Projekt - In einem Anwesen auf dem Felsberg entsteht eine besondere Akademie / Stipendiaten sollen dort Freiräume und historisches Umfeld genießen

Ort der Inspiration für Künstler und Wissenschaftler

Von 
Thomas Tritsch
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Lange stand das Anwesen auf dem Felsberg leer. Nun sollen dort Talente aus Wissenschaft und Kunst Freiräume für ihre Projekte finden. © Tritsch

Lautertal. Hier wurde schon an einer Oper geschrieben. Der Mainzer Komponist Volker David Kirchner, der vergangenen Jahr verstorben ist, hat in der inspirativen Umgebung des Höhenzugs Kraft und Muse gefunden. Das musikalische Werk war aber nur die Ouvertüre für ein neues Kapitel in der Geschichte des Felsbergs, das seit gut fünf Jahren langsam aber stetig Gestalt annimmt.

Der Bereich rund um das ehemalige Hotel ist in Bewegung, nach innen wie nach außen. Und es wird, in Teilen, auch schon genutzt. Was dort oben momentan entsteht, ist von bekannten Vorbildern beeinflusst, sucht in seiner konkreten Umsetzung aber Seinesgleichen bis weit über die Region hinaus. Die Akademie auf dem Felsberg soll alles sein: Brutstätte der Ideen, Schlachtfeld der Diskurse und Arena für Kreative aller Couleur. Ein Refugium für Schriftsteller, Künstler, Architekten, Forscher, Wissenschaftler und alle anderen, die in klar definierten oder auch in thematisch überlappenden Genres tätig sind. Der Zugang erfordert Originalität. Im Sinne einer Persönlichkeit mit schöpferischen Einfällen und eigenständigen Gedanken. Das ist die Klientel.

Investor ging 2015 das Projekt an

Holger Zinke will einen Mikrokosmos schaffen, der Freiräume ermöglicht. Der Ideengeber, Investor und Besitzer des Geländes befindet sich auf der Zielgeraden. Ein Begriff, den er selbst allerdings nicht in den Mund nehmen würde: „Das ist ein Prozess, der niemals richtig endet.“ Ohnehin manifestiere sich die Akademie nicht (nur) in Sockel, Stein und Mauerwerk – das ist lediglich das äußere Format.

In erster Linie möchte man den künftigen Stipendiaten die Möglichkeit bieten, sich auf dem Felsberg in einem animierenden Umfeld künstlerisch weiter zu entwickeln. Der Gründer und langjährige Kopf der Brain AG mit Sitz in Zwingenberg hatte sich 2015 aus dem Vorstandsvorsitz des börsennotierten Biotechnologie-Unternehmens zurückgezogen und noch im Juli gleichen Jahres auf dem Felsberg angepackt. Damals begannen die Umbauarbeiten des früheren Hoteltrakts zur Akademie, die als geistiges Konstrukt bereits lang vor dem Anrücken der Bagger existent war.

Selbst die Baustelle ist Teil eines ganzheitlich gedachten Konzepts, das von einem rund 25-köpfigen Netzwerk aus ideell verbundenen Kollaborateuren geschultert wird. Weder Verein noch Stiftung, sondern ein loser Verbund ohne starre Verfassung. Auf öffentliche Subventionen und politisch-institutionelle Abhängigkeiten wird verzichtet. Alles ist unternehmerisch strukturiert. Der Aufwand für die Stipendien und den laufenden Betrieb wird von der Betreibergesellschaft erwirtschaftet.

„Ich denke, dass sich das Potenzial des Menschen in klassischen Organisationen nicht vollständig entfalten kann“, so Zinke im historischen Ambiente mit Blick zur Frankfurter Skyline. Bereits innerhalb der Brain AG hatte der in Bensheim geborene Biochemiker den Disziplinen Wissenschaft und Kunst Räume zur Begegnung ermöglicht. In der Akademie auf dem Felsberg sollen nun Talente aus allen Nischen das Privileg genießen, drei Monate lang unabhängig und in jeder Hinsicht barrierefrei leben und arbeiten zu können. Und zwar nicht in einer inhaltlichen Monokultur, sondern auf einem Campus der Artenvielfalt in befruchtend ländlicher Szenerie.

