert an den Kultusminister Alexander Lorz persönlich.
Die zweifache Mutter schildert darin den hohen schulischen Leistungsdruck während der Corona-Krise für ihren 13 Jahre alten Sohn – und sie möchte entsprechende Konsequenzen: das Aussetzen der Leistungsbewertung, das heißt, den Verzicht auf geplante Klassenarbeiten und das Halbjahreszeugnis.
Der Junge, der ein Bensheimer Gymnasium besucht, habe an Schultagen derzeit „genau sieben Stunden“ eine Maske vor Mund und Nase, berichtet seine Mutter. „Warm und feucht“ sei es dahinter, schreibt Walter an Lorz – und vor allem könne man mit Maske „einfach nicht so gut sprechen wie ohne“. Der Schüler beteilige sich schon deshalb weniger am Unterricht, weil es „einfach manchmal zu anstrengend“ sei und er „so schnell müde“ werde.
Bei Husten hat jeder Angst
In der Zeit bis zu den Herbstferien habe der Jugendliche zwei Mal unter „starkem Husten“ gelitten. Folge: „In der Schule wollten sie mich deshalb nicht haben“, zitiert Stephanie Walter ihren Sohn. Der Husten sei als störend empfunden worden und einige Kinder und Lehrer hätten „Angst“ gehabt, der Hustende könnte Corona haben. Drei Wochen lang habe ihr Sohn daraufhin Unterricht verpasst, obwohl er nach eigener Einschätzung „durchaus gesundheitlich in der Lage gewesen wäre, an diesem teilzunehmen“.
Die in der Schule vorgesehenen Arbeiten alle zu schreiben oder die Prüfungen umgehend nachzuholen, sei auch den Mitschülern nicht gelungen. Denn wegen steigender Corona-Fallzahlen hieß es plötzlich: „Alle müssen nach Hause“, erinnert Walter. Im Brief an Minister Lorz berichtet die Lorscher Familie davon, wie der Gymnasiast seinen Geburtstag mit „stundenlangem Warten vor der Corona-Teststation“ verbrachte und die Quarantäne erwartete.
Der Präsenzunterricht sei teilweise als Online-Unterricht weitergeführt worden. Diesem könne man manchmal „nicht so gut folgen, weil die Verbindung immer wieder abbricht“. Der 13-Jährige stellt zudem fest: „Alleine Lernen ist auch einfach nicht das Gleiche wie in der Schule.“
Die Bewältigung der Pandemie verlange vielen Menschen eine Menge ab, stimmt Stephanie Walter zu. Der Schule ihres Sohnes will sie keinerlei Vorwürfe machen, den Namen des Gymnasiums wie auch den ihres Sohnes will sie trotzdem nicht öffentlich genannt sehen.
Sie wolle mit ihrer Aktion verdeutlichen, was die Corona-Krise für die Kinder bedeute, betont sie – von der stundenlang zu ertragenden Maskenpflicht auf dem gesamten Schulgelände sowie im Bus auf der Hin- und Rückfahrt bis zum Sitzen im Klassenzimmer, das in einem mehr als stündlichen Rhythmus regelmäßig zu lüften ist. „Eisekalt“, meint die Mutter, die von „permanent offenen Fenstern“ gehört hat und sich eine gute Lernatmosphäre unter diesen Bedingungen nicht vorstellen kann.
„Die Kinder haben keine Lobby“
Die betroffenen Kinder hätten „keine Lobby“, ärgert sie sich: „Mit den Kindern wird gemacht, was geht.“ In der Grundschule, so Walter, die auch eine neunjährige Tochter hat, könne der Unterricht an die Situation angepasst werden, der „Leistungsdruck“ sei „nicht so enorm“. Im Gymnasium allerdings werde der Stoff einfach „durchgezogen“.
An den Elternbeirat zum Beispiel hat sich Walter nicht gewendet, sagt sie auf Nachfrage. Sie sehe ihre Aufgabe in dieser Situation darin, als „Sprachrohr“ für ihre Kinder zu fungieren. Sie habe Verständnis für die Ausnahmesituation, wolle aber erreichen, dass Sorge und Nöte der Kinder ernst genommen werden.
„Ich bin nicht gegen alles“, stellt die Lorscherin klar. Wenn aber keiner den Mund aufmache, könnte der Eindruck entstehen, dass alle mit allem einverstanden seien. Statt nur hinter vorgehaltener Hand zu meckern, habe sie sich deshalb für den offenen Brief entschieden.
„Homeschooling, Präsenzunterricht, längere Krankheitszeiten, Quarantäne und Co. fordern von unseren Kindern einiges ab. Dabei sollen sie dennoch konstante Leistungen bringen, denn am Ende dieses Halbjahres sollen schließlich gute Noten im Zeugnis stehen“, heißt es darin. Unter diesen Bedingungen könnten die Kinder aber nicht die gleiche Leistung bringen wie üblich. „Kinder sind keine Maschinen“, erinnert Walter. Wären sie Erwachsene, würden sie sich wehren. „Aber unsere Kinder hört in diesen Tagen niemand“, ist Walter sicher.
„Lassen Sie unsere Kinder lernen“, schreibt die Lorscherin, auch mit Maske sei das völlig in Ordnung, „aber nehmen Sie ihnen den Leistungsdruck“. Die Priorität sollte jetzt auf der Wissensvermittlung liegen, dem Festigen von Gelerntem und Nachholen von verpasstem Stoff. „Verzichten Sie auf Klassenarbeiten und das Halbjahreszeugnis wenigstens in der Sekundarstufe I“, appelliert Walter in einer „inständigen Bitte“. Die Kinder sollten keine Nachteile erleiden. „Geben Sie unseren Kindern eine faire Chance, sie werden es Ihnen danken“, schließt Walter – und hofft nun auf baldige Antwort aus Wiesbaden.
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