Reichenbach. Alle Jahre trifft sich der Bezirk Südhessen im Hessischen Stenografen-Verband im Schatten der Gabelsberger-Eiche auf dem Felsberg. In diesem Jahr begrüßte Vorsitzender Michael Raub 14 Mitglieder aus Südhessen, darunter den Vizepräsidenten des Deutschen Stenografenbundes, Dr. Jascha-Alexander Koch.
Raubs besonderer Gruß galt dem Hausherren der Akademie, Dr. Holger Zinke, auf dessen Grundstück die Gabelsberger-Eiche samt des an Franz Xaver Gabelsberger erinnernden Gedenksteins steht. Gabelsberger gilt als der Erfinder eines Kurzschriftsystems, der ein Vorläufer der heute gebräuchlichen Deutschen Einheitskurzschrift war.
In seiner Rede zum 120-jährigen Bestehen des Bezirks Südhessen im Hessischen Stenografenverband ging Vorsitzender Michael Raub ausführlich auf die wechselvolle Geschichte dieser Gruppe im Deutschen Stenografenbund ein. So sei am 3. September 1905 in Auerbach eine stenografische Organisation, der „Bezirk Darmstadt Gabelsbergerscher Stenografen“, ins Leben gerufen worden. Diese habe sich trotz mancher Stürme des Lebens behauptet.
Inzwischen der einzige Bezirk in ganz Hessen
Bei seiner Recherche zur Geschichte der südhessischen Stenografen fand Raub eine Aussage aus dem Jahre 1920, in der der Hessen-Nassauische Verband bestätigt, dass der Bezirk Darmstadt der stärkste und rührigste Bezirk im Verbandsgebiet sei. Diese Aussage von vor 105 Jahren sei noch heute zutreffend, denn der Bezirk Südhessen sei immer der mitgliederstärkste in Hessen gewesen, betonte Raub. Seit diesem Jahr sei er leider auch der einzige. Die anderen drei hessischen Bezirke – Nordhessen, Mittelhessen und Rhein-Main – hätten sich in den vergangenen Jahren aufgelöst.
Im Bezirk Südhessen seien momentan noch fünf Stenografenvereine – Bürstadt, Darmstadt, Langen (der mitgliederstärkste), Pforzheim und Worms – mit rund 300 Mitgliedern organisiert und beachtlich aktiv. Er ist heute einer der wenigen im Deutschen Stenografenbund noch bestehenden Bezirke überhaupt.
Bei der Gründungsversammlung in Auerbach 1905 waren über 70 Personen anwesend. Wie Raub weiter recherchiert hatte, zog damals der Landtagsstenograf Michael Winkler als begeisterter Stenograf durch die Lande und war allen Stenografen bekannt. Er hatte die Kurzschrift mit den damaligen Möglichkeiten verbreitet. Auf ihn geht die Gründung des Winklers Verlages in Darmstadt im Jahr 1902 zurück.
Über 100 Teilnehmer seien zum ersten Bezirkstag 1906 in Zwingenberg gekommen, erläuterte Michael Raub. Bezirkstage habe es auch während des Ersten Weltkrieges jährlich gegeben. Es wurde von einer positiven Entwicklung berichtet. In Darmstadt existierte damals sogar ein Damenverein, für die damalige Zeit eine Sensation, da Stenografie Männersache war.
Nach dem Krieg gab es schnell einen Neuanfang
In der näheren Umgebung der Gabelsberger-Eiche auf dem Felsberg hätten in fast jedem größeren Ort Stenografenvereine existiert, so in Bensheim, Fürth, Heppenheim und Lorsch sowie weitere fünf Vereine im Mümlingtal. 1912 gehörten dem Bezirk dann 48 Vereine an, berichtete Raub.
1933 wurden die 20 Vereine des Bezirks in die Deutsche Arbeitsfront überführt, wodurch die Organisation ihre Selbstständigkeit verlor. Der letzte Bezirkstag vor dem Zweiten Weltkrieg war 1936 in Pfungstadt.
Nach dem Krieg erwachte das stenografische Leben schnell wieder. Am 27. September 1947 wurde der Hessische Stenografenverband wieder ins Leben gerufen. 1950 trafen sich Vertreter der südhessischen Vereine in Darmstadt zur Wiedergründung des Bezirks. Vorsitzender wurde Heinrich Fleckenstein aus Bad König.
