Lorsch. Die geplante ICE- und Güterzugtrasse zwischen Frankfurt und Mannheim beschäftigt Lorscher bereits seit mehr als 20 Jahren. Die Idee für den Bau eines unterirdischen Bahnhofs in Lorsch ist dagegen noch vergleichsweise jung. Vor gut fünf Jahren hat „Mensch vor Verkehr“ (MvV) sie erstmals als Anregung in die Diskussion eingebracht. Seit einiger Zeit wird sie sehr ernsthaft weiterverfolgt. Ein Antrag zur Prüfung und Bewertung verschiedener Voraussetzungen dafür ist mittlerweile von Lorsch aus an die Deutsche Bahn auf den Weg gebracht worden.
Das Schienenneubauprojekt ist ein riesiges Bauvorhaben mit Folgen für die Region. Auch wenn die Strecke im Kreis Bergstraße weitgehend unter der Erde in einem bergmännisch gegrabenen Tunnel entstehen sollte – wofür unter anderem „Mensch vor Verkehr“ (MvV) seit vielen Jahren kämpft und sich inzwischen auch die Bahn als Vorzugstrasse ausspricht –, wird die Belastung allein durch die Großbaustelle zunächst deutlich spürbar sein.
„Wir wollen nicht nur den Schaden haben, wir wollen auch mal profitieren“, hatte deshalb Dr. Jürgen Reiter, stellvertretender MvV-Vorsitzender bei der Hauptversammlung des auch als Umweltverband anerkannten Vereins im Juni erklärt – und zum wiederholten Mal einen Nahverkehrshalt Südhessen in Lorsch ins Gespräch gebracht. Am Ortsrand im Bereich unter den Schrebergärten „Im Taubenfang“ und der Querung der Nibelungenbahn sei ein solcher Halt zum Beispiel gut vorstellbar.
Züge sollen nicht nur vorbeifahren
Der Bau würde Lorschern eine attraktive Anbindung ans Streckennetz ermöglichen. Ohne einen Zusatz-Bahnhof würden die schnellen Züge zwischen Frankfurt und Mannheim auf der übergeordneten Bahnlinie in Lorsch nur vorbeirauschen – einen persönlichen Nutzen hätten sie für die Anlieger nicht.
Die Teilnehmer der jüngsten MvV-Hauptversammlung hatten die Idee für einen neuen Halt in Lorsch dennoch nicht alle befürwortet. Formuliert wurde etwa die Befürchtung, ein neuer Bahnhof könnte Lorsch noch beliebter machen, noch mehr Bergsträßer könnten in die verkehrsmäßig gut angebundene Stadt umziehen wollen. Der Siedlungsdruck sei aber bereits enorm.
Gerade mit Blick auf das Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen und den Personennahverkehr attraktiv zu machen, sei es aber fahrlässig, auf einen Bahnhof zu verzichten, meinen viele andere. Inzwischen hat sich jedenfalls auch der Lorscher Magistrat mit Bürgermeister Christian Schönung an der Spitze dafür ausgesprochen, dass ein entsprechender Antrag zur Prüfung an die Deutsche Bahn weitergeleitet wird. Der Gemeindevorstand Einhausens und „Mensch vor Verkehr“ hatten bereits vorher für diesen Antrag zur Parlamentarischen Befassung gestimmt. Bis Ende September sollen bekanntlich die Forderungen aus der Region zur Neubaustrecke für den anstehenden wichtigen Verfahrensschritt der Parlamentarischen Befassung in Berlin vorliegen.
Jürgen Reiter hatte in der MvV-Hauptversammlung unter anderem verkürzte Fahrzeiten als ein starkes Argument angeführt. Von Lorsch nach Mannheim könnten Bahnfahrer mit einem neuen Halt möglicherweise in etwa 13 Minuten kommen, Frankfurt durch einen Zustieg in Lorsch in weniger als 30 Minuten erreichen. Es würden dann auf jeden Fall mehr Menschen auf die Bahn umsteigen, zeigte er sich überzeugt. „MvV“-Mitglieder mit eigener Pendler-Erfahrung stimmten ihm umgehend zu, dass ein solches Angebot im Vergleich zu den heute noch nötigen Zeiten sehr attraktiv wäre.
