Starkregen

Lorsch investiert 20 Millionen Euro für Überflutungsschutz

Mitten im Wohngebiet entsteht derzeit für knapp vier Millionen Euro ein großes Regenrückhaltebecken unter einem ehemaligen Spielplatz

Von 
Nina Schmelzing
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Ein großes Regenrückhaltebecken entsteht derzeit mitten im Lorscher Wohngebiet an der Friedrich-Ebert-Straße. © Thomas Neu

Lorsch. Baustellen ziehen viele Menschen geradezu magisch an. In Lorsch gibt es momentan eine Adresse, bei der das in besonderem Maße der Fall ist. Groß ist die Zahl der interessierten Zaungäste, die in der Friedrich-Ebert-Straße gern die Fortschritte beobachten. Das kann man an der Baustelle erfahren. Zusätzlich kamen in den vergangenen Wochen auch Experten von auswärts, um sich vor Ort umzusehen und sich informieren zu lassen. Mitarbeiter von Ingenieurbüros zum Beispiel, berichtet Volker Knaup, Leiter des Fachbereichs Bauen und Umwelt der Stadt Lorsch.

Das Projekt, das in Lorsch realisiert wird, ist nämlich kein 0815-Projekt. Gebaut wird zwar „nur“ ein Regenrückhaltebecken und damit ein Zweckbau, der den bekannten Sehenswürdigkeiten nicht den Rang ablaufen wird. Ein Beispiel für Ingenieurskunst ist das Projekt aber gleichwohl, aus mehreren Gründen – und schon in wenigen Tagen werden es Passanten nicht mehr bewundern können. Das Bauwerk verschwindet nämlich komplett unter der Erde.

Besonders ist zum Beispiel, dass das Becken mitten in einem schon lange existierenden Wohngebiet entsteht. Das ist selten, denn üblicherweise ist in dicht besiedelten Vierteln kein Platz für eine Großbaustelle und es muss an den Stadtrand ausgewichen werden. Es gibt in der Region keinen vergleichbaren Fall für einen Bau im Altbestand, heißt es aus dem Stadthaus nicht ohne Stolz.

In Lorsch hatte man das Glück, eine Freifläche nutzen zu können. An der Ecke Friedrich-Ebert- und Kettelerstraße befand sich zuvor ein Kinderspielplatz. Die Spielgeräte wurden entfernt, die Bäume gefällt – und dann begann man mit dem Bau des Beckens, der sehr exakt vonstatten gehen musste. Die wesentlichen Vorplanungen erarbeitete der Leiter der Lorscher Abwasserreinigungsanlage, Andreas Stolz. Der Ingenieur erhielt nicht allein von Bürgermeister Christian Schönung mehrfach Lob dafür, sein umfassendes Fachwissen engagiert einzubringen.

Wie ein Puzzle aus Teilen, die 90 Tonnen schwer sind

Denn wie die Umsetzung erfolgt, ist gleichfalls besonders – zumindest derzeit noch. Das Lorscher Rückhaltebecken entsteht unter der Erde aus Fertigbetonteilen. Das ist längst noch nicht selbstverständlich, denn es erfordert strikte Präzision. An der Baustelle noch ein bisschen nachjustieren, ist kaum möglich, wenn die riesigen und tonnenschweren Einzelteile schon fertiggestellt angeliefert werden. Wie gigantische Puzzleteile müssen die meterhohen und zum Teil 90 Tonnen schweren Betonteile so produziert sein, dass sie problemlos einzupassen sind.

Im Tandemhub mit Hilfe von zwei großen Kränen – ein 700-Tonner ist unter anderem im Einsatz –, deren Kranführer sich genau abgestimmt zuarbeiten müssen, wurde die Mehrzahl der insgesamt 80 Teile eingepasst, die über die A6 angefahren kamen. Eine Zeitlang steckte ein Schwersttransport auf der Autobahn im Stau fest, bevor seine Ladung auf der Baustelle flugs eingefügt werden konnte. Trotzdem liegt der Bau im Zeitplan.

Lorsch als Beispiel auch für andere Kommunen

Weil die Vorteile der Fertigbetonweise nach Überzeugung der Befürworter deutlich überwiegen – sie ist günstiger, schneller und für die Anlieger mit viel weniger Belastungen verbunden – werde diese Bauweise künftig stark zunehmen, sind sich Fachleute sicher. Lorsch sei innovativ vorangegangen und könne „beispielgebend für andere Kommunen sein“, meinte beim Baustellentermin in dieser Woche Bürgermeister Schönung in seiner Ansprache.

