Lorsch. Einen Abend im „finsteren“ Mittelalter konnten Interessierte in Lauresham verbringen – und das war in diesem Fall wörtlich zu nehmen. Dass das Mittelalter allgemein ein „finsteres“ Zeitalter gewesen sei, ist zwar immer noch eine weit verbreitete Vorstellung, wissenschaftlich ist dies aber längst weitgehend widerlegt. In Lauresham ging es jetzt vielmehr ganz real in die Finsternis. Denn eingeladen wurde zu einem abendlichen Besuch des Freilichtlabors unter dem Motto „Lauresham bei Nacht“ – und damit nebenbei auch zu Erfahrungen, die im Alltag heutzutage kaum jemand mehr macht: Wie ist es, unterwegs zu sein, ohne eine eigene Lichtquelle zur Verfügung zu haben?
Stirnlampen blieben aus
Man muss sich auf jeden Fall erst daran gewöhnen und sich deshalb vorsichtiger bewegen. In Lauresham gab es keine Scheinwerfer, sondern zahlreiche Kerzen im Boden, die Besuchern den Weg vom Informationszentrum zu den Häusern wiesen. Natürlich hat jeder Besucher ein Handy dabei und manche Gäste waren zusätzlich mit Stirnlampe ausgerüstet gekommen. Um die besondere Atmosphäre nicht zu beeinträchtigen und das Thema möglichst authentisch darzubieten, wurde aber darum gebeten, mitgebrachte Lichtquellen auszuschalten.
Selbst Stockbrot backen
Schon auf dem Weg zum einem Herrenhof nachgebildeten Lauresham stieg einem dezenter Rauch in die Nase. Dieser stammte von zahlreichen Holzscheiten, die aufgespalten waren, im Inneren glühten und auf diese Weise als Fackel dienten, von einigen Feuern in den Häusern sowie einem offenen Lagerfeuer, an dem Gäste ihr eigenes Stockbrot backen konnten. Das Angebot, Sauerteig eigenhändig in solch einen knackigen Imbiss zu verwandeln, wurde gern angenommen.
Im sogenannten Hörigenhaus, benannt nach den Menschen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Grundherrn standen, konfrontierte eine Lauresham-Mitarbeiterin Zuhörer mit der Frage, ob es „besonders mutig oder besonders dumm“ sei, nach Einbruch der Dunkelheit draußen zu sein. Menschen in der Zeit Karls des Großen hätten sich jedenfalls nicht freiwillig in der Dunkelheit auf einen Weg gemacht, hätten keinen Friedhof durchkreuzt und schon gar nicht in einer Nacht von einem Samstag auf einen Sonntag.
Die Menschen des Mittelalters hatten noch wesentlich stärker Respekt vor der Dunkelheit und auch Furcht, wobei teils Aberglaube, teils aber eine berechtigte Angst vor Überfällen und Wegelagerern eine Rolle spielte. In der Nacht auf den Tag des Herrn kam die Vorstellung dazu, der Teufel bereite in dieser Nacht unheilvolle Taten vor.
Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"
Der Sternenhimmel wurde beobachtet und gedeutet. Auch Karl der Große interessierte sich sehr für die Astronomie. Historisch belegt sind Briefwechsel zwischen ihm und dem Gelehrten Alkuin, in denen der Herrscher etwa das plötzliche Auftauchen des Planeten Mars nach langer Abwesenheit am Himmelszelt gedeutet wissen will. Das Auftauchen des nach dem römischen Gott des Krieges benannten Sterns sollte Hinweise auf die Aussichten eines bevorstehenden Feldzuges liefern. Auch Rückschlüsse aus einer in den Annalen belegten Sonnenfinsternis sollten untersucht werden.
Gelegenheit, mehr über den Alltag der Menschen vor rund 1200 Jahren zu erfahren, bot sich in einem weiteren Haus bei geselligem Beisammensein am Feuer. Felix Backs beantwortete, bekleidet mit einem grob gewebten Wollgewand wie im Mittelalter, Fragen der Besucher. Etwa zur Nahrungsknappheit. Meist waren maximal zwei Mahlzeiten am Tag üblich, die oft aus Gerstenbrei mit Hülsenfrüchten bestand. Fleisch und Fisch konnten sich nur Privilegierte leisten. Diese mussten im Gegensatz zu Angehörigen der niederen Schichten auch nicht mit teils bis zu zehn Mitmenschen im Raum schlafen.
Altes Wissen wird überprüft
Weil Lauresham ein Forschungslabor ist, wird dort auch vieles von dem, was man über das Mittelalter zu wissen glaubt, überprüft. Bei der Errichtung des Herrenhofs sei man im Wesentlichen auf Rückschlüsse aus Funden von Holzpfählen und deren Vertiefungen im Boden angewiesen gewesen, über die Bauweise der Gebäude oberhalb der Erdoberfläche habe man keine gesicherten Informationen gehabt.
Möglicherweise hat manches der Häuser in Lauresham im Mittelalter daher doch etwas anders ausgesehen. Bei einem mehrtägigen persönlichen Aufenthalt von Mitarbeitern in Lauresham zeigte sich nämlich zum Beispiel, dass der Rauch im Herrenhaus schlecht abzog, den Sitzbereich des Grundherren verrauchte, so dass dieser wohl im Mittelalter nicht an dieser Stelle gespeist hätte. Auch Fragen zur Isolierung und Wärmespeicherung in den Gebäuden werden erforscht. So dient Lauresham immer wieder auch als praktisches Experiment, um den Wissenstand zu hinterfragen und zu erweitern.
Saisonstart bei freiem Eintritt
Ab dem 5. März (Sonntag) beginnt die neue Saison in Lauresham. Am Auftakttag, der mit einem Frühlingsfest verbunden ist, ist der Eintritt für Besucher frei. Am 19. März kann man in der Reihe „Experimentelle Archäologie“ frühmittelalterlichen Ackerbau kennenlernen und erfahren, warum manches von damals heute noch Sinn machen kann. zing
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/lorsch_artikel,-lorsch-fuer-einige-stunden-ins-finstre-mittelalter-in-lorsch-_arid,2051989.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.bergstraesser-anzeiger.de/dossiers_dossier,-_dossierid,251.html