Lorsch. „Die Bahn ist immer wieder für eine Überraschung gut“, sagte Reimund Strauch beim Info-Abend zur geplanten Schienenneubaustrecke Frankfurt-Mannheim. Der Vorsitzende des Vereins „Mensch vor Verkehr“ (MvV) weiß das sehr gut aus eigener Erfahrung. Seit über 20 Jahren steht er mit Verantwortlichen der DB im regelmäßigen Kontakt. Nach manchen Rückschlägen und Enttäuschungen im zähen Ringen um einen verträglichen Trassenbau für die Menschen in der Region löste die jüngste Überraschung der Bahn allerdings große Freude bei vielen MvV-Aktiven und zahlreichen weiteren Bergsträßern aus (wir haben berichtet).
Denn die Bahn hat vor wenigen Monaten plötzlich eine Vorzugstrasse benannt, die der seit Jahrzehnten von MvV geforderten Variante erstmals sehr nahe kommt: eine mit langem Tunnel. Die Strecke soll nun nördlich von Einhausen in einen Tunnel führen, die Weschnitz unterqueren und, von der Ost- auf die andere Seite der A 67 wechselnd, unter dem Lorscher Wald unterirdisch bis nach Mannheim verlaufen. Für eine Streckenführung mit langem bergmännischen Tunnel – allerdings auch mit dem Schutz von Langwaden – setzt sich „Mensch vor Verkehr“ seit jeher ein. Die Bahn präsentierte dagegen immer wieder längere oberirdische Abschnitte und Tunnel in offener Bauweise.
DB Netz AG ist jetzt Infra-GO AG
Strauch informierte darüber, dass sich seit dem Info-Abend im Vorjahr also „einiges“ getan habe. Dazu gehörte nebenbei auch, dass aus der DB Netz AG inzwischen das Eisenbahninfrastrukturunternehmen namens Infra-GO geworden ist.
Unendlich viele Male und im Rahmen von bereits zahlreichen Aktionen hat MvV zunächst als Bürgerinitiative, dann als Verein und anerkannter Umweltverband Argumente wie etwa Umwelt- und Lärmschutz sowie Flächenverbrauche eingebracht. Immer wieder wurden Einwendungen von der Bahn abgetan. Jetzt scheint sich die hartnäckige Überzeugungsarbeit der MvV-Mitglieder aber doch auszuzahlen, die nie auf bloßen Aktionismus, sondern stets auf Fakten gesetzt haben.
„Mensch vor Verkehr“ bestätigt erfahrenes Vorstandsteam
Dem Info-Abend zur geplanten Schienenneubautrasse schloss sich die Jahreshauptversammlung von „Mensch vor Verkehr“ (MvV) an. Auf der Tagesordnung standen auch Wahlen. Die Mitglieder bestätigten dabei ihr sehr erfahrenes Vorstandsteam. Reimund Strauch wurde einstimmig und unter dem Beifall der Versammlung als Vorsitzender wiedergewählt.
Dem Einhäuser zur Seite stehen an der Spitze, wie bisher, der Lorscher Dr. Jürgen Reiter und der Langwadener Robert Loreth. Rechnerin bleibt Andrea Müller. Der Posten des Schriftführers ist nicht besetzt, Rainer Buchdunger, der die Arbeit viele Jahre lang erledigte, kandidierte nicht mehr für das Amt.
Er bringt sich aber, wie viele weitere Mitstreiter, im Kreis der Beisitzer für „Mensch vor Verkehr“ ein. Anne Loreth arbeitet dort ebenso mit wie Boris Jäger, Ehrenbürgermeister Klaus Jäger, Hans-Jürgen Sander, Jörg Sebastian, Alexiev Stojan. Als „geborene Mitglieder“ gehören auch die Bürgermeister von Lorsch und Einhausen und der Vorsitzende der Bergsträßer Schutzgemeinschaft Deutscher Wald dem Team an.
Rosemarie Krauth verabschiedete sich aus der Vorstandsarbeit. 22 Jahre lang hatte sie sich engagiert eingebracht, lobte Strauch, der sich für ihren besonderen Einsatz bedankte.
Herzlich begrüßte der MvV-Chef bei der Hauptversammlung einen „Neuzugang“ im Team, der gleichfalls jede Menge Wissen und Erfahrung mitbringt: Thomas Klemm. Der Lorscher war einst Mitgründer und erster MvV-Vorsitzender, hatte später seine Tätigkeit zurückstellen müssen, hat jetzt aber wieder die zeitliche Möglichkeit, sich einzubringen.