Verantwortliche der am Bau beteiligten Unternehmen erinnerten jetzt auch an die Leistung der Taucher, die gleichfalls Präzisionsarbeit abliefern mussten. Sie arbeiteten unter Wasser, weitgehend im Dunkeln und bei oft kühlen Temperaturen von zehn Grad. Die Trupps, ausgerüstet mit Taucherglocke, durften jeweils nur wenige Stunden am Stück betonierend tätig sein, Hautkontakt mit dem Beton ist zudem aus gesundheitlichen Gründen unbedingt zu vermeiden. Sie mussten auf der Baustelle unter dem Grundwasserspiegel arbeiten. Bis zu zwölf Meter reicht das Bauwerk in die Tiefe.

Und warum wird überhaupt der Aufwand betrieben und werden mehrere Millionen Euro in das Bauprojekt investiert? Die Kanäle sind in diesen und angrenzenden Wohnstraßen bei Starkregen an ihre Kapazitätsgrenzen gelangt, die Wohnbebauung wird in den kommenden Jahren dichter. „Agieren statt reagieren“, lautete daher die Devise. Man wolle vorbeugend das Bestmögliche tun, nicht warten, bis vielleicht bei zunehmenden Starkregen-Fällen durch den Klimawandel Straßen unter Wasser stehen, Keller vollaufen, große Schäden entstehen.

Das neue Regenrückhaltebecken wird verhindern, dass es in dem zentral liegenden Wohngebiet zu Überflutungen kommt, wenn besonders viel Regen fällt. Wasser, das die Kanäle nicht aufnehmen können, wird zwischengespeichert. Aber nicht allein die 600 Haushalte dort werden von dem Neubau profitieren, sondern Gesamt-Lorsch. Denn der Neubau in der Friedrich-Ebert-Straße ist nur ein Mosaikstein im umfassenden Maßnahmepaket zum Hochwasserschutz.

Mehrere Millionenprojekte

In der Lagerhausstraße wurde bereits das Pumpwerk saniert und teilweise neu gebaut. 7,5 Millionen Euro kostete das. Außerdem wurde in der Dieterswiese das Regenüberlaufbecken für 1,2 Millionen Euro verbessert und es wurde – für 5,9 Millionen Euro – in ein neues Zulaufhebewerk für die Kläranlage investiert. Neue Pumpen, sanierte Schnecken für das Heben des Abwassers sowie eine Feinrechenanlage gehören zur Ausstattung. Dazu kam noch ein Regenfangbecken für 1,2 Millionen Euro.

Günstig ist der Hochwasserschutz allerdings nicht zu haben. Die Kosten für das jetzt im Bau befindliche Rückhaltebecken waren anfangs auf 2,7 Millionen Euro beziffert worden. Im November vorigen Jahres war dann von notwendigen 3,55 Millionen Euro die Rede. Bein Termin am Dienstag auf der Baustelle sprach Bürgermeister Schönung von rund vier Millionen Euro.

Für das kommende Jahr wird noch eine kleinere Maßnahme, das Auslassbauwerk der Kläranlage dazukommen. 700.000 Euro soll das kosten. „Gigantisch“ bezeichnete Schönung die Gesamtsumme von dann rund 20 Millionen Euro.

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Zu den beauftragten Unternehmen, die in Lorsch am Werk sind, gehört die Björnsen Beratende Ingenieure GmbH, die auf Wasserwirtschaft spezialisiert ist. Tätig sind auch die „Diringer und Scheidel GmbH und Co. KG“ sowie die „Fuchs Fertigteilwerke Süd GmbH“. Die Vertreter der Firmen berichten von 4.000 Kubikmeter Aushub, der auf der Baustelle anfiel und zum Teil wieder verfüllt wird. 1.300 Quadratmeter Stahl stecken in der Baugrube, rund 2.300 Tonnen an Betonfertigteilen wurden verbaut. Die vorgebohrten Spundwände haben eine Länge von zum Teil 13 Metern. Das Becken kann bis zu 1.350 Kubikmeter Regenwasser aufnehmen.

Anfang nächster Woche bereits soll die Baustelle wieder verfüllt sein. Der große Kran wird zu irgendeiner Baustelle in einer anderen Stadt rollen, vom Bauwerk in Lorsch wird man schon in ein paar Tagen nichts mehr sehen. Von den Anwohnern habe es keine Beschwerden gegeben, der Betrieb sei reibungslos gelaufen, lobten Bürgermeister Schönung und Bauamtsleiter Knaup.

2027 soll ein neuer Kinderspielplatz gebaut werden

Dass über dem Becken der Baustelle, die gut 25 mal 25 Meter misst, wieder ein neuer Spielplatz gebaut wird, wurde schon vor Beginn der Bauarbeiten versprochen. Die künftige Ausstattung dafür steht noch nicht fest. 2027 aber soll es soweit sein.

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