Stellvertretend für die zahlreichen Vorsitzenden nannte Raub Paul Kratzsch aus Darmstadt, dessen Familie vor dem Ersten Weltkrieg auch beim Deutschen Stenografenbund eine große Rolle gespielt habe. Außerdem erinnerte er an Klaus-Wilfried Schwichtenberg, den Verfasser zahlreicher Kurzschriftbücher und Kommentare. Heute sei dieser noch aktiv und bekannt als Dozent und wahre „Rechtschreibkoryphäe“.
Ferner sei Gregor Keller bedeutend gewesen, der aber vor zwei Jahren verstorben sei. Er sei aufgrund seines jahrzehntelangen ehrenamtlichen Engagements für die Kurzschrift Ehrenpräsident des Deutschen Stenografenbundes und auch der Intersteno Deutschland sowie des Intersteno-Weltverbandes gewesen. Er habe die Gabelsberger-Eiche mehrmals im Jahr besucht.
Raub berichtete von Veranstaltungen aller Art im Bezirk Südhessen, besonders den jährlichen Bezirkstagen, die heute Stenografentage heißen. Bei diesen habe es Wettschreiben gegeben, die Südhessischen Meisterschaften. Der Erfahrungsaustausch und die Fachthemen verbanden die Vereine über Jahrzehnte bis heute.
Erstes Treffen nach dem Krieg war in Heppenheim
Wer die Kurzschrift und die anderen schreibtechnischen Fächer bis hin zum Computerschreiben im Beruf oder auch „nur“ als Hobby anwende, könne bei diesen Meisterschaften seine Leistung mit anderen messen. Die Wettbewerbe wurden von allen Vereinen jährlich abwechselnd organisiert. Seit es weniger Vereine und auch weniger Wettschreiber gebe, würden die Meisterschaften dezentral in den Vereinen durchgeführt.
In diesem Kontext wies Michael Raub auf die Deutschen Meisterschaften in Kurzschrift, Tast- und Computerschreiben hin, die von Vereinen des Bezirks Südhessen organisiert wurden. In Darmstadt wurde sie im Mai 1986 ausgetragen, in Bürstadt 1996. Im Jahr darauf war anlässlich seines 100-jährigen Bestehens der Stenografenvereins 1897 Langen Gastgeber. 2022 waren die Meisterschaften in Worms.
Für besonders erwähnenswert fand Raub den ersten Nachkriegsverbandstag 1949 in Heppenheim. Zum 70. Verbandstag traf man sich in Darmstadt unter dem Motto „40 Jahre Deutsche Einheitskurzschrift“ und zum 75. Verbandstag 1972 in Langen. Dort wurde auch das 125-jährige Bestehen des Hessischen Stenografenverbandes 2004 gefeiert.
Michael Raub hob hervor, dass Vereine des Bezirks in der Vergangenheit immer das Ohr am Puls der Zeit gehabt hätten. Sie seien sofort dabei gewesen, als das Maschinenschreiben in den 30er Jahren, die Umstellung auf elektromechanische Maschinen in den 70er Jahren und das Computerschreiben in den 90er Jahren Änderungen im Unterrichtsangebot notwendig gemacht hätten. So habe man Kinder frühzeitig zur Beherrschung des Tastenfeldes geschult. In den Vereinen Bürstadt, Darmstadt und Langen gibt es spezielle Kurse für Kinder, in Langen sogar in den Schulen.
Stolz berichtete Raub, dass in Südhessen die schnellsten Schreiber in Deutschland seien. So erreiche Regine Daneke aus Langen mehr als 400 Silben pro Minute in Kurzschrift und über 500 Anschläge pro Minute auf der Tastatur. Die Südhessen seien auch Spitzenschreiber bei den kurzschriftlichen Fremdsprachenwettbewerben. Raub führte dazu Hans Schulz aus Beerfelden an, der in sechs Fremdsprachen stenografiere. Die Langener Mannschaft erringe regelmäßig Silber- und Goldmedaillen bei den Deutschen Meisterschaften in englischer Kurzschrift.
Der Vorsitzende erinnerte an internationale Kontakte wie eine Reise mit den Darmstädter Stenografen im Jahr 1981 nach China. Die Gespräche beim Empfang des Pekinger Stenografenvereins gaben den Anstoß für den späteren Beitritt Chinas zur Intersteno. Dem folgten die Weltmeisterschaften im Jahre 2009 in Peking, wo Michael Raub Teilnehmer aus Südhessen getroffen hatte.
Mit der Bitte, das Kulturgut der Kurzschrift und der anderen schreibtechnischen Fächer in Ehren zu halten und zu ihrer Verbreitung sowie zu ihrem Erhalt beizutragen, schloss Raub seine Ausführungen.
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