Der Verein „Mensch vor Verkehr“ hatte sogar eine Potentialstudie in Auftrag gegeben. Das Ergebnis zeige, dass der Bedarf vorhanden ist, Züge mit Anbindung an die größeren Städte wohl ausgelastet werden.
Im Lorscher Schreiben zur Parlamentarischen Befassung geht es nun zunächst um unterirdische „Ausweichgleise“. Würden diese in Lorsch verlegt werden, könnten sie später auch für einen Ausbau zu einem Tiefbahnhof auf der Neubaustrecke verwendet werden. Ausweichgleise sind als Seitengleise auf vielen Strecken üblich, auf der Strecke zwischen Mannheim und Darmstadt böte sich Lorsch als die räumliche Mitte an. Ein Umstieg von möglichen Regionalzügen auf der Neubaustrecke zur Nibelungenbahn und umgekehrt an dem Zusatz-Bahnhof könnte dann machbar sein.
Eine gewisse Vorbildfunktion für einen Nahverkehrshalt in Lorsch hat der Bahnhalt in Merklingen. Auch Anlieger an der Neubaustrecke in Baden-Württemberg hatten nicht hinnehmen wollen, dass sie nur die Belastungen einer neuen Verbindung nach Ulm tragen sollten, von der sie selbst aber keinen direkten Nutzen haben. Sie machten mobil – und das mit Erfolg. Daran hat MvV mehrfach erinnert und sich den Neubau auch selbst angesehen.
Haltepunkten in Darmstadt und Lorsch?
Über den neuen Bahnhof in Merklingen rollen inzwischen Regionalzüge, die die Anbindung an Ulm auch für die Anwohner der Schwäbischen Alb enorm verbessern. Mit einem Tempo von knapp 200 Stundenkilometern sind sie unterwegs.
Rund 53 Millionen Euro soll der Bahnhalt in Merklingen gekostet haben, der etwa 60 000 Menschen einen zusätzlich Zugang zum Streckennetz der Bahn ermöglicht. Auch als Aufschwung für die Region wird er begrüßt. In Nürnberg ist ebenfalls ein superschneller Regionalzug im Einsatz. Anders als Merklingen will Lorsch jedoch nur einen Halt im Tunnelbereich unter der Erde.
Ob Fahrgäste auf den ICE-Gleisen unterwegs sein könnten oder auf einem Parallelgleis, das ist noch alles völlig offen. Die ICE-Züge selbst werden durch den Halt in Lorsch nicht gebremst. Es geht darum, die schnelle neue Streckenverbindung auch für den ÖPNV mit Regionalzügen nutzbar zu machen.
Der Verkehrsverbund und die Bahn prüfen derzeit, ob für Züge zwischen Frankfurt und Mannheim mit Haltepunkten in Darmstadt und Lorsch Kapazitäten verfügbar wären. Das erfuhren die Stadtverordneten im Rahmen ihrer jüngsten Sitzung als Information aus dem Magistrat. Der Lorscher Magistrat hat die Bahn jetzt darum gebeten, eine Bewertung für einen „ICE-Haltepunkt“ im Bereich der Querung der Riedbahn vorzunehmen.
Auch Bürgermeister Schönung hält es für wünschenswert, wenn auf Lorscher Gemeindegebiet ein Bahnhof entstehen würde. Wenn die neue ICE-Trasse verlegt ist, sollte sie gut genutzt werden, viele Auto-Kilometer sollten durch ÖPNV-Kilometer ersetzt werden, betonte er etwa bei der MvV-Hauptversammlung.
Wenn man sich jetzt nicht für einen Haltepunkt in Lorsch einsetze, werde eine große Chance für die nachfolgenden Generationen vertan. Das wäre geradezu „sträflich“, argumentieren die Befürworter einer Zusteigemöglichkeit in Lorsch.
Ein erklärtes Ziel des MvV-Vereins war und ist es, die Trasse nicht zu verhindern, sondern Menschen zum Umsteigen in die Bahn zu bewegen und in der bereits stark verkehrsbelasteten Region ökologische Verkehrsströme zu unterstützen.
Nach einer Rückmeldung von Seiten der Bahn soll der Antrag zur Parlamentarischen Befassung auch den öffentlichen Gremien vorgelegt werden.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/lorsch_artikel,-lorsch-deutsche-bahn-nahverkehr-ice-trasse-_arid,2228987.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/lorsch.html