Lorsch. In der öffentlichen Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses waren am Dienstagabend auch die Verkehrszählungen in der Kriemhildenstraße ein Thema. Als zentrale Hauptverkehrsachse zählt sie zu den viel befahrenen Straßen in Lorsch. Um die Situation sachlich bewerten zu können, wurden von der Stadt zu zwei verschiedenen Zeitpunkten automatisierte wie auch manuelle Erhebungen durchgeführt. Die Termine lagen im Dezember 2024 und im April 2025.
Im Gesamtfazit fehlt die Zahl
Im „Gesamtfazit“ der Analyse, von Seiten der Stadt unter anderem als Unterlagenmaterial für die Kommunalpolitiker zur Verfügung gestellt, ist zu lesen, dass „die Verkehrsmenge mit durchschnittlich 18.000 bis 20.000 Fahrzeugen pro Woche unter dem Niveau vergleichbarer Straßen im Stadtgebiet“ liege. Die Zahl 20.000 fiel anschließend auch in allen Redebeiträgen der Kommunalpolitiker, die sich zur Kriemhildenstraße in der Sitzung zu Wort meldeten. Sie ist aber so nicht richtig, stellt sich nun heraus. Es fehlt jedenfalls ein Zusatz, der im „Gesamtfazit“ der Verwaltung nicht aufgeführt ist, aber entscheidend ist.
Es handelt sich bei den rund 20.000 Fahrzeugen jedenfalls lediglich um den Verkehr, der in einer Richtung gemessen wurde. Addiert man eigenhändig die Verkehrszahlen, die in Richtung Nord und Richtung Süd im Unterlagenmaterial einzeln, aber nur in einer Tabelle und Diagrammen aufgeführt sind, kommt man jedenfalls zu einer doppelt so hohen Fahrzeugzahl, die jede Woche unterwegs ist. Darauf hat jetzt eine aufmerksame Anliegerin hingewiesen, die sich die Mühe gemacht hat, Angaben aus mitgelieferten Diagrammen genau nachzurechnen.
Umgerechnet ergebe das eine Zahl von eine Million Fahrzeuge im Jahr
Es handle sich um „mehr als 40.000 Fahrzeuge pro Woche“, so die Leserin, die mutmaßt, in Lorsch mangele es „offensichtlich“ am Interesse, sich um die „berechtigten Belange der stark beeinträchtigten Wohngebiete zu kümmern“. Eine weitere Lorscherin, die einst die Interessengemeinschaft Verkehrsberuhigung Kriemhildenstraße mitgründete, nannte die Zahl von 20.000 gestern auf Nachfrage gleichfalls falsch. Ein weiterer Anlieger kritisiert den zweiten Zähltermin als sowieso „unglücklich“, denn dieser lag in der ruhigeren Ferienzeit.
Zur Hauptausschuss-Sitzung hatten sich, abgesehen von einer einzigen Zuhörerin, keine Lorscher Anlieger eingefunden. Die Vertreter der verschiedenen Fraktionen, die zur Thematik Stellung bezogen, stellten jedoch auch selbst explizit fest, dass die Verkehrsbelastung in Lorsch durchaus ein Problem darstellt.
Bei 20.000 Autos pro Woche seien das umgerechnet immerhin etwa eine Million Fahrzeuge im Jahr, gab Thomas Haßlöcher (CDU) zu bedenken. Das sei eine große Zahl für eine Stadt mit 14.000 Einwohnern. Viele Bürger litten schon lange unter der Situation und seien frustriert. Auf keinen Fall sollten in Lorsch daher auch „blind neue Wohngebiete“ ausgewiesen werden, warnte er.
„Wir müssen uns Gedanken machen, damit es nicht noch schlimmer wird“, erklärte Dirk Sander (SPD). Lorsch habe nur wenige große Straßen, komplett lösen lasse sich das Verkehrsproblem wohl leider nicht. Jeder solle sich selbst an die Nase greifen, ob jede Autofahrt nötig sei, ergänzte Ausschuss-Vorsitzender Peter Velten.
20.000 Autos seien „enorm viel“, befand auch Christian Walter (PWL). Es sei unter anderem zu beraten, wie mehr Fahrradverkehr erzielt werden könnte. Walter wies darauf hin, dass es trotzdem auch gute Nachrichten gebe: er wertete die Tatsache, dass nur 3,2 Prozent der Fahrer bei Tempoüberschreitungen erwischt wurden als solche. Auch dass die Messung ergab, es handle sich bei den Großfahrzeugen in der Kriemhildenstraße vor allem um „zweckgebundenen Zielverkehr“, unterstrich er.