Kassenprüfer sind Dirk Sander und Peter Velten. Gewählt ist der Vorstand für zwei Jahre. sch
Die Weschnitz und die Wasserschutzgebiete dürften eine wesentliche Rolle dafür gespielt haben, dass die neue Vorzugstrasse nun auch der Bahn als schnell, sicher und wirtschaftlich gilt. „Donnerwetter“, kommentierte Strauch beim Infoabend im Feuerwehrhaus den Umschwung der Bahn bei diesem „Jahrhundertprojekt“, den viele kaum mehr für möglich gehalten hatten. Er erinnerte an Millionen Kubikmeter Wasser aus den wertvollen Reservoiren der Region, die nach Frankfurt gepumpt werden und die Weschnitz als eine „Rettung“ für die Region.
Bedarfsplanumsetzungsregelung
Erledigt ist die Arbeit für MvV aber trotz des Etappensiegs keinesfalls. Sie bleibt im Gegenteil umfangreich und hoch anspruchsvoll. Wer kennt sich schon detailliert mit Themen wie etwa der sogenannten Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung aus? Wer beim Trassenbau mitreden und die beste Lösung für die Region durchsetzen möchte, sollte das aber – und die MvV-Vorstandsmitglieder haben sich deshalb auch dazu längst kundig gemacht. Die Ehrenamtlichen haben stets alle Pläne der Bahn intensiv studiert und sie haben dank umfassender Kenntnis auch der örtlichen Gegebenheiten nicht nur einmal erfolgreich auf Unstimmigkeiten aufmerksam gemacht. „Was wir vorgebracht haben, hat doch einiges bewegt“, bilanzierte Strauch.
Ein kurzer Tunnel etwa wäre zu steil für die neuen bis zu 720 Meter langen und schweren Güterzüge, hatten sie bei den Berechnungen des Neigungswinkels aufzeigen können. „Es gab keinen Widerspruch“, berichtete Strauch beim Info-Abend. Man habe gegenüber der Bahn klargemacht, dass das erklärte Ziel aller, mehr Güter auf die Schiene zu bringen, ohne Korrektur verfehlt würde. Bestandsstrecken wie die Riedbahn sollen schließlich durch den Neubau zudem entlastet werden.
Derzeit sind die Aktiven von „Mensch vor Verkehr“ gemeinsam mit politischen Vertretern des Kreises sowie juristischen Experten dabei, einen Text für die Parlamentarische Befassung zu formulieren. Dieser ist enorm wichtig. Denn entschieden wird über den Trassenbau und die Finanzierung von nicht zwingend gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen in Berlin. In der Parlamentarischen Befassung soll dazu ein Text vorliegen, der politisch zustimmungsfähig ist, informierte Strauch. Das Dokument soll so durchdacht mit allen Beteiligten ausgearbeitet sein, dass anschließend möglichst keine Klagen zu befürchten sind, die zu teuren Verzögerungen führen können.
Termin auf September vertagt
Der Redaktionsschluss für die Parlamentarische Befassung, die dem Verkehrsausschuss vorgelegt wird, sei allerdings gerade vertagt worden, teilte Strauch als Neuigkeit mit. Datum sei nun Mitte September. Auch die Zeitpläne böten immer wieder Überraschungen, hieß es beim Info-Abend. Da im Herbst 2025 die Bundestagswahl ansteht, sei zuvor wohl noch keine wesentliche Entscheidung zu erwarten. Aktive des 250 Mitglieder starken Vereins riefen erneut dazu auf, dass MvV auch junge Mitstreiter für die vermutlich noch lange andauernde Arbeit brauche.
Nachfolgende Generationen sollten vom Riesenbauwerk auch profitieren, nicht nur Belastungen tragen. Dr. Jürgen Reiter berichtete für MvV daher von der Potenzialstudie für einen Nahverkehrshalt, die man habe durchführen lassen. Die Nachfrage sei da, ein Bahnhofsstandort unterirdisch im Bereich der Lorscher Schrebergärten vorstellbar. „Irritiert“ zeigte sich daraufhin ein Zuhörer. Ein Bahnhof könnte für weiteren Bevölkerungszuwachs sorgen, meinte ein anderer kritisch. Der Siedlungsdruck sei bereits hoch. Sie wolle nicht, dass „alles zubetoniert“ werde, sagte eine weitere Zuhörerin.
Mehrere andere Zuhörer begrüßten das Vorhaben jedoch sehr. Als Pendler auf verstauten Autobahnen würden sie sofort auf ein attraktives Nahverkehrsangebot mit schnellen Verbindungen in die Zentren umsteigen, sagten sie. Es sei allseits Ziel, Individualverkehr zu reduzieren.
MvV wird auch beim geplanten sechsstreifigen Autobahn-Ausbau mitreden, es werde für Bahn und Autobahn zwei getrennte Planfeststellungsverfahren geben, so Strauch. Robert Loreth berichtete, dass Langwaden gut geschützt wäre, wenn der Tunnel noch um wenige Kilometer verlängert würde.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/lorsch_artikel,-lorsch-deutsche-bahn-ice-trasse-info-abend-_arid,2218665.html