Lorsch. In der jüngsten Sitzung des Bau- und Umweltausschusses ging es unter anderem auch erneut um die geplante Bebauung des Lagerfelds-West. Auf dem derzeit landwirtschaftlich genutzten Gelände südwestlich von Kastanienallee und Lagerfeldstraße sollen ein größeres Wohngebiet sowie eine sechsgruppige Kindertagesstätte entstehen. Die Gremiumsmitglieder hatten jetzt über die Stellungnahmen zu beraten, die zum nördlichen Teilbereich eingegangen waren. Dort soll die Kita errichtet werden.
Gegen das Wohngebiet haben in der Vergangenheit vor allem Gewerbetreibende in der direkten Nachbarschaft Bedenken geäußert. Sie befürchten, dass das vorgesehene Nebeneinander zu unverträglichen Konflikten führen wird, denn bei den dort ansässigen Unternehmen handelt es sich unter anderem um produzierende Gewerbebetriebe, bei denen sich Lärm und Lkw-Verkehr auch zu frühmorgendlicher Zeit oder an Feiertagen nicht vermeiden lassen.
Die Kita wäre zwar dadurch im Gegensatz zum Wohngebiet nicht beeinträchtigt, schließlich hält sich dort frühmorgens und an Feiertagen sowieso niemand auf, weil sie dann nicht geöffnet ist. Manche Lorscher kritisieren allerdings nicht nur den mit den Bauplänen verbundenen Verlust des letzten Spargelackers, der eine hochwertige Fläche darstelle und nicht wie von den Befürwortern des Bauvorhabens dargestellt, als vernachlässigbare Monokultur abzutun sei. Sie sind zudem überzeugt, dass der Bau eines weiteren Kindergartens überhaupt nicht erforderlich ist.
Weniger Geburten, weniger Zuzüge erwartet
„Der Bedarf an zusätzlichen Kita-Plätzen ist stark anzuzweifeln“, wird in einer der schriftlichen Stellungnahmen jedenfalls eingewendet, über die zu beraten war. Es sei zum einen künftig ein geringerer Zuzug in Lorsch zu erwarten, zum anderen sei derzeit ein allgemeiner Trend zu weniger Geburten zu beobachten, wird in der Einwendung argumentiert.
Im Stadthaus spricht man allerdings von einem „aktuell dringenden Bedarf an Kita-Plätzen“, dem Rechnung zu tragen sei. In der Sitzung des Bau- und Umweltausschusses übernahm es Hauptamtsleiter Ralf Kleisinger auf Bitte des Ausschuss-Vorsitzenden Jürgen Sonnabend, genauer zu erläutern, wieso eine weitere Einrichtung unumgänglich sei. Er machte dabei zum Beispiel auf eine Diskrepanz zwischen der Zahl der ausgewiesenen vorhandenen Kita-Plätze und der tatsächlich belegbaren Plätze aufmerksam.
Insgesamt stünden auf dem Papier derzeit zwar knapp 630 Betreuungsplätze für Kinder über drei Jahren zur Verfügung. Genutzt werden können diese aber nicht immer in vollem Umfang. Eine Kindergartengruppe darf zwar rein rechnerisch in Hessen mit 25 Kindern belegt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen muss sie aber verkleinert werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn auch Kinder mit besonderem Bedarf dazugehören.
Wenn sogenannte Integrationskinder, auch kurz als I-Kinder bezeichnet, der Regelbetreuungsgruppe angehören, kann das Platzangebot nicht voll ausgenutzt werden. Denn Integrationskinder benötigen besonderen Förderbedarf. Es fallen dadurch dann mehrere reguläre Gruppenplätze weg.
Es kann sich bei I-Kindern um körperbehinderte Kinder oder um Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten oder emotionalen Problemen oder Entwicklungsstörungen handeln. Die Zahl der Eltern, die einen Antrag stellen, dass ihr Nachwuchs einen Status als I-Kind erhält, hat zuletzt zugenommen. Nicht nur in Lorsch, sondern allerorten werde ein erhöhter Bedarf vermerkt, der von Elternseite geltend gemacht wird, hieß es in der Bauausschuss-Sitzung.
Ein Träger einer Lorscher Kinderbetreuung habe derzeit sogar acht solcher Ansprüche vorliegen, die er zu berücksichtigen habe. Insgesamt schrumpfe die Zahl der belegbaren Kindergartenplätze dadurch momentan auf unter 590, erfuhren die Gremiumsmitglieder und Zuhörer der Sitzung.