Eingeladen werden je zwei Stipendiaten mit besonderen Projekten aus Naturwissenschaften, Kunst, Ingenieurwesen und Geisteswissenschaften. Von April bis Juni und von August bis Oktober sind sie auf dem Felsberg zu Gast. Dort sollen sie Inspiration und künstlerische Orientierung finden. Frei von finanziellen Engpässen, in anregender Sphäre und ohne steile Hierarchien.

Eine geistige Verwandtschaft mit der Villa Massimo in Rom will Zinke nicht leugnen – im Gegenteil. Bis heute gleicht das Auftauchen eines Massimo-Stipendiums in der Biografie eines Künstlers einem Ritterschlag, der für Qualität bürgt und künftig Großes hoffen lässt. Auch den in den USA verbreiteten „Center for Advanced Studies“, wie sie von den berühmten Elite-Unis betrieben werden, fühlt sich die Akademie nahe: Foren für den intensiven Austausch unter flexiblen Rahmenbedingungen über etablierte Fächergrenzen hinweg. Internationale Akteure aus anderen Feldern werden in die Arbeit einbezogen und setzen – im Idealfall – fächerübergreifende dialogische Prozesse in Gang.

Vernetzt mit Hochschulen

Der Begriff der „Villa“ steht dabei eher für die Idee dahinter als für einen Platz. „Es geht um eine komplementäre Ergänzung zum akademischen Betrieb an den Hochschulen“, erläutert Zinke, der bereits mit einigen Universitäten vernetzt ist. Darunter die TU Darmstadt, die TU Wien und der Werkbundakademie Darmstadt. In enger Zusammenarbeit mit der Stiftung Heiligenberg in Jugenheim und dem Bensheimer Institut für Personengeschichte fand im März letzten Jahres das Kolloquium „Eine optimistische Welt“ über die gesellschaftlichen Umbrüche im 19. Jahrhundert statt. Die Beiträge sind in einem gleichnamigen Sammelband erschienen. Nicht das letzte, wie Zinke betont. Die Kooperation mit der Stiftung werde fortgesetzt.

Vom Hotel zur Akademie



Am Ende einer Allee steht eine Pappel. Auf der abschüssigen Wiese am Felsberg verweist der frisch gesetzte Baum auf einen ehemaligen Höhenweg, der in nordwestlicher Richtung zu Schloss Heiligenberg in Jugenheim führte. Als der europäische Hochadel dort ein und aus ging, wurde auch der Felsberg ein beliebtes Ziel der vornehmen Gesellschaft.

Die Familie von Jacob Haberkorn witterte im aufkeimenden Tourismus ein gutes Geschäft: Ab 1882 wird das zuvor landwirtschaftlich genutzte Anwesen auf Hotelbetrieb umgestellt. Die Herberge auf dem „Felsberg bei Jugenheim an der Bergstraße“ warb mit einer prachtvollen Fernsicht, einer festen Menükarte (table d’hôte) sowie „naturreinen Weinen“ und einem – aus damaliger Sicht – durchaus exklusiven Telefonanschluss. 1886 wurde der Komplex um einen Küchenbau erweitert.

Vom Jugenheimer Bahnhof dauerte die Anreise rund eineinhalb Stunden bis zu dieser „Höhenlage ersten Ranges“. Den Schlüssel für den nahen, 27 Meter hohen Aussichtsturm gab es im Hotel. Doch allzu lange währte die Restauration nicht. Nach dem Ersten Weltkrieg nutzte die Mannheimer Firma Lanz das Gebäude als Erholungsheim für ihre Mitarbeiter. Später übernahm das Deutsche Rote Kreuz die Liegenschaft, um dort fast 50 Jahre lang ein Schullandheim zu betreiben. 1990 zog dort das Felsenmeer Institut der Reuters GmbH ein.

