Open-Air-Inszenierung - Theaterspielgemeinschaft Lorsch erhält für ihre Interpretation der Zuckmayer-Erzählung viel Beifall

EM gegen "Schinderhannes" chancenlos

Von 
Monika Hälker
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Die Theaterspielgemeinschaft Lorsch setzte heute Abend auf dem ehemaligen Straßenbaudepot zum dritten Mal den "Schinderhannes" in Szene.

© Lotz

Lorsch. In Frankreich spielte sich ein Fußballkrimi ab - für die Theaterspielgemeinschaft Lorsch wurde das Spiel der deutschen Nationalmannschaft am Samstagabend aber nicht zur Konkurrenz. Wie auch bereits bei der Premiere von Carl Zuckmayers Stück "Der Schinderhannes" tags zuvor waren auch am Samstag die Ränge ausverkauft. Den Vorschusslorbeeren, die das Publikum damit dem Ensemble um Regisseur Karl-Heinz Diehl zuteil werden ließ, wurden die Mitwirkenden allemal gerecht. "Der Schinderhannes" wurde als Open-Air-Schauspiel auf dem ehemaligen Straßenbaudepot beeindruckend in Szene gesetzt. Das Publikum spendete den über 30 Akteuren den wohlverdienten Applaus für einen bewegungsreichen Auftritt und eine facettenreiche, aber stringente Dramaturgie.

Hürden bravourös gemeistert

Authentischer lässt sich wohl kaum mehr ein Ort der Handlung wählen. Umgeben vom Grün der Bäume liegt die Vorstellung vom unsteten Räuberleben in der freien Natur nahe. Für die Akteure dürfte sich allerdings eine Bühne ohne Grenzen als ein durchaus schwer zu bespielendes Terrain erwiesen haben. Die Truppe meisterte die Hürde bravourös. Der Schauplatz war kein abgeschlossener Illusionsraum mehr, sondern eröffnete die Weite ins Freie. Das Ensemble mit Regisseur Karl-Heinz Diehl fügte dem weitere Versatzstücke einer wirkungsvollen Inszenierung hinzu. Die berittene Gendarmerie blieb keine Illusion. Sie trabte auch tatsächlich auf dem Rücken von Pferden herein. Im Hintergrund weideten die Ziegen, die sich ihrerseits bei untergehender Sonne bemerkbar machten.

Passende Kulisse

Die Kulisse spiegelte wunderbar die ländliche Idylle - hier stand die kleine bäuerliche Wohnstube, dort eine Scheune und zwischen den Strohballen türmte sich ein weiteres Gemäuer auf, das weitestgehend der Schlussszene vorbehalten blieb.

Nach Carl Zuckmayer ist der Schinderhannes eine durchaus rühmliche Figur in monarchistischen Zeiten, als der adelige Fiskus erbarmungslos die Steuern eintrieb und die Bauern am Hungertuch nagten. Der gesellschaftliche Keil zwischen Arm und Reich spiegelte sich schon in der ersten Szene, die im Wirtshaus spielte. Auf der einen Seite saßen die mittellosen Bauern in entsprechend dürftiger Kluft und beklagten sich bitter über die Machenschaften der Obrigkeit. In dem Stück galt ihre Sympathie durchaus den Räuberbanden, die ihnen die Geldeintreiber vom Leibe hielten.

Auf der anderen Seite die Handwerker und Kaufleute, die in feinem Zwirn gekleidet und mit Zylinderhut und Bonnet auf dem Kopf ihre Herkunft deutlich erkennen ließen. Dass sich der Schinderhannes, über den man gerade kontrovers debattierte, mitten unter ihnen befand, ahnte wohl niemand. Er trieb auch hier seine gewitzten Geschäfte, als er dem Gerbermeister die tadellosen Felle verkaufte, die er ihm erst kurz zuvor abgenommen hatte. Die Inszenierung zeichnete selbst diese Szene in einem bewegten, lebhaften Anstrich, wie er im weiteren Verlauf noch zunehmen sollte.

Gut besetzte Rollen

Zuckmayer wie auch die Inszenierung lassen Schinderhannes unbestritten als Identifikationsfigur für alle Unterdrückten erscheinen. Zudem verströmt er den verwegenen Charme des Abenteuers, agiert als kumpelhafter Bandenchef und gibt sich als empathischer Zeitgenosse, vor dem selbst die Liebestüren nicht verschlossen bleiben. Für Julchen empfindet er tiefe Gefühle. Die Beziehung hat dann mit dem Schafott ein erwartetes, aber jähes Ende.