Die Kommunen müssen aber immer ausreichend Plätze für alle vorhalten, auf alle Eventualitäten vorbereitet sein, denn auf Betreuung hat jedes Kind einen gesetzlichen Anspruch, erinnerte Ralf Kleisinger. Ein Rechtsanspruch auf Förderung in einer Kita oder einer Tagespflege existiert für jedes Kind sogar sobald es ein Jahr alt ist. Um diese Pflicht zu erfüllen, wurde im vorigen Jahr der vorerst letzte neue Kindergarten gebaut. Erstmals entstand in Lorsch mit der Einrichtung „Morgentau“ ein Kindergarten in rasch zu realisierender Modulbauweise, umgangssprachlich als Containerbauweise bezeichnet. In der Dieterswiese, zwischen dem Aldi-Discounter und der großen „Wiesenkinder“-Kita, wurde so schnell Platz für 50 Kinder geschaffen.
Bei dieser Übergangslösung darf es die Stadt aber nicht belassen. „Wir sind verpflichtet, fest zu bauen“, erinnerte Kleisinger. Bereits im nächsten Jahr laufe die Frist ab. Es sei also eine gewisse Eile beim Neubau geboten.
Sisyphus-Arbeit für die Verwaltung
Dass eine Belegungssteuerung nicht leicht ist, machte Kleisinger auch am Beispiel St. Nazarius deutlich. Der Kindergarten in katholischer Trägerschaft ist mit gut 100 Jahren der älteste in Lorsch. Dass die Einrichtung in der Stadtmitte saniert werden soll, ist nötig und beschlossene Sache. Niemand will aber natürlich, dass es in der Übergangszeit, in der die vier Gruppen möglicherweise aufgeteilt und zeitweise andernorts betreut werden müssen, zu Entlassungen kommt. Es seien daher gut durchdachte Übergangsregelungen zu erstellen. Insgesamt sei das Thema „eine Sisyphus-Arbeit für die Verwaltung“, zeigte Kleisinger auf.
Die Kinderbetreuungskosten, die von der Allgemeinheit aufzubringen sind, dürften künftig auch deshalb noch steigen, weil sich immer mehr Kita-Betreiber aus unterschiedlichen Gründen zurückziehen. Der Zuschussbedarf für die Kinderbetreuung – nicht allein für die Kindergartenkinder – hat in Lorsch längst die Marke von fünf Millionen Euro überschritten. Der städtische Zuschuss könnte weiter steigen, damit die Kinderbetreuung sichergestellt ist und alle Ansprüche erfüllt werden.
Die Platz-Statistik sei nur ein Anhaltspunkt, wesentliche Änderungen im Alltag, wie etwa die gesellschaftlichen rund um die I-Kinder, auf die inzwischen zu reagieren sei, würden dort nicht abgebildet, fasste Kleisinger zusammen. Weiterhin müsse die Stadt selbstverständlich auch stets auf Zuweisungen und Zuzüge vorbereitet sein.
Von den Einwendungen gegen den Kita-Bau zeigten sich die Mitglieder des Bau- und Umweltausschusses nach der Abwägung letztlich ebenso wenig wie die Verwaltung überzeugt. Sie stimmten einhellig dafür, auch der Stadtverordnetenversammlung keine Änderung des Bebauungsplanentwurfs und Flächennutzungsplans zu empfehlen. Eine weitere Kita sei wichtig für Lorsch, der Standort Lagerfeld-West geeignet, erklärte Jonathan Heim (CDU). Es sei „immer schade“, wenn ein Acker überbaut werde, hieß es bei der SPD. Es gebe aber die Verpflichtung, zu bauen, so Dirk Sander. Es seien vielleicht andere Bauplätze denkbar, die gehörten aber leider nicht der Stadt. Der neue Kindergarten werde nicht für einen unverhältnismäßig hohen Verkehrszuwachs sorgen.
Matthias Schimpf unterstrich, dass die Stadt ihre gesetzlichen Pflichtaufgaben zu erfüllen habe. Sie könnte andernfalls sogar mit Schadensersatzklagen konfrontiert werden. Es sei zudem richtig, Kindergärten über die Stadt zu verteilen. Über den Standort für die neue Kita habe man lange diskutiert, erinnerte er daran, dass zuvor auch der Parkplatz am Schwimmbad schon einmal dafür im Gespräch war.
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