Über zehn Jahre stand das Anwesen leer. Im Juni 2013 wurde die „Hof- und Gebäudefläche in Beedenkirchen“ am Bensheimer Amtsgericht zwangsversteigert. Der Ohlyturm und das alte Forsthaus gehörten zum Paket, das der neue Eigentümer erworben hat. Mit einer normalen Baustelle hat das Projekt nur oberflächlich etwas gemein. „Bereits der Bau ist Teil der Akademiearbeit“, erläutert Holger Zinke (58), der mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet wurde.

Der Rat der Preisträger hatte den Felsberg bereits vor fünf Jahren besucht und die Initiative überaus lobend kommentiert. An die große Glocke wurde das nicht gehängt. Nach außen hin gibt man sich dezent. Die Kommunikation verläuft eher leise. „Wir spielen über Bande“, sagt der Gastgeber. Bei der „Hardware“, wie Zinke die materielle Ausformung der Akademie bezeichnet, erkennt man indes wenig Zurückhaltung. Spiegelgleich zum sorgsam restaurierten Westtrakt wurde das Ensemble im Osten durch eine Aufstockung so perfekt erweitert, dass man die zeitliche Distanz kaum erkennen kann.

Am Bestand zeigen sich spätklassizistische Stilelemente wie auf dem Heiligenberg, wo der Darmstädter Hofbaumeister Georg Moller das vormalige Hofgut ab 1830 zu einem Schloss ausgebaut hatte. Neben der symmetrischen Fassadengestaltung fallen Lisenen (Mauerblenden), Sandsteingewände und Gurtgesimse sowie ein markantes Zahnfries am Giebel auf. Im großen Spiegelsaal werden die historischen Pilaster rekonstruiert und beschädigte Stuckelemente aufgearbeitet.

Auf dem rund 25 000 Quadratmeter großen Areal sind unter anderen ein Bassin, ein Pumpenhaus, ein Natureiskeller und ein Gewächshaus entstanden. Ein Wasserwerk, ein Spritzenhaus sowie weitere Funktionsgebäude erstrecken sich rund um ein zentrales Forum. Im Gewölbekeller unter dem früheren Hotel wurde Felsberg-Granit aus der Umgebung verbaut. Auch dieser Bereich soll wieder genutzt werden. Die Achse zwischen Ohlyturm und Hauptgebäude wird im Westen mit einem Empfangsgarten eröffnet.

Auch die sogenannte Gabelsberger Eiche, ein Denkmal für den Stenografen Franz Xaver Gabelsberger, ist in den Parkbereich eingebunden, der gerade entsteht. Im weiteren Entrée ist eine Rasenanlage (Bowling Green) geplant. Remise und Ställe am Waldrand werden ebenso revitalisiert wie der Gartensaal, in dem einst vornehm gespeist wurde. Es gibt Räume für Gesellschaften sowie Nischen des Rückzugs. Zwei Gärtnerinnen kümmern sich um den Außenbereich mit gesammelten Meriten im Prinz-Georg-Garten in Darmstadt und im Auerbacher Fürstenlager.

„Man muss sich einlassen wollen“, kommentiert der Investor den Aufwand, der nicht nur in intellektueller und organisatorischer, sondern auch in finanzieller Hinsicht beachtlich ist. Zinke spricht von mehreren Millionen Euro – im einstelligen Bereich. Das operative Geschäft – quasi das Betriebssystem – übernimmt die Beteiligungsgesellschaft Green Industries (GI) Group, die 2011 gegründet und seither an der Brain AG beteiligt ist. Auch in der GI Management GmbH ist Zinke Geschäftsführer. Die Akademie ist somit weder Verein noch Stiftung, sondern als Unternehmen angelegt, das unabhängig von Gremien und Institutionen agieren kann. Um die Finanzierung des laufenden Betriebs kümmert sich eine Betreibergesellschaft, die ihren Sitz dereinst im früheren Forsthaus haben soll.

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