In der Auswahl der Rollen hatte die Gruppe ein wahrlich gutes Händchen bewiesen. Die Hauptfigur Johannes Bückler, genannt Schinderhannes, verkörperte Simon Helwig überzeugend. Mit sonorer Stimme und seiner jugendlichen, raumgreifenden Bewegtheit auf der Bühne gab er dem "Räuberhäuptling" einen Ausdruck von Organisationstalent und Stärke. Auf der anderen Seite fuhr er die Achterbahn zwischen Zuneigung und Kontroversen in der Beziehung mit Julchen durchaus mit emotionalem Tiefgang und Betroffenheit, vor allem in der Schlussszene, als den beiden eine letzte gemeinsame Nacht in Saus und Braus vor der Hinrichtung gegönnt wurde.

Seine Partnerin Andrea Helm wusste die Figur mit Empathie und weiblicher Selbstsicherheit zu konturieren. Die beiden sind zwei des fast 40-köpfigen Ensembles, das sich perfekt zusammenfügte und mit kreativer Ausdrucksstärke eine Spannbreite an Typen und Karikaturen zeichnete.

Die Inszenierung fügte mit sicherem Blick immer wieder skurrile Bilder ein, die gerade in der an Metaphern reichen, teils derben und in den südhessischen Dialekt übertragenen Sprache betont hervortreten. Etwa wenn die barfüßigen Bauern als Soldaten in der preußischen Armee wie die tumben Hampelmänner ihres Major Mauschka dastanden, der ihnen in feinem Offiziersdress vor untergehender Sonne kräftig den Marsch blies.

Der Aufwand für eine Inszenierung unter freiem Himmel ist immens, doch der hat sich gelohnt.

Die Darsteller und das Team hinter der Bühne

Die Mitwirkenden:

Schinderhannes: Simon Helwig

Julchen Blasius: Andrea Helm

Margret Blasius: Christine Andes

Blasius' Trommelvater: Bernhard Henkes

Wirtin: Gerda Brunnengräber.

Die Reichen - eine Reisende: Jutta Köhler, Kaufmann: Klemens Diehl-Blust, Gerbermeister: Josef Schlude, Gutspächter: Peter Folz,

Die armen Bauersleute - Bauer Raab: Reinhard Diehl, Bäuerin: Petra Hartmann, Bäuerin: Tanja Dohrmann, Achatschleifer: Hans-Joachim Neumann.

Die Schinderhannes-Bande - Benzel: Roland Koob, Benedum oder Hans Bast: Martin Knatz, Seibert: Christoph de Raadt, Zughetto: Armin Schmalbach, Iltis Jakob: Lukas Drax, der rote Fink: Nils Engel.

Gendarmerie: Justus Carl, Peter Helmling, Benjamin Süsselbeck.

Kaspar, Vater des Schinderhannes: Helmut Ritter

Gottverdippelche und Haushälterin: Tanja Flick.

Major Mauschka: Reinhard Diehl

Leutnant: Josef Schlude

Stabsoffizier: Hans-Joachim Neumann

Soldaten: Hans Geridant, Stefan Link, Heribert Pabst, Jens Hue, Frank Schierk, Justus Carl, Alexander Löffelholz.

Metzgermeister Zoppi: Bernhard Henkes

Metzgersbursche: Jens Hue

Schmied Schauwecker: Armin Daub

Schmiede-Lehrling: Yannis Dohrmann

Bedienung:Tanja Dohrmann

Kaplan: Peter Folz.

Hinter den Kulissen:

Requisiten und Kostüme: Berthild de Raadt, Kerstin Grabelus.

Bühnenbau: Bernhard Adrian, Hans-Joachim Neumann, Walter Heinz, Albert Adams und Team.

Technik: Stephan Koob, Daniel Helwig, Andreas Englert, Jonas Martin.

Maske und Frisuren: Silvia Drax, Tanja Sudheimer, Heike Wolf, Brigitte Schlude.

Regie und Gesamtleitung: Karl-Heinz Diehl. moni

Ehemalige Mitarbeit

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