Lorsch ist eine Pendlerstadt
Jürgen Sonnabend (CDU) bedauerte, dass bislang keine Vergleichsuntersuchungen vorliegen. Es sei gut, dass es nun eine Auswertung gebe. Er regte an, alle zwei Jahre weitere Messungen durchzuführen. Lorsch sei „eine Pendlerstadt“, zeigte er auf. Dass viele Lorscher aber auch nicht ohne Weiteres auf den öffentlichen Personennahverkehr umsteigen können, fügte er an und berichtete von den Erfahrungen seiner studierenden Töchter. Öfter seien Züge stark verspätet oder fielen ganz aus. Eltern müssten dann doch immer wieder einmal einspringen.
Die Sorgen der Kriemhildenstraßen-Anwohner seien auf jeden Fall ernst zu nehmen, sagte Sonnabend. In Lorsch seien Ideen gefragt, wie Straßen für Radler sicherer werden, zudem sei an eine Nahversorgung auch für den wachsenden Lorscher Süden zu denken.
Im Haupt- und Finanzausschuss stand die Verkehrszählung nur als eine Kenntnisnahme auf der Tagesordnung. Weil man nun von anderen, höheren Zahlen ausgehen muss, ist damit zu rechnen, dass das Thema noch nicht abgehakt ist, sondern ein weiteres Mal diskutiert wird. Auch mancher Kommunalpolitiker ist schließlich verärgert darüber, dass der Eindruck entstehen könnte, man habe die höhere Zahl – von summierten 40.000 Fahrzeugen ist im Unterlagentext nirgendwo explizit die Rede – vielleicht unter den Tisch kehren wollen. Das sei nicht der Fall, heißt es von Gremiumsmitgliedern auf Nachfrage.
Dass die im städtischen „Gesamtfazit“ vermerkte Aussage falsch ist und auch die Angabe über die automatisierte Verkehrszählung fehlerhaft, in der es wörtlich heißt, die Zählungen zeigten, dass „in der Kriemhildenstraße innerhalb einer Woche zwischen 18.000 und 20.000 Fahrzeugen fahren“, sei ihnen aber leider erst am Tag nach der Sitzung aufgefallen, so Gremiumsmitglieder.
Fragte man gestern am Vormittag im Stadthaus nach, erhielt man zunächst ebenfalls die Antwort, dass die 20.000 richtig seien. Später aber erfolgte eine mündliche Korrektur. Auch bei den zu Vergleichen herangezogenen Verkehrsachsen Hirschstraße und Bahnhofstraße könnte es sich nun um nur in eine Richtung erhobene Zahlen handeln. Bürgermeister Christian Schönung erklärte auf Nachfrage gestern jedenfalls, in der vergleichenden Belastung ändere sich nichts.
Fehler und falsche Angaben sollen schriftlich korrigiert werden
CDU-Fraktionsvorsitzender Jürgen Sonnabend berichtete gestern auf BA-Nachfrage, er habe jetzt einen Brief an den Bürgermeister geschrieben, mit der Bitte die fehlerhaften Angaben im Unterlagenmaterial schriftlich zu korrigieren. Es fehle auch eine Skizze, wo genau die Geräte aufgestellt wurden. Das lasse „Interpretationsspielraum“ zu, es seien aber eindeutige Angaben nötig.
Gerade mit Blick auf die geplanten weiteren Wohngebiete und den damit verbundenen Einwohnerzuwachs – es könnten rund 500 Zuzügler im Gebiet Seehofstraße und rund 300 im Lagerfeld werden – sei der Autoverkehr sehr genau im Blick zu behalten. Dass er regelmäßige Verkehrszählungen für alle Hauptstraßen für sinnvoll hält, bekräftigte der CDU-Fraktionsvorsitzende.
Von Anliegern wird außerdem moniert, dass die Verkehrszählung in der Kriemhildenstraße in unmittelbarer Nähe des fest installierten Blitzgeräts erfolgt sei. An dieser Stelle drosselten fast alle Autofahrer ihr Tempo, dies sei zu berücksichtigen. Die Wahl dieses Standorts sei möglicherweise „ergebnisorientiert“ getroffen worden, kritisiert eine Lorscherin.
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